Autorschaft : Das Ich als Unverschämtheit
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„Notwendiges Manifest für den Mann“ - oder Inszenierung der eigenen Männlichkeit? Ralf Bönt lässt sich während der Frankfurter Buchmesse 2009 in seinem Hotelbett fotografieren Bild: Pilar, Daniel
Erst kamen sie uns mit ihren Krankheiten und Familienangelegenheiten, jetzt mit ihrem Geschlecht und ihrer Sexualität - über die neuere Autoren-Angewohnheit, „ich“ zu sagen.
Ein schriftstellernder Physiker schreibt: „Es mag subjektiv sein, aber ich habe mich nie größer gefühlt als bei der Geburt meiner Kinder.“ Gibt es eine Notwendigkeit für eine solche Mitteilung, die man so oder ähnlich bestimmt schon hundertmal gehört hat? Eine Journalistin schreibt: „Mich interessiert nicht, warum ich homosexuell bin, ob mein Begehren als genetisch vorgegeben oder sozial konditioniert gilt.“ Wenn es die Autorin schon nicht interessiert, warum sollte es die Leser interessieren?

Redakteur im Feuilleton.
Woher kommt dieser Hang zum Ich-Sagen? Das erste Zitat stammt aus dem Buch von Ralf Bönt „Das entehrte Geschlecht - Ein notwendiges Manifest für den Mann“ (Pantheon Verlag); das zweite aus Carolin Emckes „Wie wir begehren“ (S. Fischer Verlag), ein, so könnte man ergänzen, offenbar auch notwendiges Manifest der eigenen Homosexualität, das für den Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist, der an diesem Donnerstag vergeben wird.
Es ist also, wie Bönts Manifest, ein Sachbuch. Und das ist das Problem. Denn es sind beides Bücher, die in der Ich-Form geschrieben sind, „belletristische Sachbücher“, wie ein Kritiker eine Gattung treffend nannte, die es inzwischen zu prächtiger Blüte gebracht hat. Bis vor kurzem standen dabei Themen wie Krankheit und Familie hoch im Kurs; man denke an „Havemann“ von Florian Havemann, „Schwieriges Glück. Versuch über die Vaterliebe“ von Eberhard Rathgeb, „Demenz. Abschied von meinem Vater“ von Tilman Jens, „Der Tod meiner Mutter“ von Georg Diez und „Der alte König in seinem Exil“ von Arno Geiger - Bücher, in denen entweder scharf abgerechnet oder eine bemerkenswerte Skrupulosität im Hinblick auf die Legitimität des Vorhabens ausgestellt wurde, die dann aber doch niemanden davon abhielt, Belange von einer Intimität preiszugeben, die in datenschutzversessenen Zeiten erstaunlich ist.
Die Folgen für die Kritik sind nicht zu unterschätzen
Jetzt scheint man es für opportun zu halten, sich der eigenen Sexualität beziehungsweise der geschlechtlichen Rolle zu versichern, als ginge dies die Öffentlichkeit ebenfalls etwas an. Die Ich-Form markiert dabei einen persönlichen Bekenntnischarakter, hinter dem aber ganz unverkennbar der Anspruch steht, darüber hinaus etwas über diese Gesellschaft mitzuteilen, das soziologisch stichhaltig ist. Dafür wird diese Gesellschaft von Emcke wie von Bönt als nur scheinbar aufgeklärte kritisiert. Es handelt sich also um eine Art Sexual-Nachhilfe. Wenn es erlaubt ist, beide Bücher inhaltlich verkürzt wiederzugeben, so laufen sie auf Befunde hinaus, die angesichts des rhetorischen Aufwands eigentümlich banal wirken, aber endlos wiederholt werden: Es wird zu wenig über Homosexualität gesprochen (Emcke), Männer haben es schwer (Bönt).
Über so etwas kann man diskutieren und durchaus auch Bücher schreiben. Die Frage ist nur, ob die gewählte Perspektive dabei hilfreich und, in einem intellektuellen Sinne, redlich ist oder ob nicht vielmehr die Ich-Form den Leser gewissermaßen moralisch in Haftung nimmt. Der Belletristik-Leser interessiert sich in der Regel nicht nur für den Stoff, sondern auch für die Form; der Leser eines Sachbuchs aber hat angesichts realer, sehr persönlicher Begebenheiten Hemmungen zu fragen, ob deren Schilderung ästhetisch gelungen ist. Die Folgen, die das für eine unter Beißhemmungen leidende Kritik hat, die ihre Einwände manchmal vielleicht aus Pietät unterdrückt, darf man nicht unterschätzen.
Der Leser wird moralisch haftbar gemacht
Ein alter Vorwurf an die Literaturkritik lautet, dass sie sich oft darin erschöpft, Inhalte nachzuerzählen. Rezensenten belletristischer Sachbücher neigen noch stärker dazu, sich rein am Stoff zu orientieren, und machen sich das Anliegen des Autors dabei oft sogar zu eigen. Es ist eine Illusion, aber man darf von jedem Buchautor erwarten, dass er sein Material sprachlich ansprechend präsentiert und Wert auf gedankliche Stringenz legt, sonst nimmt man ihn nicht ernst. Das fällt hier oft schwer. Bönt plaudert Familiäres aus und versucht sich an dilettantischen, haarsträubenden Deutungen Rousseaus, Simone de Beauvoirs und Alice Schwarzers - und wozu? Um zu zeigen, dass der Mann in den feministischen Debatten, von denen angeblich keine einzige das Wohl der Frau befördert hat, übersehen, ja, irgendwie sogar unterdrückt wurde.