Dichtertotenbriefe

Briefe an H wie Heine

Johanna Hansen schreibt an Heinrich Heine

Sehr verehrter Heinrich Heine,

wissen Sie, dass es einen Intercity Heinrich Heine gab? Der Zug pendelte jahrelang zwischen Frankfurt und Dortmund. Zur gleichen Zeit fuhr in der Gegenrichtung der Intercity Johann Wolfgang Goethe. Ich stelle mir gerade ein Treffen zwischen Ihnen und Goethe auf halber Strecke vor….und ziehe bei dem Gedanken daran lieber schnell Ihre „Reisebilder“ aus der Tasche. Ganze Passagen daraus lernte ich auswendig. Manche Sätze begleiten mich bis heute.

„…man goß mir die Hölle ins Herz, daß ich Gift weinte und Feuer seufzte, man kroch mir nach bis in die Träume meiner Nächte.“ „ Ich glaube nicht mehr den süßen Lügen der Nachtigall, der Schmeichlerin des Frühlings. Ich weiß wie schnell seine Herrlichkeit verwelkt, und wenn ich die jüngste Rosenknospe erblicke, sehe ich sie im Geiste schmerzrot aufblühen, erbleichen und von den Winden verweht.“ (Die Stadt Lucca)

Weil sich unsere Wege immer wieder kreuzen, muss ich Ihnen einfach schreiben. Dabei liegen inzwischen mehr als hundertfünfzig Jahre zwischen uns. Aber was macht das schon angesichts Ihrer Poesie. Ich schaue auf die Landschaft Ihrer Ideen von einer Welt, die auf den Menschen ausgerichtet ist. Ihnen verdanke ich eine besondere Art der Zeitreise, die ich fast überall fortsetzen kann.

Ich brauche dazu nur durch Ihre Augen zu sehen.

Wie das geht, haben Sie mir schon im Französischunterricht gezeigt.

Dort brachten Sie die gezähmte Sprache, in der ich aufwuchs, ins Wanken. Durch Ihre Polemik, die kein abgeschlossenes Kunstwerk mehr vorweisen will, stürzten meine literarischen Vorbilder von ihren Podesten. Das hat mich freier Lachen und Nachdenken lassen.  Auf einer Klassenfahrt stand ich schließlich an Ihrem Grab in Paris. Dann traf ich Sie an der Bonner Universität wieder, wo Sie bereits vor mir studiert hatten, wenn auch nur kurz.

Ich las in Ihren Schriften, während hin und wieder Tauben durchs geöffnete Fenster der Bibliothek flogen und über die Tische flanierten. Auf der Suche nach Futter – wie ich- spazierten sie zwischen den Büchern bis in „Die Nordsee“ hinein, während ich zusammen mit Ihnen liebeskrank aufs Meer starrte. Wie Sie die Regeln des angeblich guten literarischen Tons so mir nichts dir nichts ironisch über Bord warfen, ließ mich aufatmen. Sie führten literarische Debatten zugleich als politische.

Die Schärfe, mit der Sie einen Neuanfang für die Literatur forderten, traf auf meinen Hunger nach Wahrheit. Ich war aufgewachsen in der mit Kopfschmerzen verknoteten Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit. Die Lektüre Ihrer Bücher war ein Ausweg daraus. Dafür und für Ihren Abschied von der Romantik legte ich Ihnen meine Examensarbeit zu Füßen.

Ich liebte die Art, wie Sie die Berichterstattung als Kunstform etablierten und die Sprache über den Rand hinaus schrieben, den eine Zensur zu tolerieren bereit war. Im Gegensatz zur ehemaligen Direktorin meiner Schule. Ich traf sie zufällig auf der Straße und erwähnte Ihren Namen. Sie rümpfte die Nase. Weshalb, das können Sie sich sicher denken.

Welchen Mut Sie hatten. Sie wurden abgelehnt wegen Ihrer Religion und der Brisanz Ihrer Kritik und glaubten dennoch an die Entwicklung des Menschen zur eigenen Göttlichkeit. Ihre Bücher wurden zu Scheiterhaufen aufgetürmt und angezündet. Sie nahmen Stellung zu den großen Fragen Ihrer Zeit, forderten die Überwindung nationaler und sozialer Schranken. In Paris litten Sie an Heimweh für den Rest Ihres Lebens.

Was mir an Ihnen besonders gefiel: Sie blieben sich bis in die „Matratzengruft“ treu. Mehr noch. Sie rissen den Deutschen  ihre Schlafmützen weiterhin vom Kopf. Auch wenn heute eine andere Mode herrscht als zu Ihrer Zeit: Ich schwamm in Ihrem Fahrwasser. Was ich las, klang so frisch, als wären Sie gerade eben zur Tür hinaus. Trau dich, schrieben Sie mir. Es geht um nichts Geringeres als um Emanzipation.

