Kolumne

Links und rechts und –?

Einst war der Staat eine Errungenschaft wider aus heutiger Sicht bürgerkriegsähnliche Zustände, wider „the condition of Man” als „a condition of Warre of every one against every one”, wie es in Hobbes’ Leviathan heißt. Eine Errungenschaft, die allerdings begann, die Unterdrückung aller durch wenige nur zu professionalisieren: „Der Ernährer aller Menschen ist Gott”, sagte man, wogegen die Kirche sozialkritisch wie meist nichts einwenden wollte, hinzuzufügen war aber: „und der Staat ihr Unterernährer.”

Dieser Affekt – so von Walter Benjamin formuliert – blieb: Der Staat ist, was also um der Menschen willen Anarchie fordere; aber so einfach ist es nicht, weil man weiß, was der Staat immer noch und immer mehr sein könnte: Ein Forum, worin der demos seinen Willen findet und zugleich jene, die dann Minderheit sind, schützt, etwas, das also altmodisch formuliert Einzelinteressen transzendiert. Und auch wenn man nicht mit den Übersetzungen des Volkswillens in deren Repräsentation im Staate einverstanden ist, electoral college als Stichwort, das ist ein Wert. Nicht „göttlicher Wille” noch Souveräne bestimmen, was wir wollen, wir tun es, in der kohärenten Umsetzung dieser Idee, was eigentlich zum Beispiel das Aufkeimen von Faschismus verhindern müßte.

Eigentlich, müßte..: Denn das bedingte, daß den Wählern sich mehrheitlich erschließt, inwiefern der Faschismus eigentlich eine Doppelstrategie ist. Man serviert darin einen als stark inszenierten Staat, der sich gegen Scheinprobleme wendet, während die Grundfrage: der Wille des demos und das Recht der Minderheit bagatellisiert werden. Zuletzt dient der Staat Privatinteressen, die Anarchisten, die die Faschisten sind, sind dies nur, bis sie Raum haben.

Dabei ist der Clou, statt eines Programms Dauerregung zu schaffen; wer meint, Trump schreie statt eines Programms, hat es nicht verstanden, das Unartikulierte und Laute ist schon, was er vorgibt – und die Hysterie seines Gefolges gestattet die Demontage des Staates, wo Reiche leben, die gegen die Armen jenseits der Grenze wie innerhalb der USA vorgehen, wo diese denn doch Interessen haben. Richter? Sogenannte!1

Dabei hat, was geschieht, eine Eigendynamik; weil man das Programm nicht so vorstellen kann, beschränkt man sich eben auf jene Erregung. Und „wenn sich aus diesem Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine einzige hohe, aber starke Stimme bilde(t)”, von der Kafka schreibt, sie schlüge „an das Ohr […], so, wie wenn sie fordere, tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör”, ist dann, mag es auch „keine Schaltstelle” geben, auf einmal eine Botschaft vernehmlich, indem aus des Führers unartikuliertem Bumsti! gelesen wird, was immer diesem sein Gefolge „zusprechen” will, so nun Kraus: insbesondere den „Wunsch […], daß bald auch das ganze Hinterland in Blut ersaufe.” – Folgerichtig ist der Demagoge von erheblicher Lautstärke, Undifferenziertheit und Unschärfe, wie Bauman schreibt, „»der perfekte Kandidat für unser virales Zeitalter«”, so Bauman, worin das Diffus-Erregte übrigens zudem auf nicht nur Menschen, sondern auch social bots trifft, die nur mehr dem Tragen der Schwingung dienen. Trump verdankt sich natürlich diesen Mechanismen mit.2

Lautstärke, Undifferenziertheit und Unschärfe; und der Rest ist Glückssache, man werde Hitler schon kontrollieren, man werde Trump schon zähmen – wobei die, die diese asoziale Nichtmehr-Politik wissentlich betreiben, anders als das Gefolge (samt Popanz im Führerbunker) mobil sind. Bis zum weltweiten Nuklearkrieg wird’s schon nicht kommen...

Insofern trifft Kehlmanns Analyse in der Zeit zu, aber auch nicht:

„Amerika ist gespalten. Aber nicht, wie es so oft heißt, in Rechts und Links; die Spaltung Amerikas verläuft zwischen den Orientierten und den Verwirrten. Sie verläuft zwischen allen, die noch einen politischen Prozess wollen, und den verhetzten Anhängern der radikalisierten Republikanischen Partei.”3

Man müßte ergänzen, daß es Orientierte gibt, die der Desorientierung zuarbeiten, die also sehr wohl rechts sind; und man müßte ergänzen, daß eine Linke, die an den Staat und seine Agenden und ihn als Möglichkeit erinnerte, Chancen hätte, wie Sanders wohl erkannt hatte, waren auch manche seiner Aussagen fragwürdig.

Nun aber haben wir den Popanz Trump, der ein Nicht-Programm und eine Nicht-Politik repräsentiert, darin höchst kompetent, selbst wenn er so inkompetent sein sollte, wie alle meinen; wobei er virtuos mit dem anarchistischen Reflex spielt, daß der Staat böse sei – und verschweigt, was auch andere leider nicht laut sagen: wieviel böser aber jedenfalls ein Staat ist, der zum Unternehmen umgebaut wird. Die da oben – die gibt es im Staat eigentlich nicht; daß es manchen so scheint, ist das Verschulden vieler, daß es manchen unabänderlich so zu sein scheint, ist das Verschulden der Bildungspolitik. Die da oben gibt es aber in dem, was Trump schafft oder, weil die Linke viel zu lange verschlief, wie Rechte dem Kapitalismus das Emanzipatorische exorzierten, zementiert.

Wir leben in Zeiten, in denen Angela Merkel fast schon linksextrem erscheint. Wenn wir Trump überleben sollten – dann sollten wir nicht nur aufatmen, sondern etwas zu ändern beginnen.

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