Kolumne

[Barbi Marković , Ausgehen] My white male bookshelf #11

Vor einer Weile habe ich alle Bücher männlicher Autoren in meinem Bücherregal umgedreht. Man sah statt bunter Buchrücken fast nur noch die Seiten. Mein Regal war weiß geworden. Seit dem lese ich nur noch weibliche Autorinnen. In der aktuellen Ausgabe steht My white male bookshelf  bei Philipp Scholtysik; Autor, Dramaturg.

My white male bookshelf steht bei Philipp Scholtysik; Autor, Dramaturg.

Das Schöne am Lesen ist ja bekanntlich, dass man sich das Ganze immer auf irgendeine Weise vorstellen muss. Alle lesen also ihr eigenes Buch, weil sie sich die Figuren und die Umgebung anders vorstellen. Und immer wieder findet man Ausdrücke, die einen irritieren, weil man sie nicht kennt, sie offenbar in eine andere Zeit gehören und diese Zeit völlig anders ist als die eigene Gegenwart. Ich habe zum Beispiel immer noch keine Ahnung, was eine »Anglaise« ist, was ein »Trumeau« (ein besonders schwerer Schrank bei besonders nervigen Umzügen?) und was ein »Pannier«. Umgekehrt wundert man sich, warum die Figuren in vielen Romanen kein Smartphone besitzen, nicht mal einen Walkman.

Was ich lese, stelle ich mir mehr oder weniger doch in der Gegenwart vor. Wronski aus Anna Karenina trägt in meiner Vorstellung zum Beispiel weiße, knöchelhohe Turnschuhe eines bekannten Sportartikelherstellers. Dazu Bluejeans, die zwar nicht gerade baggy sind, aber auch nicht gerade eng. Er trägt ein sportliches, eng anliegendes Oberteil, hat mittellanges Haar … und so weiter. Eigentlich müsste man einiges neu schreiben und dabei Wörter wie »Trumeau« austauschen - zum Beispiel gegen »Billy«.

So ähnlich arbeitet Barbi Marković in »Ausgehen«, das 2009 bei Suhrkamp erschienen ist und von Mascha Dabić aus dem Serbischen übersetzt wurde. Natürlich geht es ums Ausgehen:

»Während ich, bevor Bojana vom Clubben genug hatte, nur am Samstag mit Milica ausgegangen bin, gehe ich jetzt, nachdem Bojana vom Clubben genug hat, auch am Sonntag mit Milica aus.« (S. 7)

Drei Personen: Bojana hat genug vom Clubben und »klebt vor der Glotze«. Die Erzählerin und Milica gehen zusammen im Belgrad der 00er Jahre aus - und darum geht es in den knapp hundert Seiten: Aufeinander folgende Clubbesuche und alles was drum herum geschieht und worüber gesprochen wird. Clubben ist auf Wiederholung angelegt; genau wie die elektronische Musik, die die drei hören und die Marković in Titelsequenzen, die den Text unterbrechen, nennt:

»speedball baby - blitzkrieg bop dj hell - ebhm cd 1 - 04 - the juan maclean - you can't have. Dj Kicks- Stacey Pullen\Kosmic Messenger - the death march. Dj Deetron - Promo mix for Music Man rcd\Track 13« (S. 10)

Auch der Stil der Erzählung ist auf Wiederholung angelegt: »Weil Bojana am Sonntag mit mir ausgegangen ist, gehst du jetzt, nachdem Bojana am Sonntag nicht mehr mit mir ausgeht, auch am Sonntag mit mir aus, sagt Milica, nachdem Bojana jetzt genug hat und vor der Glotze klebt.« (S. 7), geht es nach dem ersten Satz weiter.

Wer bei diesem von Wiederholung geprägten Stil nicht nur an Techno, sondern auch an Thomas Bernhard denkt, hat Recht: Denn darin besteht das Konzept von »Ausgehen«. Marković hat die Erzählung »Gehen« von Bernhard zum Ausgangspunkt genommen und einen Remix daraus geschrieben. Insofern hat auch Recht, wer bei Bernhards Stil schon immer an Techno gedacht hat.

