Neue Schulen

Pega Mund

Neue Schulen #2

Die Kolumne Neue Schulen soll Lyrikerinnen über 35, die aus dem Raster der klassischen Literaturförderung herausfallen, einen Raum bieten, in dem sie nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Erfahrungen und Gedanken zum zeitgenössischen Literaturbetrieb beschreiben. In unterschiedlichen Formaten wie Besprechung, Kommentar, Essay oder Interview werden im zweiwöchentlichen Rhythmus Texte und Erfahrungen der Autorinnen präsentiert. Yevgeniy Breyger, Olga Galicka und Grit Krüger freuen sich laufend über neue Einsendungen unter .

Gedichte: 
Kommentar: 

 

Am Rande des Kontrollierbaren

Sind wir nicht gepellte Gestalten? Unsere Hautschichten lösen sich eine nach der anderen ab, unter einer jeden Schicht, noch so abstrus und unerträglich, kommt bald eine neue hervor. Ungefragt. Bis etwas an die Oberfläche taucht, das sich nicht mehr abschälen lässt. Eine Gegenwart, so präsent und erschreckend, dass man hinschauen muss, ohne sie zu verstehen.

Literarische Texte können eine unendliche Anzahl von Schichten haben. Sie lassen sich Stück für Stück abtragen, wenn es die Autorin erlaubt. In der Lyrik sind diese Schichten oft intensiv, überlagern sich beinahe im Streit und manchmal auch in dissoziativer Harmonie. Unterbrechen sich und finden gleich wieder einen Einklang. Man mag nie bis zum Grund dieser Dynamik hindurchdringen, aber das macht nichts. Eine jede hat den eigenen und ob man ihn zu erkennen vermag, ist eine individuelle Frage.

(c) Pega Mund

Pega Munds Lyrik schält sich selbst, zeigt Schicht für Schicht neue Entdeckungen, mal abstoßend, mal berauschend anziehend. Als würden hier Sedimente der Moderne abgetragen, damit unter ihnen das zum Vorschein kommt, was wir schon längst vergessen haben. Am Rande finden wir das „Etwas“ zwischen Natur und uns. Der Raum zwischen zwei Gedanken liegt auf unklar gezeichneten Grenzübergängen. Am Rande wird ein Anschluss zwischen Vergangenheit und Gegenwart gezeichnet. Einer belebten Welt, der Welt der Hotspots, der Kamine, der Zivilisation. Im Grenzübergang ein Rätsel der anderen Welt, der verlassenen, apokalyptischen. 

Wohin kann man sich aus dieser Ausgangslage bewegen?

(c) Pega Mund

Von Natur umstellt, ein nichtdefiniertes Wir, ein fliehendes Ich. Flucht ist eine angstvolle, eine hektische Bewegung, aber eine zielgerichtete. Gewissermaßen zeichnen Pega Munds Texte ebendiese Bewegung nach. Als müsste alles schnell gesagt sein, solange noch Zeit ist. Bevor die Landschaft einen ohne zu zögern verschluckt und schon bald mit neuen Schichten bedeckt. Darin werden die Menschen wieder ein Geheimnis, ein vergessenes Relikt. Vom eigenen Lebensraum bezwungen.

In dieser dringlichen Eile, dieser Flucht, entsteht eine Bilderflut. Darin entwirft Pega Mund eine Sprachlichkeit, in der die von ihr hineingeworfenen Bilder eine Symbiose eingehen. Wo beginnt das nächste Grauen, wo hört das vorherige auf? Dabei schafft es die Autorin geradezu wundersam, immer wieder Raum zwischen den so dicht aufeinander folgenden Worten zu lassen. Einen Raum, in dem wir uns oder etwas von uns und unserer eigenen Flucht, unserer eigenen Ängsten finden können. Wir werden zu Wüstenwaranen, zu lautlos brennenden Tigern – erschließen die eigenen Bilder für uns.

Die moderne Welt verbindet sich in Pega Munds Gedichten ebenso symbiotisch mit dem Naturschauspiel. Dabei entsteht ein Kampf zwischen den beiden Polen. Moderne und Natur stoßen aufeinander, messen ihre Kräfte. Das Licht stinkt, die Lider sind davon geschwollen, in der Pfütze gesellschaftliche Abgründe. Und schon wird diese abstoßende Schicht, von einer neuen überlagert. Die Sätze finden kein Ende und werden dadurch zu einer von Pega Mund zusammengestellten Sammlung, zu einem Horrorkabinett. Man muss sich fürchten vor dieser Natur, die die eigene Menschlichkeit widerspiegelt und hinterfragt. Die Lyrikerin streut Fragen ein, bricht mit dem aufgestellten Rhythmus, mit der regelmäßigen Bildhaftigkeit. Die Fragen ironisch, rhetorisch, lachen über das Lyrische Ich und auch über eine Leserin, die sich auf das Spiel eingelassen hat. Das Gleichgewicht hält bloß die âme douce des lyrischen Ichs. Ein neutraler Pol inmitten einer aggressiven Umwelt.

Pega Munds Gedichte sind voller Bezüge, Bilder und endloser Entdeckungen. Wir können sie schälen, in ihnen graben oder sie wie kleine Reliquien immer wieder betrachten. Bei jeder von dieser Herangehensweisen, gibt es etwas Neues zu entdecken. Gleich einer ethnographischen Studie, können wir den Text auf sich, auf die eigene Umwelt beziehen, um daraus neue Schlüsse für uns ziehen zu können. Dabei agiert die Autorin jedoch nie belehrend – vielmehr persönlich, feinfühlig und ohne Anspruch auf Verallgemeinerung. Auch um den Zeitgeist geht es hier nicht. Es geht um Konstellationen, die nach Erfahrbarkeit greifen. Aus dem Privaten ins Fremde.

Die Texte Am Rande und Sind wir nicht erscheinen im Herbst 2017 in der neuen digitalen Ausgabe der Zeitschrift STILL magazine.

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