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Barbaren im Kapitol : Der Feind im Haus der Demokratie

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Kojotenfell und Büffelhorn: Der „Schamane“ unter den Trump-Anhängern im Kapitol Bild: AFP

Wer das Wort „Barbaren“ hört, denkt an Wilde vor den Toren. Aber die Ereignisse im Kapitol zeigen, dass die Barbarei, aus der die Siedlernation entstanden ist, noch immer im Herzen Amerikas nistet.

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          Das Frühmittelalter, so lesen wir, begann mit den Wanderungen der Völker, dem Zusammenbruch der römischen Reichsgrenze, der Plünderung Roms durch die Barbaren. Aber wer waren sie, die Nachfahren jener Horden, vor denen sich schon die Griechen Homers und die alten Inder fürchteten, weil ihre Sprache wie Lallen und Stammeln klang und ihre Sitten grausam und ungehobelt waren? Längst hat die Forschung gezeigt, dass viele der damaligen Wilden sich nicht als Fremde, sondern als Angehörige des Imperiums verstanden, dessen Grenzen sie oft selbst jahrelang verteidigt hatten, und dass sie Rom nicht erstürmten, um es zu zerstören, sondern um ihren Anteil an seinem Wohlstand einzufordern.

          Aber das Bild der Invasoren vor den Toren blieb dennoch bei den klassischen Geschichtsschreibern hängen, und auch der abgewählte Präsident jener Siedlernation, deren politische Kultur mehr als die aller anderen Länder des Westens auf Denkmustern aus der Antike gründet, hat dieses Bild bemüht, wenn es darum ging, Armutsflüchtlinge aus dem Süden mit einer Mauer abzuwehren oder ausländische Waren mit Schutzzöllen zu belegen. Dabei ist die Barbarei, wie man aus der Spätantike, aber auch aus der Psychoanalyse lernen kann, nicht das ganz andere, das Gegenteil der Zivilisation, sondern ihr eigenes dunkelstes Geheimnis.

          Das Erbe von Massaker und Landraub

          Insofern hat der halbnackte Clown, der in fast allen Medienberichten von der Erstürmung des Kapitols am Mittwoch zu sehen war, seine Kostümierung mit sicherem historischen Instinkt gewählt: Er trug einen Speer und eine Kojotenfellmütze mit aufgesteckten Büffelhörnern, sein Gesicht war mit den Nationalfarben beschmiert, sein Oberkörper mit düster drohenden Tattoos bedeckt. Er kam als Barbar und Schamane, als Trapper und Trumpist.

          Die meisten anderen Kapitol-Stürmer entsprachen eher dem Stereotyp des krawallbereiten weißen Milizionärs mit Kugelschutzweste und Baseballkappe. Der Büffelhornträger aber war die eine Ikone, die von dem Ereignis in Erinnerung bleiben wird. Sein Gegröle, sein Aufzug, sein Grimassieren erinnerten daran, dass die Weltmacht jenseits des Atlantiks aus Sümpfen und Holzhütten, Massakern und Landraub, aus Sklaven- und Auswandererschiffen zu ihrer heutigen Geltung aufgestiegen ist und dass sie das Erbe der Barbarei, der sie entstammt, bis heute mit sich herumträgt.

          „Is a dream a lie if it don’t come true, or is it something worse?“, fragt Bruce Springsteen in seinem großen Abgesang auf den amerikanischen Traum, dem Lied „The River“ von 1980. Zu einer Lüge ist der amerikanische Traum schon lange für viele geworden, die in seinem Schatten leben, aber unter Donald Trump hat er sich in etwas noch Schlimmeres verwandelt, in eine Drohung, und der 6. Januar ist ihr Fanal.

          Der Anstifter des Geschehens ist jetzt Geschichte, aber noch weiß niemand, wie lange es dauern wird, bis jene, die vorgestern den Palast ihrer Volksvertreter entweiht oder den Tätern applaudiert haben, irgendwann von sich sagen können, sie seien Barbaren gewesen.

          Andreas Kilb
          Feuilletonkorrespondent in Berlin.

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