Sieben Antworten auf eine nicht oder selten gestellte Frage
Intro
Wenn es gut läuft bei einer Lesung, gibt es gleich was zu trinken. Aber meistens kommen erst, unerbittlich angestoßen vom Moderator der Veranstaltung, die W-Fragen und gewisse standardisierte Antworten:
Seit WANN schreiben Sie? (schon immer)
WIE kommt man auf solche Ideen? (na ja, der Alltag liefert...)
WAS schreiben Sie zur Zeit? (immer den neuen Roman)
WO schreiben Sie am liebsten? (Kneipe/U-Bahn/ Hütte im Wald)
Eher selten in dieser Reihung kommt das WARUM. Warum schreiben Sie? Die Frage nach dem WARUM erscheint intim, übergriffig. Und wenn sie gestellt würde? Wäre ich vorbereitet?
1
Beginnen wir mit den eher historischen Gründen. Weil ich als Kind zu viel gelesen habe und dachte, dass man mit dem Schreiben berühmt wird? Variante: Weil ich berühmt werden wollte, aber nicht singen, relevant tanzen, Fußball spielen oder malen konnte? Und weil andere Möglichkeiten (wie Skandal, Eroberung von Ländern, Rettung von Menschenleben, das perfekte Verbrechen) außerhalb meiner Möglichkeiten zu sein schienen?
Nicht auszuschließen.
2
Weil die Gefahr bestand, irgendwann könnten alle Bücher ausgelesen sein. Alle Internatsromane, alle Karl May-Bücher, das ganze Nesthäkchen-Universum. Die Vorstellung, alle Bücher gelesen zu haben, keine mehr zu finden, jedenfalls nicht die richtigen, ist eine Vorstellung von Hölle (die von der kalten existenzialistischen Sorte), die schon sehr früh greift. Also schreibt man das Zeug selber, mit den vertrauten Zutaten (was beim Internatsroman recht einfach ist: nette und fiese Internatsmädchen, eine abscheuliche Direktorin, Mauern, über die man nachts ins Freie klettert, Entdeckungen, Geheimnisse). Angst vor dem Plagiat spielt hier noch keine Rolle.
Es ist auch ein bisschen Dankbarkeit dabei, denke ich. Eine ganze Kindheit mit Hilfe von Readers' Digest überlebt – da muss man auch mal was zurückgeben. Sommerabende bei der großen verheirateten Cousine, in dem chaotischen Siedlungshaus, wo die Erwachsenen Bowle und Schnaps tranken, der Boxerhund sabberte und draußen in der Voliere die Eichhörnchen tobten: Das Kind hatte sich in einer Ecke verkrochen und las die kleinen Bände, die laut „Amerika, Amerika“ riefen. Und unter jedem Bericht aus der heilsten aller Welten stand ein harmloser Scherz, den das Kind zu entziffern versuchte.
Man muss man sich doch irgendwann revanchieren, natürlich auch bei Wilhelm Genazino und Gottwalt Weber, Verfasser der „Fahrt nach der Zauberinsel“. Und die vielen Dankbaren (in Deutschland etwa 80000 pro Jahr ) tun das und füllen die Vorräte zuverlässig auf. Ich auch.
3
Weil es unterhaltsam ist. Während ich schreibe, langweile ich mich nicht. Mal von den ersten Seiten abgesehen (siehe unten Punkt 7), wenn die Sätze sich noch krümmen wie austrocknende Regenwürmer. Auf einmal sind da ein paar Figuren, denen man beim Leben zuschauen kann. Noch nicht so gut entwickelt wie in den dänischen Serien, die meine Abende verschlingen, aber schon seltsam präsent, stur und irrational bei aller liebenswürdigen Durchschnittlichkeit. Keine Helden, und nicht mal Antihelden. Da wäre dann noch ein weiteres ordentliches Motiv für das Schreiben: einem ganz bestimmten Menschentyp Raum geben in der Literatur, der (Vorsicht Klischee!) der kleine Mann genannt wird, der Normalo, der Alltagstyp. Versuchen wir genauer zu sein: der Mensch, den wir auf manchen Bildern der Maler der Neuen Sachlichkeit finden, ein bisschen kühl, ein bisschen unsicher, etwas verloren und doch entschlossen, bis zum nächsten Tag, bis zum Wochenende, bis zum Jahresurlaub mitzuspielen, durchzuhalten. Ernsthafte Leute zwischen Kino und Arbeitsamt, noch ahnungslos, was die kommenden Schrecken angeht, aber seltsam unerschütterlich im Hinblick auf die gegenwärtigen Schrecken.
