Weltpoesie
Die ersten beiden Aprilwochen verbrachte ich auf einem Poesiefestival in Indonesien. Das Format war ungewöhnlich: 28 Dichter aus allen Kontinenten (bis auf Südamerika) und 20 wechselnde Dichter aus Indonesien tourten durch Java. Eine „creative caravan“, eine Riesenreisegruppe: Pressekonferenzen, abendliche Lesungen, Diskussionen an Universitäten oder in christlichen und muslimischen Colleges. Aufregend, divers, anstrengend und eigen. Einmal auf einer Tagfahrt von Malang nach Surabaya fuhr dem Dichterbus, der eigens mit dem Logo des Festivals lackiert worden war, für die gesamte zweistündige Strecke ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene voraus.
Immer wenn er in Berlin eine Polizeisirene höre, schrieb Chirikure Chirikure, müsse er nun an Dichtung denken – und wirklich: wir fühlten uns seltsam, so wichtig und Teil einer etwas surrealen Blase, eine zusammengewürfelte, aber doch durch die Reise und die Arbeit verbundene temporäre Community. Der Weg des Busses zwischen den Spuren, die laute Sirene voran, machte, so erging es zumindest mir, etwas fühlbar und sichtbar von dem seltsamen Status „Dichterin“ in dieser Welt.
Das aber war exakt das Problem. “Diese Welt“ gab es gar nicht mehr. Ich stieß auf so viele Poesien wie eingeladene Dichter mal Sprachen. Etwas, das sich ständig multiplizierte und immer anders war, nein, geschah, als erwartet bzw. für mich verständlich. Doch änderte sich mit der Zeit, welche Gedichte und Darbietungen mir gefielen, und ein paar Lichter gingen mir auf.
Wenn ich nun, mit Abstand, über die 14 Dichtungstage nachdenke, stoße ich als erstes auf die Sprache, die wir benutzten, um uns untereinander auszutauschen. So viele Fragen zur Poesie beantworteten wir auf Podien: da entstand das Bedürfnis, das auch untereinander mit einigen Abkürzungen oder Ausweitungen zu tun. Wir sprachen englisch miteinander. Unsere Gedichte waren im Vorfeld in Bahasa Indonesia, die Nationalsprache Indonesiens, übersetzt worden. Wir sollten die Originale lesen, die Übersetzungen wurden projiziert. Doch je länger wir fuhren, umso eher trug jeder auch wenigstens eines seiner Gedichte auf Englisch vor – damit die anderen Dichter es verstünden. Die Konvergenz der zahlreichen Sprachen ins Englische machte schlagartig etwas deutlich, das im Umgang mit Einzelübersetzungen oder Übersetzungen von mehreren Autoren aus nur einer Sprache versteckt bleibt: in den englischen Übersetzungen funktionierten tatsächlich eben jene Gedichte am besten, die der angloamerikanischen Gedichttradition nicht zu fern blieben. Also z.b. ein (gern raffiniertes, fragmentarisches) narratives Element enthielten.
Jeder Dichter weiß, welch intrikates (ja: intricate) „Geschäft“ das Übersetzen und Übersetztwerden ist. Hier aber zeigte sich darüber hinaus: weder harmlos noch „neutral“ ist die zunehmende Notwendigkeit, übersetzt zu werden – und im englischen Gewand zu erscheinen.
Zwei Fragen begleiten mich seither. Ich kann sie nicht beantworten, nur stellen:
Welche Rolle spielt es für das eigene Schreiben, dass wir (wenn wir) poetologische Diskurse auf Englisch führen? Der befruchtende und das Gehirn durchmischende Austausch mit anderen Dichtern von Vielfachher findet ja nicht in einer neutralen Sprache statt, sondern in einer aus der angloamerikanischen Poesie heraus entwickelten poetologischen Sprache mitsamt ihren Wertungen und Kriterien. Da ist narrative nicht gleich „Erzählung“, character nicht Charakter, sondern Figur oder Buchstabe, rhyme nicht Reim, nicht in dieser Bedeutung. Stark unterscheiden sich auch die Möglichkeiten von Sprachspiel, Sprachspieltradition; die Empfindlichkeiten der Sprachen (welche Verstöße genießen sie, welche „gehen gar nicht“).
Manche Gedichte waren so eigen, etwa indonesische Langpoeme, die Geistergespräche inszenierten, von der Aufführung unglaublichen Lachens lebten, performativ, aus oraler Tradition gespeist - sie ließen sich gar nicht in dieses System „übersetzen“. Das war gut so, sehr klar. Aber für „uns“, als deutsche Dichter, sieht die Situation anders aus.
Die zweite Frage: Indonesien ist ein riesiger Staat aus über 17.000 Inseln, auf denen 360 Völker von Eiland zu Eiland verschieden in weit über hundert Sprachen sprechen. In den 20er Jahren, noch zur Kolonialzeit der Niederländer, hielt man eine Sprachkonferenz ab und erklärte Bahasa Indonesia, eine Küsten- und Handelssprache, die sich im Austausch mit den benachbarten Malaien entwickelt hatte, zur Nationalsprache. Indonesier heute lernen ihre Muttersprache, sie lernen das (malaiisch-austronesische) Bahasa und je nach Bildungszugang andere Sprachen.
Derartige Multilingualitäten bestimmen die Sprachstruktur vieler Länder: man denke an Indien, China, Afrika. Die Bedeutung von „Muttersprache“ bekommt „fizzy fringes“: Wie seltsam, eine zu haben. Die erste Fremdsprache lernte ich mit zehn, sie blieb aufs Klassenzimmer und den Kassettenrekorder beschränkt. Das hat sich auch hierzulande verändert. Die indonesische Reise stellt mir Fragen nach dieser Entwicklung, nach der Auflösung, Hybridisierung und Beschleunigung von Sprache selbst in jenem Gebilde, das leichthin (und ganz schön schräg) „globalisierte Welt“ heißt, nach den Valeurs und Möglichkeiten von Eigenheit und Resistenz, Bereicherung und Vermischung. Im Deutschen gilt: Flug- und Schiffsverkehr, Technik und Naturwissenschaften: englisch. Forschung an Gehirnen, Körpern, Maschinen: englisch. Forschung an Menschen: englisch. Banking, Wirtschaftskommunikation: englisch. Da sind sie schon: der Sprachenteppich, die Mischsprecherei. Sie werden wachsen. Die Auswirkungen auf die Poesie werden sich zeigen. Wir können sie (er)finden.
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