Über Ihr Verhältnis zu Frauen machte ich mir zu der Zeit noch nicht so viele Gedanken. Wahrscheinlich war ich einfach zu vertraut damit, als Frau keine besondere Rolle zu spielen. Ich wurde noch im Nähen von Knopflöchern und Kissenbezügen ebenso ausgebildet wie in intellektuellen Fächern.
Ambivalenz gehörte zu mir wie zu dem Frauenbild, das ich bei Ihnen zu entdecken glaubte. Die Frauen in Ihren Büchern waren oft so merkwürdig kopflos und häufig aus Marmor oder Ewigkeit gemacht, selbst wenn Sie nach Rosen dufteten. Darüber sah ich hinweg. Denn Ihre Sprache machte süchtig.

Vielleicht war das der Grund, weshalb ich nach Düsseldorf zog.

Ich lebe gern in Ihrer Geburtsstadt.

Sie würden die Bolker Straße kaum wiedererkennen. Ihr Elternhaus beherbergt jetzt eine Buchhandlung, in der  bedeutende literarische Größen zu Lesungen gebeten werden. Das Haus liegt fast wie ein Fremdkörper innerhalb der Altstadt mit ihren Touristen, Bars und Brauereien. Sie würden sofort verstehen, was ich meine, wenn Sie mich dorthin begleiteten. Wir könnten zum Burgplatz spazieren, irgendwo einen Cocktail trinken und den Mond aufgehen lassen über dem Rhein.

Sie steckten mir einen Knopf mit silbernem Anker drauf als Münze in die Tasche.

Die Nacht würde die schwarzen Daumen drehen. Ich streifte mir Handschuhe aus Mondschein über und legte Ihre Gedichte als Pfand zwischen uns. Sie würden mich sorglos singen mit Ihren Liedern. Mich einfach zerkrümeln mit raschen Fingern.

Mittlerweile ist Düsseldorf ziemlich gewachsen. Allein der Stadtteil Unterbilk, wo ich lebe, hat mindestens so viele Einwohner wie zu Ihrer Kindheit die gesamte Stadt. Wenn ich Ihnen das Heinrich-Heine-Institut zeigen könnte, das über Ihre Werke wacht, und von dort mit Ihnen Richtung Schwanenmarkt schlenderte, könnten wir uns zusammen vor dem Heine-Denkmal von Bert Gerresheim fotografieren lassen. Es gibt eine Reihe von Denkmälern in der Stadt, die Ihnen zu Ehren und oft nach langen Diskussionen aufgestellt wurden, aber der gespaltene liegende Bronzeschädel ist ein wirklich beeindruckendes Monument sowohl Ihrer „Zerrissenheit“, als auch derjenigen Ihrer Leser.

 „Bleibt nur in meiner Brust. Ihr Schmerzen! Ihr findet nirgends ein besseres Unterkommen. Ihr seid mir lieb und wert, und keiner weiß euch besser zu hegen und zu pflegen als ich, und ich gestehe euch, ihr macht mir Vergnügen. Und überhaupt, was ist denn Vergnügen? Vergnügen ist nichts als ein höchst angenehmer Schmerz.“ (Reise von München nach Genua)

Durch Ihr Herz ging „der große Weltriß“, (Die Bäder von Lucca), Ausdruck eines Lebensgefühls zwischen Hoffnung und Resignation. Darin erkannte ich mich wieder. Ich träume von Ihnen. Ihren Utopien.

„ Die Steine werden Pflanzen, die Pflanzen werden Tiere, die Tiere werden Menschen und die Menschen werden Götter werden.“ (Die Stadt Lucca)

Dreiundzwanzig Jahre lang dauerte der Ihrem Ansehen angemessene Streit um die Namensgebung der hiesigen Universität. Sie polarisieren. Nicht zuletzt deswegen sind Sie so lebendig. Auch auf dem Campus vor der Universitäts-und Landesbibliothek weist eine Heine-Plastik auf Ihre Präsenz in Düsseldorf hin. Es sieht so aus, als behielten Sie die Literatur und die, die sich ihr widmen, im Auge. 

Nächstes Jahr komme ich für zwei Monate nach Paris, um „Französische Zustände“ an Ort und Stelle auf mich wirken zu lassen. In werde in einem Atelier nahe der Seine wohnen und arbeiten. Was für eine Gelegenheit, Sie wiederzusehen.

Zu gern würde ich Sie zum linearen und zyklischen Geschichtsmodell in Ihren „Reisebildern“ befragen und klären, weshalb die Figur der „toten Maria“ dort herumspukt. Wie wäre es mit einem Treffen im Quartier Marais? Oder auf dem Montmartre? Bringen Sie unbedingt Ihren „Romanzero“ mit.

Bis dahin
immer Ihre
Johanna Hansen

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