Essay

»gesehen von Karl Ove Knausgård«

Die »Edvard Munch«-Ausstellung im K20 Düsseldorf und Fragen zur politischen Kultur
Hamburg

»In der Kunst geht es ebenso sehr darum zu suchen wie darum zu erschaffen. Aber wenn es so ist, wonach? Nach Eingängen zur Wirklichkeit, nach Öffnungen zur Welt.«

Mit diesen Worten führt der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård in »seine«, und die Betonung liegt auf dem Possessivpronomen, also in seine Sicht auf den norwegischen Maler Edvard Munch. Eine groß angelegte Ausstellung im K20 in Düsseldorf, die der norwegische Bestsellerautor im Rahmen der letzten Frankfurter Buchmesse kuratiert hat und die noch bis Anfang März zu sehen ist. Auf den ersten Blick kein Grund, darüber zu schreiben – denn sowohl die Buchmesse mit dem Gastland Norwegen als auch die Ausstellung »Edvard Munch. Gesehen von Karl Ove Knausgård« sind bereits oder bald Vergangenheit. Wären da nicht die Ereignisse in Thüringen. Das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte. Genauer: Der Zuwachs rechtsextremer Tendenzen in diesem Land. Und damit auch ein Wandel der politischen Kultur, wie wir ihn derzeit erleben. Und vielleicht doch ein Grund über diesen Begriff und nicht zuletzt auch über die Bedeutung von Literatur und unseren Umgang mit ihr im Hinblick auf politische Kultur in diesen Tagen nachzudenken.

Bereits in den 60er Jahren formulieren die amerikanischen Soziologen Gabriel Almond und Sidney Verba in ihrer Studie »The Civic Culture« den Begriff der politischen Kultur; Hintergrund ihrer Untersuchungen ist damals die Frage, warum manche demokratische Systeme sich als stabil und andere als instabil erweisen. Aktueller könnte die Fragestellung derzeit nicht sein, ganz zu schweigen von möglichen Antworten. Unter politischer Kultur verstehen die beiden, grob formuliert, Leitlinien des politischen Handelns, die eine Gesellschaft prägen. In Almonds Worten:

»Every political system is imbedded in a particular pattern of orientations to political action. I have found it useful to refer to this as the political culture.« (In: Comparativ Political Systems, 1956)

Die Liste der Möglichkeiten, wie sich eine politische Kultur entwickelt, welche Faktoren eine Rolle spielen, ist lang und komplex – aber wir können davon ausgehen, dass der partizipative Teil auch von der Literatur bzw. dem literarischen bzw. dem künstlerischen Diskurs eines Landes geprägt wird. Das gilt für hierzulande, aber sicherlich auch für Norwegen, wo Karl Ove Knausgård mit seiner autobiografischen Bestsellerreihe eine Literatur in den Mittelpunkt stellt, die u.a. »erstaunliche Einsichten über Adolf Hitler zutage« fördere, wie in der Rheinischen Post vom 1. Oktober 2019 zu lesen ist. Im gleichen Zug wird Edvard Munch genannt, auch an ihn fände eine persönliche Näherung statt, gleichsam im Kuratieren der Ausstellung, die einem sonst verwehrt blieben. Eine schwierige Engführung dieser beiden Namen.

Das autobiografische Romanprojekt, von dem hier die Rede ist, hört auf Namen wie »Sterben«, »Lieben«, »Spielen«; nicht zuletzt geht es um »Kämpfen«. Und, zur Erinnerung, der norwegische Original-Titel lautet »min kamp«, also »mein Kampf«, jenes Buch, das nicht nur »erstaunliche Einsichten in die Welt Adolf Hitlers« bietet, sondern die Absurditäten und Grausamkeiten eines politischen Systems und seinen Werdegang beschreibt. Im Deutschen bleibt der Original-Titel des Autobiografie-Projekts unter Verschluss; mit Erscheinen des ersten Bandes nimmt hier eine literarische Erfolgsgeschichte einen Lauf, die »von wunderbarer atmosphärischer Dichte« laut Spiegel ist, oder ein Bekenntniswerk, das laut Volker Weidermann einen »Triumphzug um die ganze Welt angetreten« hat. Spätestens bei diesen Worten muss man sich fragen, ob hier nicht manches übersehen, vielmehr ausgeblendet wird. Dass es bei Knausgård zwar um stilistisch sicher, rasant beschriebene »große Flächen des Alleinseins« geht, steht hier außer Zweifel; ebenso, dass hier schon im ersten Band Sätze wie »Ein Nazi bin ich nicht, aber ich liebe das Braune« zu finden, zu lesen sind, und – wenig hinterfragt werden. Etwa von Angelika Klüssendorf, die bereits 2015 in der ZEIT einen »Einspruch gegen Karl Ove Knausgård« formuliert:

»Knausgård beschreibt auch Hitler so, wie sich Karl Ove im Roman Lieben teilweise wörtlich selbst beschreibt. Ich frage mich, ob es ihm unterlaufen ist. Aber ich sage mir, das kann nicht sein. Wenn es ihm unterlaufen ist, was folgt daraus?«

Ein Einspruch, der wenig ändert. Im Gegenteil: Karl Ove Knausgård und seine Ideen autobiografischen Schreibens werden wenig kritisch rezipiert. In der Literarischen Beilage der Welt zur Frankfurter Buchmesse schreibt Karl Ove Knausgård en plus einen Essay mit dem Titel »Das Heimatland«: Diesmal fokussiert er den norwegischen Nobelpreisträger Knut Hamsun, der mit »Hunger« eine der ersten psychologischen Studien geschrieben, eine neue Form des Schreibens etabliert hat, einen Roman, »der den Augenblick, und damit die Identität, in einer fast schon explosiven Expansion ausweitet«. Er widmet sich also jenem Literaten, der seine Nobelpreis-Medaille dem Nationalsozialismus gewidmet, sie seinerzeit Goebbels übergeben hat. Einmal mehr aber macht Knausgård in diesem Essay deutlich, dass Hamsun mit anderen Maßstäben einzuschätzen sei:

»Das Gespräch über Hamsun wird mit Argumenten geführt, und Argumente können nichts von dem einfangen, was in den Menschen geschieht, die seine Bücher lesen.«

Diese Art der Argumention (sic!) wiederum ist ein Freibrief gesellschaftspolitischen Handelns, auch für Knausgård; fast schwärmerisch endet dieser Essay mit Sätzen wie »Es ist nett, es mal gesehen zu haben«, und meint damit das kleine Schreibhäuschen von Knut Hamsun. Nett also, verharmlosend auch. Nicht zuletzt kuratiert er derart auch die aktuell noch zu sehende Ausstellung, in der er seine Sichtweise auf Edvard Munch zeigt, unbekannte Werke aus dem großen Fundus des norwegischen Künstlers präsentiert. Eine Ausstellung, die nahezu überall positiv besprochen, fast schon gefeiert wird. Eine Ausstellung auch, die mit Name-dropping lockt: Munch, gesehen von Knausgård. Eine Ausstellung, die nur mit Nummerierungen arbeitet, weder Titel noch Entstehungsjahr des Werks sichtbar verzeichnet; eine Auflösung findet sich erst im Beiheft. Das ist auf den ersten Blick charmant, weil man sich tatsächlich auf die einzelnen Bilder komplett einlässt. Bildwelten, die Knausgård nahezu monothematisch anordnet: Bäume (»Der Wald«), Porträts (»Die Anderen«), Holzschnitte etwa. Ein eindrücklicher, munchscher Kosmos, der sich das erste Mal auf diese Art und Weise öffnet. Das funktioniert gut, ist ungeheuer interessant, hinterlässt auf den zweiten Blick aber auch eine große Leerstelle. Will heißen: Liest man nicht den gleichzeitig erschienen Essay-Band »So viel Sehnsucht auf so kleinem Raum« (Luchterhand 2019) von Knausgård, so erfährt man innerhalb der Ausstellung nur wenig über Edvard Munch. Wenig Biografisches, wenig über die schwierigen Lebensjahre ab 1933. Etwa, dass Edvard Munch von den Nationalsozialisten gebrandmarkt, sein ausgezeichnetes Werk als »entartet« geschmäht wird. Mehr als 80 seiner Werke beschlagnahmt werden. Gesellschaftspolitische Entwicklungen, die diesen Künstler 1944 auch in Vereinsamung und Verarmung sterben lassen. Darüber aber schreibt Knausgård nicht in der literarischen Beilage der Welt, auch nicht im Beiheft zur Ausstellung. Im Gegenteil: Eine Engführung von Edvard Munch mit unserer gesellschaftspolitischen Realität – weder mit der Vergangenheit noch mit der Gegenwart – findet nicht statt; weder von innen, noch von außen. Eine große Leerstelle, die aber gerade in diesen Tagen dringend gefüllt werden sollte. Mit Erinnerung. Mit Sichtbarkeit. Mit einer klaren Haltung gegenüber dem gerade stattfindenden Wandel unserer politischen Kultur.

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