Kultursalon Madame Schoscha

Brief aus Berlin [24]

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha: Serenaden und Sirenen, Altobelli schreibt an Thomas Reger
Berlin

Madame Schoscha lebt jetzt schon eine Weile in Barcelona. Ihr alter Bekannter, Herr Altobelli, weiterhin in Berlin. Beide leben sie in einer ganz eigenen Zeit. Und dennoch in dieser Welt, worüber sie sich gegenseitig berichten. Sie schreiben sich Briefe. Im monatlichen Wechsel flattert ein Brief aus Berlin oder Barcelona herein und vereint die aktuelle, kulturelle Erlebniswelt der beiden. Ganz wie im gleichnamigen Kultursalon Madame Schoscha, der sich mehrfach im Jahr an wechselnden Orten zusammenfindet, geben sich die beiden Auskunft über ihre Entdeckungen aus Kunst und Alltag.

Aktuell ist ihr Kontakt merklich abgeflaut. Darum ist es gut wenn sich hin und wieder auch alte Weggefährten zu Wort melden. Zuletzt war es erstmalig ein Thomas Reger aus Chemnitz, von dem Altobelli viele Jahre nichts mehr gehört hatte.

Illustration: Larisa Lauber

 

Mein lieber Reger,

mit vielem hatte ich im alten Jahr noch gerechnet, aber sicher nicht mit Post von Ihnen! Beim ersten Lesen hatte ich es für einen provokanten Scherz eines Kultursalonveteranen gehalten, der mich aus der Reserve locken wollte. Dabei habe ich doch nicht einmal gedient. Wollte mir hier jemand zu verstehen geben, dass ich noch nicht alt genug sei, um mich als bescheidener Kulturförderer bei Kamingesprächen auszuruhen? Sollte ich damit höflich ermahnt werden, mich wie zuletzt in Studienzeiten wieder intensiv um Inhalte zu kümmern? Der Brief landete erstmal in der Zwischenablage meines Schreibtisches und blieb dort über den Jahreswechsel. 

Beim zweiten Lesen war ich aufnahmefähiger und spätestens bei der Erwähnung von Andrew Marvell klingelte der Regersche Tonfall unverkennbar in meinen Ohren. Es gab nur einen Menschen auf diesem Planeten, der sich an diese Seminararbeit erinnern konnte und wollte.
Ich selbst habe das zugegebenermaßen uninspirierte Werk nach Studienende in einem theatralischen Akt dem Feuer übergeben.

„And into ashes all my lust“ 
(aus: To His Coy Mistress, Andrew Marvell)

Beeindruckend ausdauernd scheint Ihre Lust, Zettels Traum ins Französische zu übertragen. Ich werde in meiner verbleibenden Lebenszeit wohl allenfalls die deutsche Fassung durchblättern und mehr betrachten als lesen. Falls Sie dieses Lebensprojekt jemals abschließen sollten, steht sicherlich eine Zeitenwende an. Vielleicht werden Sie in diesem Moment Charon als Fährmann der Unterwelt in seinem Binsenboot ablösen. Angeregt durch Ihre Begeisterung für Arno Schmidt habe ich mir dann seine Endzeiterzählungen Leviathan und Schwarze Spiegel aus dem Regal gegriffen. Für seinen dort vehement vorgetragenen Kulturskeptizismus gab es seit Jahresbeginn schon genügend Anlass. Auch wenn sie inzwischen nur alle zwei Wochen Zeitung lesen, werden Ihnen die Attentate von Paris und die Drohkulissen aus Russland nicht entgangen sein. Unter dem Eindruck der gezeigten Schreckensszenarien haben mich Ihre offenen Fragen nach dem Großstadtleben und hippen Lyriklesungen für eine Weile ratlos gemacht. Die Lyrik hatte Pause. Auf die zahlreichen Solidaritätsbekundungen im Namen Charlies folgten auf schnellem Fuße die Ressentiments geladenen Debatten auf allen Kanälen. Als wenn man jemals an einem versöhnlichen Punkt zusammentreffen könnte, wenn die Glaubwürdigkeit von fanatischen Eiferern oder die Feinfühligkeit von Satirikern diskutiert wird. Es ist kein gutes Zeichen wenn selbst geschulte Journalisten in die Propagandafalle tappen und sich als „Infokrieger“ vereinnahmen lassen.    
Für eine geduldige Diagnose fehlt ohnehin die Zeit. Dafür sind die Internetverbindungen zu schnell und die nächsten Twittermeldungen warten auch schon. 