Natürlich ist auch ein unsauberes Vergnügen dabei: zusehen, wie die eigenen Geschöpfe - lange gehören sie einem ohnehin nicht – stolpern, hässliche Dinge tun, sich übernehmen.
4
In der Bibel steht, dass man mit seinen Talenten wuchern soll. Ist das die positive Variante von „Ich kann nicht malen, tanzen usw.“? Was ist das für ein Talent? Ist es das, was sich zeigt, wenn das ansonsten unauffällige Kind schöne Aufsätze schreibt, mit Einleitung, Hauptteil, Schluss (oder auch inzwischen nach kreativeren Vorgaben), mit farbigen Adjektiven und anschaulichen Verben, und nicht nur Hauptsätze. Später wirft man dann alles Schmückende weg und pflegt einen minimalistischen Magerstil, auch wenn die darzustellende Realität nach barockem Schwung und Zierrat, nach atemberaubender Hypotaxe verlangt: hinunter in das Kleistsche Nebensatz-Stiegenhaus und wieder hinauf!
Vielleicht besteht das Talent des Schriftstellers eher in einem Gespür für Marktgängiges, für den Luftzug der dem Blick entschwindenden Avantgarde, einer Antenne fürs Zeitgenössische und der (eher handwerklichen) Fähigkeit daraus Sätze zu bilden, die bei ein paar Leuten Bilder hervorrufen. Bestünde dann das Talent womöglich darin, in fremden Köpfen herumzuwerkeln, Gefühle und Gedanken zu manipulieren?
5
Schreiben befriedigt niedrige Instinkte: Geltungssucht, Eifersucht, Eitelkeit (wenn es klappt), Machtgeilheit, Rachsucht. Joan Didion sagt, dass Schriftsteller immer jemand ans Messer liefern. Womit wir beim Problem des autobiografischen Schreibens und der Ausbeutung der Mitmenschen wären. Natürlich braucht und verbraucht der Autor die Menschen, die ihm über den Weg laufen. Literarische Figuren sind in Frankenstein-Manier recycelte Geschöpfe, mit denen wir einiges anstellen können, solange sie uns nicht aus dem Ruder laufen. Damit wäre auch die Hybris im Spiel...
Im Alltag tritt man uns schon mal auf die Zehen, missachtet uns. Wir erleben Kränkung, Zurücksetzung, Betrug – wie jeder Nichtschreibende. Aber wir haben eine Waffe, die nicht jedem zur Verfügung steht: wir machen eine Geschichte daraus. (Man beachte, wie sich die Autorin dieser Zeilen, die sich zunächst hinter dem geschlechtsneutralen „Autor“ oder „Schriftsteller“ verborgen hat, unter dem auktorialen Zottelpelz des WIR verkriecht).
Wir müssen keine Autoreifen aufschlitzen, keine Drohmails schreiben, nicht mit Torten oder Weißbier werfen: Wir warten ein Viertelstündchen, besser ein Vierteljährchen, bis das Ganze einmal durch unseren psychischen Haushalt gereist ist, und machen eine Geschichte daraus, natürlich ausreichend verfremdet, gerne mit Perspektivwechsel, und stellen unsere Hassobjekte und Nervensägen an den literarischen Pranger. Wenn wir gut sind, erkennt sich die Unperson (ohne uns etwas nachweisen zu können), erkennen auch noch ein paar Knappen aus der jeweiligen Hausmacht, wer und was gemeint ist – und der Rest hält das Erzählte einfach für Text.
6
Womit wir fast übergangslos beim nächsten Argument sind: Ich schreibe (Achtung: wieder Wechsel des Pronomens), weil es mich vor der „Welt“ schützt. Ganz konkret vor Gewäsch, Geplauder, Gespräch, vor dem Austausch von monologischen Manifesten, der sich als Gespräch ausgibt. Zurücklehnen, zuhören, innerlich notieren; nein, die Zeit ist nicht verloren, wer weiß, wofür ich das brauchen kann. Es ist eine Art ziemlich bequemer Recherche: Herumsitzen, langsam(!) trinken, ab und zu ans Buffet gehen, lächeln, abspeichern. Das schützt sogar im öffentlichen Raum vor Wutausbrüchen. Wenn im ICE der Mann in der Sitzreihe hinter dir seine Privatvorstellung am Handy gibt, denn er fährt zu einer Großhühnerzüchtertagung und muss aber nochmal im Betrieb anrufen und Maike fragen, wie viele Eier es denn von Januar bis Juni waren. Es waren 892000 Eier, sagt die Hühnerschänderassistentin Maike ihm und er wiederholt es mehrfach. Und wenn alte Leute von ihren Enkeln und Beschwerden erzählen und junge Leute so reden wie sie eben reden, musst du nicht genervt schauen und dir die Ohrstöpsel tief ins Gehirn rammen, du schreibst einfach mit.
