Kolumne

Neue Schulen

Redaktion: Der Beitrag wurde am 27.07.2017 um14.00 Uhr aktualisiert. Die Sätze sind fett gekennzeichnet.

Wir kennen Förderkriterien, die uns den Hals zuschnüren. Allerdings, und komischerweise fällt mir das Atmen sonderbar leicht! Meine Privilegien? Liegen auf der Hand. Ich habe mich zu Tode integriert. Meine Herkunft spiegelt sich im Namen. Gut, das führt Probleme im Alltag mit sich. Der literarische Alltag in diesem Land hingegen scheint reflektiert genug zu sein, um damit zumindest umzugehen – mit Ausnahmen. Ich habe es leichter als Mann, keine Frage. Meine Fehler werden verziehen, ich bin jung. Und meine Jugend scheint ein Kriterium geworden zu sein. Egal, wie sehr ich mich über stupide Einordnungen als Jungautor, Nachwuchsjungautor, junger Lyriker etc. aufregen möchte, ich kann nicht vergessen, was die Kehrseite dieser Einordnung mit sich führt. Die Frage – Was geschieht im Alter? Was geschieht, sobald ich die verhältnismäßig feste Fördergrenze von 35 Jahren überschritten haben werde? Die Antworten zeigen sich in Unmengen an Einzelschicksalen.

AutorInnen, die sich nicht für Literaturpreise bewerben können, weil sie aus einem fiktiven Altersraster herausfallen, haben es selbstverständlich schwerer, Aufmerksamkeit zu generieren, sich zu behaupten, sich generell in literarischen Kreisen zu bewegen. Zahlreiche Literaturstipendien, sogenannte Arbeitsstipendien mit Aufenthaltspflicht, sind auf ganz bestimmte Lebenskonstrukte ausgerichtet – im besten Falle alleinstehend, weder im festen Arbeitsverhältnis noch in einer festen Beziehung und schon gar keine Kinder bitte, denn wohin mit denen? Noch schwerer wird es, wenn AutorInnen im Alter vergessen werden. Wenn sie bis 35 nicht publiziert haben, dann, Gott behüte, wird es nahezu unmöglich. Mit 50 das Debüt? Mit 60? Das Misstrauen wächst. Ja, wir kennen die Ausnahmen, aber wissen wir, wie schwer sie es hatten, wenn sie nicht von Anfang an Teil gewisser Strukturen waren?

Wahrscheinlich (sicher) habe ich mich von Anfang an diesen Strukturen angepasst, denn ich wusste von Anfang an, es wird hilfreich sein. Mit 17 habe ich an der Schreibwerkstatt „Schreibzimmer Frankfurt“ für Prosa teilgenommen, mit 18 ebenda mit Lyrik, mit 19 Literaturlabor Wolfenbüttel der Stiftung Niedersachsen, das Treffen Junger Autoren mit 21, Beginn des Schreibstudiums an der Universität Hildesheim mit 21, mit 23 Deutsches Literaturinstitut Leipzig und Open Mike – um nur einige zu nennen. Nun bin ich 28, immer noch verdammt jung, immer noch passend für die meisten Förderkriterien und kann rückwirkend sagen – was hätte ich nur ohne diese Institutionen gemacht!?

Ja, all das war ungemein förderlich für mein Schreiben, ich habe viel gelernt, viele kennengelernt. Von vielem mache ich täglich gebrauch. Umso unerträglicher ist es für mich zu sehen, dass die Marginalisierung anderer Lebensentwürfe voranschreitet, die marginalisierte Menge scheint sogar die Mehrheit zu sein. Wäre mit dem Begriff Elitenbildung geholfen? Eigentlich nicht, denn die Jungeliten werden ebenso schnell wieder fallengelassen, wie sie aufgebaut werden. Dennoch haben es ältere AutorInnen schwerer.

Trotz aller Hindernisse bilden sich immer und immer wieder neue Strömungen in der Dichtung, neue Menschen tauchen auf und versuchen sich an der Wasseroberfläche zu halten. Es entstehen DichterInnenkreise, eigene Schulen, eigene Ökosysteme. In der Kolumne „Neue Schulen“ soll es darum gehen, diesen Menschen eine Schwimmhilfe zu leisten. Wenn schon keinen Rettungsring, so zumindest Schwimmflügel, so sie diese überhaupt brauchen und wollen. „Neue Schulen“ nimmt sich einen möglichen Aspekt heraus und macht sich zur Aufgabe, Gedichte von Dichterinnen ohne bisherige Eigenpublikation, die die unnötige Altersgrenze von 35 Jahren überschritten haben, vorzustellen und zu kommentieren. Es möchte einen Wahrnehmungsraum aufmachen und hineingeleiten. In den nächsten Wochen werde ich an dieser Stelle Beiträge über Dichterinnen (ja, ausschließlich Frauen) veröffentlichen. Natürlich ist mir bewusst, dass es Männer im Alter (überhaupt über Alter in diesem Sinne zu sprechen kommt mir banal vor) schwer haben, zu schwer. Dass es viele weitere Ausschlusskriterien gibt, die angegriffen werden sollten. Ich habe mich für den Anfang für das offensichtlichste entschieden. Auch, weil mir die überfällige Sexismusdebatte an den Literaturinstituten bestätigt hat, dass der Bedarf hier am größten ist.

Einige Dichterinnen, die hier vorgestellt werden sollen, kenne ich bereits. Die meisten sicherlich nicht. Daher nehme ich gerne, gemeinsam mit Olga Galicka & und Grit Krüger, Hinweise und Gedichteinsendungen an, unter Vorbehalt, versteht sich, denn es wird lediglich möglich sein, einen Ausschnitt zu zeichnen und einer kleinen Menge Menschen ein wenig mehr Raum zu geben.

Einsendungen bitte unter dem Betreff „Neue Schulen“ an neue.schulen@gmail.com 

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