Irgendwann fand ich meine Geschwindigkeit wieder und entdeckte ein Gedicht, dass der deutschstämmige Anwalt Max Ehrmann 1927 in den USA verfasst haben soll. Es heißt Desiderata und formuliert schlichte Lebenssätze, die gleichsam für Gläubige und Ungläubige gelten:

„Therefore be at peace with God, whatever you conceive Him to be.“

Antworten auf große Fragen fallen seit der Moderne bekanntlich nicht mehr einfach vom Himmel. Und so schwingt bei dem Satz auch gleich die Befürchtung mit, dass einige Menschen die starke Empfindung haben, mehr im Frieden mit Gott zu sein als andere. Vielleicht sollte man sich dafür einsetzen, den Komparativ für friedlich abzuschaffen. Friedlich ist doch voll und ganz genug. Meinen Sie nicht auch?
 
Beim kürzlichen Verstreichen der 8. Kalenderwoche wurde feuilletontauglich daran erinnert, dass der Ausdruck 08/15 dem Militärjargon entstammt und einen Maschinengewehrtyp aus dem 1. Weltkrieg bezeichnete. Die schnell überholte Waffentechnik wurde dann auch zum sprichwörtlich zivilen Standard im deutschen Sprachraum. Es ist doch interessant welche Begriffe ins kulturelle Gedächtnis eingehen und unhinterfragt weiterleben. Konsequent ins Futur übersetzt müsste also die Frage lauten: Welche Standards werden wohl in den kommenden Generationen mit der dauerpräsenten Kalaschnikow AK-47 gesetzt werden?
  
Michael Krüger, der Hanser-Verleger a. D., hat in einem Fernsehinterview vorgeschlagen, vor jeder Bundestagsdebatte ein Gedicht lesen zu lassen. Wenn ich sein Anliegen richtig verstanden habe, ginge es ihm nicht darum, inhaltlich einzuwirken sondern für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, sorgsam mit der Sprache umzugehen. Ohne die Kommentare der meisten Abgeordneten dazu jemals hören zu wollen, würde ich eine solche Petition sofort unterschreiben. Schlimmer wird’s nimmer. 

In dieser Stimmungslage ließ ich mich wieder leichter affizieren von Arno Schmidt´schen Wendungen wie:„(…) ich sagte nachtwindleise in ein Ohr (…)“.

Allmählich kehrte nun auch mein Gespür zurück, wofür das künstlerische Schaffen seinen Platz inmitten des brutalen Wahnsinns beansprucht. Es beruhigt meine strapazierten Nerven. Serenaden zu Sirenen. Ob man jemals behaupten wird, die Kulturarbeit hätte zu einer besseren Welt beigetragen, sei dahingestellt. Fest steht doch, dass sie einem die Hoffnung  vermitteln kann, dass es ginge. Ich legte mir ohne schlechtes Gewissen den sentimentalen Standard „Stardust“ von Hoagy Carmichael im Original auf. The melody haunts my reverie. Ein Abgesang ohne Bitterkeit will im Ernstfall gelernt sein. 
   
Ebenso wie ein Aufgalopp zu neuen Erfahrungen. Ich kann mir noch nicht vorstellen, dass Sie ernsthaft in Erwägung ziehen, eine hippe Dichterlesung zu besuchen. Falls doch, durchwühle ich den Berliner Kulturkalender und biete Ihnen gerne meine Gesellschaft an. Kommen Sie mich besuchen, alter Freund! Auch Übersetzen macht nicht jünger.

Herzliche Grüße aus der Großstadt
Ihr Altobelli

PS: Beigefügt erhalten Sie eine Illustration der Berliner Künstlerin Larisa Lauber. Sie hat sich bereit erklärt, meinen Brief um eine wunderbare Dimension zu erweitern.

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