Interessanterweise ist es schwieriger im allgemeinen Gerede zu lesen als zu schreiben. Was sagen die Gehirnforscher dazu? Wird, wenn ich schreibe, mehr von meinem Gehirn aktiviert, sitzt in meiner schreibenden Hand (meinetwegen in beiden Händen) etwas, das sich aufklappt und mich abschirmt, Reize abfängt, wenigstens abmildert?
Ich schreibe also, weil in meine Schreibwelt nicht jeder eindringen kann, nur ein paar Schatten den Produktionsort umschwirren, sich zurückziehen vor den langen schwarzen Linien, die wie eine Reihe Schneckenkorn den Salat schützen. Mein schreibendes Hirn ein Salat? Warum nicht, bei Charles Simic ist es ein halbierter Wirsing, der ihn an ein Gehirn erinnert.
7
Ach, es ist viel einfacher zu sagen aus welchen Gründen man nicht schreibt, also unzulässige, unzuverlässige Begründungen anzuführen und zu verneinen. Ich sage und das ausdrücklich in der ersten Person: Ich schreibe nicht um die Welt zu retten („To make the world a better place“). Der durchschnittliche Autor ist auch nicht schlauer als der durchschnittliche Physiotherapeut oder die durchschnittliche Landschaftsgärtnerin. Das Retten der Welt ist a) ohnehin nicht möglich und b) eine ernsthafte Aufgabe und erzähltechnisch nicht zu bewältigen. (Große Autoren sind natürlich davon ausgenommen, ich rede von uns anderen). Es gibt Greenpeace, Betriebsräte, Ärzte ohne Grenzen, kleine Stadtteilinitiativen und die eine oder andere Partei. Der durchschnittliche Schriftsteller kann hier nützlich sein, wenn er Flyer und Manifeste korrigiert, Protokolle in eindeutigen Sätzen formuliert und ein bisschen auf die Einhaltung der gerade geltenden Rechtschreibung achtet.
Schreiben ist auch keine Therapie. Schreiben ist Schreiben und Therapie ist Therapie. Wenn Christa Wolf sagt „Weil ich nur schreibend über die Dinge komme“, ist das immer noch keine Therapie, sondern ein Vorgang zwischen dem Ich und den Dingen. Und es gibt so viele Dinge: Verluste (Menschen, Rucksäcke, Gedächtnis), das Mittelgebirge, Vorahnungen, Balkonblumen, die nicht blühen wollen. Das Gefühl, im Jahr 1928 im weißen Kleid mit Freunden auf einer Terrasse zu sitzen und zu denken, die Welt bleibe schön und offen und man werde sie erleben.
Ich schreibe auch nicht, weil es Spaß machen würde. Es macht einfach keinen Spaß, jedenfalls nicht vor Seite 30, auch wenn es irgendwann doch unterhaltsam wird (siehe oben Punkt 3). Am Anfang ist das Papier leer, schön leer, wenn es Papier aus einem feinen Papierladen ist, und dann steht da bald etwas Unbeholfenes, das den Kern nicht trifft. Bei den nächsten Sätzen wächst die Ahnung, dass es den Kern nicht gibt. Ähnliches passiert, wenn man am Computer schreibt: schmutzigweiße Leere mit viel Symbolleistengeklingel oben, unten und an den Seiten, die ersten Wörter links oben sehen aus, wie ausgesetzte Kinder im Death Valley. Man könnte stattdessen schlafen, die Wäsche machen, auf einen Berg steigen. Man fragt sich, wozu das Ganze und wie es wohl die anderen schaffen, dass immer so erfolgreiche dicke Textmassen aus ihnen herausquellen.
Und damit sind wir wieder beim GROSSEN WARUM.
Weil nun nicht mehr viel bleibt und wir uns der Wahrheit nähern sollten, kann ich mich kürzer fassen:
Weil ich einmal damit angefangen habe.
Weil da eine Geschichte erzählt werden muss (man weiß noch nicht, welche).
Weil wir es können.
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