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Neu übersetzte Klassiker : Alter Kunstwerkmeister, steh uns bei!

Eine der schönsten Überraschungen des Buchmarkts ist der Erfolg von neu übersetzten Klassikern. Welche Version dabei die bessere ist, ist oft mehr eine Geschmacks- als eine philologische Frage

          5 Min.

          Die Probe auf die Qualität kommt schnell: „Suck is a queer word.“ 1914, als James Joyce seinen Roman „A Portrait of the Artist as a Young Man“ veröffentlichte, hatte dieser Satz aus dem Anfangskapitel einen harmloseren Sinn, als man heute vermuten könnte. Das weiß jeder Übersetzer. Aber das macht die Übertragung des Satzes ins Deutsche noch nicht leichter. Friedhelm Rathjen wählt in seiner gerade beim Manesse Verlag erschienenen Neuübersetzung: „Schmarotzer war ein komisches Wort.“ Klaus Reichert entschied sich vor genau vierzig Jahren für das eher ungebräuchliche „zutschen“.

          Andreas Platthaus

          Verantwortlicher Redakteur für Literatur und literarisches Leben.

          Die Bestimmung des geeigneten deutschen Worts für „suck“ muss nach zwei inhaltlichen Kriterien erfolgen. Zunächst wird Simon Moonan, ein Mitschüler von Stephen Dedalus, dem jungen Protagonisten von „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“, so von seinen Kameraden genannt, weil er die Gunst des Präfekten genießt: „McGlades Schmarotzer“ oder eben „Zutscher“. Aber die eigentliche sprachliche Nagelprobe kommt erst zum Schluss der kleinen Episode. Da vergleicht Joyce den Klang von „suck“ mit dem Geräusch, das der Abfluss eines Waschbeckens nach dem Ablaufen von Wasser macht. Jeder kennt das Phänomen dieses saugend knappen Tons nach vorherigem Gluckern. Wenn Rathjen daraus „schmarotz“ macht, dann vollzieht er die Lautmalerei genauso nach wie Reichert mit „zutsch“. Aber für eine Wahl wie „schmarotz“ sind zudem vierzig Jahre Abstand und damit die Etablierung der durch die Comics popularisierten Lautmalereien in Form von verkürzten Verben („grübel“, „wimmer“) in der Alltagssprache nötig gewesen.

          Haben Übersetzungen nur eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren?

          Was aber ist besser? Das ist oft mehr Geschmacks- als philologische Frage. Sie stellt sich in letzter Zeit oft, denn wir erleben in Deutschland einen regelrechten Boom an Neuübersetzungen von Literaturklassikern. Wohlgemerkt: Neu-, nicht Erstübersetzungen. Also von Büchern, die wir auf Deutsch schon lesen konnten, teilweise seit mehr als hundert Jahren wie etwa „Madame Bovary“, die gerade von Elisabeth Edl noch einmal übersetzt wurde - nach etlichen Vorgängern seit 1858, wobei die letzte vor Edl erst 2001 erfolgte, durch Caroline Vollmann. Haben wir wirklich nur eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren bei der Übersetzung von literarischen Klassikern?

          Die Antwort auf diese Frage finden Sie in der heutigen Literaturbeilage dieser Zeitung, die einen eigenen kleinen Schwerpunkt fünf wichtigen Neuübersetzungen widmet: Edls Arbeit an Flauberts berühmtestem Roman, erschienen bei Hanser, Eva Hesses Lebensprojekt, die „Cantos“ von Ezra Pound ins Deutsche zu bringen (Arche), Alexander Nitzbergs Übersetzung von Bulgakows „Meister und Margerita“ (Galiani), Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ in der Übertragung von Werner Schmitz (Rowohlt) und Nathanael Wests „Miss Lonely Hearts“ in der von Dieter E. Zimmer (Manesse). Und das ist nur ein Teil der Flut solcher Neuübersetzungen. Rathjens Version von „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“, Gontscharows „Oblomow“ von Vera Bischitzky (Hanser), Faulkners „Als ich im Sterben lag“ von Maria Carlsson (Rowohlt) oder Virginia Woolfs „Orlando“ von Melanie Walz (Suhrkamp) stammen gleichfalls aus diesem Jahr. Alle haben sie große Begeisterung ausgelöst.

          Altvertraute Titel geändert

          Und sie verkaufen sich gut. Der neue „Oblomow“ etwa ist kein billiges Buch; es kostet 34,90 Euro, ältere Übersetzungen des umfangreichen Werks gibt es schon für weniger als zehn, von preisgünstigen Angeboten in Antiquariaten ganz zu schweigen. Aber der Hanser Verlag, dem wir den neuen Trend verdanken (und auch große Teile seines Erfolgs), seit er vor zwölf Jahren Burkhard Kroebers Übertragung von Alessandro Manzonis „IPromessi Sposi“ herausbrachte und damit nicht nur den literarischen Anspruch, sondern auch sein bis heute gültiges Erscheinungsbild für die Klassiker-Neuübersetzungen festlegte - Dünndruck, Leineneinband, Fadenbindung, handliches Format, verstärkter Schutzumschlag -, hat richtig darauf spekuliert, dass sich qualitätsvoll produzierte Bücher gerade in Zeiten der wachsenden Konkurrenz durch elektronische Publikationen beim avisierten Publikum durchsetzen. Dieses Publikum ist ein bildungsbürgerliches, und man darf es in diesem Fall beruhigend nennen, dass es offenbar so leicht auszurechnen ist.

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