Paul Kirchhof zur Krise der EU : Verfassungsnot!
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Justitia und Paul Kirchhof mahnen: Ohne Recht gäbe es keine Europäische Union und keinen modernen Verfassungsstaat Bild: Klaas Neumann/Financial Times Deutschland/Picture Press
Die EU steckt in der Krise, weil Recht missachtet wurde. Und wir spielen weiter mit dem Feuer: Eine Instabilität des Rechts wiegt schwerer als eine Instabilität der Finanzen. Wer das nicht begreift, dem hilft auch keine Zentralgewalt mehr.
Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft des Rechts. Sie stützt sich auf den verfassungsrechtlichen Auftrag ihrer Mitgliedstaaten zur europäischen Integration, ist durch einen rechtsverbindlichen Vertrag gegründet worden, empfängt aus diesem Vertrag ihre Handlungsaufträge und Hoheitsbefugnisse und wird von den Mitgliedstaaten in parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren fortentwickelt. Ohne Recht gäbe es keine Europäische Union, keinen modernen Verfassungsstaat.
Das Recht gewinnt bei der Gründung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine zusätzliche Bedeutung. Damals war die Frage zu entscheiden, ob eine Währungsunion ohne gleichzeitige Gründung einer „Politischen Union“ möglich sei. Die beteiligten Staaten waren nicht bereit, auf eine eigene Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik zu verzichten. Diese Grundeinstellung ist auch heute zu beobachten, wenn hilfsbedürftige Schuldnerstaaten sich weigern, bei der Entgegennahme von Hilfszahlungen Auflagen zu erfüllen, die sie in ihrer Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik wesentlich beengen.
Die Staaten haben dennoch die Währungsunion geschaffen, weil sie durch verbindliche Rechtsregeln die Stabilität der Währung und der Finanzen in den Mitgliedstaaten gesichert haben. Der Unionsvertrag begrenzt die Staatsschulden jedes Staates auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Neuverschuldung und auf sechzig Prozent für die Gesamtverschuldung. Er garantiert, nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und verpflichtet sie vorrangig, die Preisstabilität zu sichern. Der EZB ist es ausdrücklich untersagt, die Staatshaushalte zu finanzieren und dafür Staatsanleihen zu kaufen. Die Staaten werden verpflichtet, ihre Kredite unmittelbar am Finanzmarkt nachzufragen, um selbst zu erfahren, dass sie bei guter Bonität niedrige Zinsen, bei schlechter Bonität hohe Zinsen zu zahlen haben.
Staatsverschuldung jenseits des rechtlichen Rahmens
Der Unionsvertrag betont besonders die finanzielle Eigenverantwortlichkeit jedes Mitgliedstaates. Dadurch werden Anreize zu weiterer Verschuldung unterbunden und die Hoffnung aus der Welt geschafft, Staaten könnten neue Kredite aufnehmen, deren Zahllasten aber auf andere Länder überwälzen. Die Euro-Gemeinschaft verspricht und hat Erfolg, weil sie eine rechtlich gebundene Währungsunion ist. Die Bundesrepublik Deutschland hätte dem Vertrag über die Währungsunion nicht zugestimmt, wenn diese rechtlichen Sicherungen nicht vorher verbindlich vereinbart worden wären. Die Unabhängigkeit der EZB ist ein besonderes Anliegen, weil die Stabilitätsbereitschaft, auch Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen Staaten und Finanzinstitutionen sehr unterschiedlich sind.
Die Finanzautonomie jedes Staates ist Voraussetzung für eine Demokratie, in der die Steuerzahler die staatlichen Rahmenbedingungen ihres Lebens und ihres Wirtschaftens finanzieren und in der sie selbst, repräsentiert durch ihre Abgeordneten, über die Staatsaufgaben, die Staatsausgaben, die Steuern und die Schulden entscheiden. Die Staatsschulden müssen beschränkt werden, weil ihre Lasten die heute noch wehrlose nachfolgende Generation betreffen und der Staat in Abhängigkeit von seinem Kreditgeber gerät. Staatsschulden sind unsozial, weil sie letztlich eher die Armen und weniger die Reichen treffen.