Barbi Marković stellt ihrem Band eine Seite voran, auf der sie ihr eigenes Konzept offenlegt: Sie zitiert einen Bernhard-Absatz und zeigt, welche Wörter sie ausgetauscht hat: Möglichkeiten werden zu Musikstilen, Empfinden wird zu Sichzudröhnen und Hinundhergezogenwerden zu Sichunterhalten.

Aus Bernhards Wortschatz, in dem zwar kein »Trumeau« und keine »Anglaise« vorkommen, der aber trotzdem nicht ganz in die Gegenwart passt, wird einer, der sich perfekt in die Club-Kultur der 00er Jahre einfügt. Auch das trägt schon eine historische Patina, was nicht erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass die serbische Originalausgabe von »Ausgehen« schon 2006, also vor der Markteinführung des ersten Smartphones, erschienen ist.

Freitag-Taschen, der ewig bekiffte Miloš, den alle für ein Genie halten, der aber eigentlich nichts zu sagen hat, Unmut über Diskussionen, in denen zu oft »Postmoderne« gesagt wird, Bojana, die, nachdem »sie vom Clubben genug hat« nur noch vor der »Glotze« sitzt. Alles Dinge, Personen und Medien, die schon nicht mehr aktuell sind. Gerade das lässt einem noch mal deutlich werden, wie seltsam und gleichzeitig spannend die Tätigkeit Lesen eigentlich ist, dass man bei ihr immer wieder auf »Trumeaus« stößt.

Trotzdem - und das ist das Großartige an »Ausgehen« - ist das Buch nicht nur ein konzeptuelles Gedankenspiel. Es macht wirklich Spaß zu lesen und man vergisst dabei immer wieder das Konzept, also die Tatsache, dass dem Text der von Bernhard zu Grunde liegt. Das hängt damit zusammen, dass Markovićs Konzept sich in Inhalt und Stil spiegelt: Remix, Wiederholung, Style. Die Autorin macht genau das mit dem Text, worum es den Figuren geht. Es ist nicht verwunderlich, dass die Clubberinnen bevorzugt Second-Hand Klamotten tragen. Der Text selbst ist ja auch nicht original, sondern gebraucht.

Dazu passt auch, dass »Ausgehen« eben keine Originalausgabe, sondern eine Übersetzung ist und Marković mit einer Übersetzung von Bernhard ins Serbische gearbeitet hat. Auf Deutsch liest man Marković übersetzt, Bernhard also rückübersetzt – kein Original.

Dabei geht es den Clubberinnen die ganze Zeit um Originalität, um Coolness und um Distinktion. Originalität und Wiederholung, da beißt sich die Katze in den Schwanz und das weiß auch Bernhard genau, beziehungsweise, da sind sich Bernhard und Markovićs Milica offenbar einig:

»Die Kunst gegen die Clubs zu clubben, sagt Milica, ist die Kunst, die die schwierigste ist. Gegen die Clubs, in die wir ausgehen, auszugehen, heißt, gegen das Unerträgliche und gegen das Entsetzliche ausgehen, sagt Milica. Wenn wir nicht immerfort gegen die Clubs, in die wir gehen, ausgehen, sondern im Einklang mit den Clubs, in die wir gehen, sagt Milica, gehen wir in der kürzesten Zeit zugrunde.« (S. 13)

Die Stelle könnte man genauso gut auf den ganzen Text selbst übertragen: Gegen Bernhard geschrieben und trotzdem geht man irgendwie auch in Bernhards Text - genau wie die Kleidungsstile der Figuren, die einerseits individuell sind, sich aber irgendwie doch in ein Größeres Fügen. Style und Stil decken sich, und das macht »Ausgehen« zu der konsequentesten Pop-Erzählung, die ich je gelesen habe.

Zur Lektüre lässt sich ideal einer der Titel aus den eingefügten Playlists hören. Erstaunlicherweise passt Techno wirklich gut zu Bernhard - oder eben zu Marković. Man könnte natürlich auch die Erzählung von Bernhard danebenlegen, parallel lesen und vergleichen - ich hab's nicht gemacht. Werde ich auch nicht. Dazu macht »Ausgehen« viel zu viel Spaß.

 

***

Barbara Markovic
Ausgehen
Aus dem Serbischen von Mascha Dabic
12 Euro
Erschienen: 20.04.2009
edition suhrkamp 2581, Taschenbuch, 96 Seiten
ISBN: 978-3-518-12581-6

 

 

 

Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge