Kritik

kommt her ihr heinis ich sehe die einsamkeit vor mir

Hamburg

Ich kannte Ianina Ilitcheva nicht, bevor ich dieses Büchlein gelesen habe.
[Signaturen, Markus Hallinger]

Ich kannte Ianina Ilitcheva nicht.
[Fixpoetry, Marko Dinić, Juli 2017]

Ich habe noch nie etwas von Ricarda Kiel gehört.
[Fixpoetry, Elke Engelhardt, Juni 2019]

 

Ich auch nicht. Die beiden Bände habe ich zusammen aufgrund ihrer verlockenden Titel bestellt, außerdem, weil ich bei beiden eine Art Verpassen nachholen wollte, eine Premiere in München, zu der ich nicht gekommen bin, und eine Autorin, die ich nicht lebend kannte.   

Ianina Ilitchevas Buch hat auf den ersten Blick etwas Unheimliches. Es ist nicht genug Zeit vergangen, um beim Lesen das eigene Wissen um den Tod der Autorin zu ignorieren; dieser frühe Tod lässt paradoxerweise an der doch in jedem Fall toten Autorschaft á la Barthes zweifeln. Die Autorin kann die Rezensionen zum Buch weder lesen noch darauf reagieren; meinem Lesen haftet etwas Verlegenes, Bedauerliches, Vorsichtiges an. Ich frage mich nach der eigentlichen Funktion von Rezensionen, nach den gruppendynamischen Dingen, die sich in diesem Fall erübrigen ─ oder anders ausfallen. Eine Gerechtigkeit dem Text gegenüber, ein konsequenter Ausschluss des Biografischen ist mir nicht möglich, ich lese so, wie ich kann. Und wenn ich nur Ilitchevas Buch bestellt hätte, wäre der raue schwarze Umschlag mit dünnem weißen Namensstreifen vollkommen auf Ilitchevas Texte bezogen ─ so kamen beide Bücher wie zwei schwarze Zwillinge im gleichen Umschlag an.

Das Gemeinsame der beiden Bücher ist aber die extreme Selbstreferenzialität einer Ich-Stimme, die sich als Subjekt wie Objekt der eigenen Beobachtungen positioniert und den eigenen, als weiblich markierten Körper zum Aushandlungsort von Ängsten, Ganzheitswünschen, kritisch-distanzierter Betrachtung wie froher  Zufriedenheit  macht. Beide Bücher bedienen sich klarer, geradliniger Sprache, stellen Entwürfe einer Selbst- anstelle von (einer geläufigeren und gewiss auch einfacheren) Fremdinszenierung des jeweiligen fiktionalen Ichs dar.

Ricarda Kiels Band kennzeichnet, dass alle seine Texte gut sind. Ich markiere mir anfangs jede Seite, biege die Seitenecken, höre dann auf, weil die Texte alle ziemlich gleich sind, im Sinne ‒ das Niveau wird durchgehalten, kein Text dient als Platzhalter. Die Gedichte lesen sich eins nach dem anderen, bis hin zu einem handgeschriebenen „Danke“, sie sind humorvoll, präzise beobachtend, lebensfroh und energisch ([…] Niemals / zögern, wenn wir einen Hammer sehen), irgendwie gemütlich. Und sinnliche Bilder, die einem das Wasser im Mund zusammenfahren lassen:

[…]
Ich will einen Rasen voller Stinktiere,
einen Rasen voller Braunbären.
Eine weiche Mango in einer getöpferten Schale,
immer.
[…]

Es geht ums Essen, um Tiere, um schwitzende Bauarbeiter, immer um etwas Bekanntes, das, was da ist, sich festhalten lässt:

Lieber Gerüstbauer,
Ich träumte, ich wäre du.
Hockte alleine vor einem Baum,
Rauchte und klopfte im Aufstehen meinen Staub ab,
Trank anderthalb Liter Spezi
und unter einem tropischen Poster
und Halogenstrahlen an einer Schiene
Ließ ich Schweißtropfen auf deiner warmen Frau.
Ich mag glücklich.
Eine süßere Milch.
Eine fettere Butter.
Mehr Eier von größeren Vögelnund einen echten Vogel daheim.

Der Körper wird beschriftet, als Notizbuch, Leinwand und eine zooartige Anstalt genutzt:

Ich enthülle
meine Tätowierungen.
Im Nacken ein NEIN,
Das sollte mir helfen,
Aber ich sehe es nicht.
Über der gesamten Brust
die sich umarmenden Kummeraffen,
Und sollte ich mal Kinder kriegen,
Sie werden beim Säugen in ihre
Vier Augen schauen.
Auf den Armen E-Mails, die ich
Trunken hastig notiert habe.
Am Rücken ein einzelner Pinguin im Frack.
Auf der Leber ein geschnitzter Greifvogel.
Daneben eine Schildkröte
mit abgebrochenem Kopf.
Oh Frauen und ihre Tiere!
[…]

Bei Ianina Ilitcheva ist es weniger Humor, als bittere Ironie, auch Sarkasmus, der den Verfall des hormongesteuerten, unkontrolliert nach eigenen Gesetzen arbeitenden, unattraktiv werdenden Körpers in einen Text übersetzt ([...] weil ich gerne dinge an mir beobachte, die sich merkwürdig verhalten.). Das Ich in Ilitchevas Band befindet sich in einem Übergangsstadium, es ist weder vollständig noch aufgelöst, gestorben; es protokolliert die eigene Krankheit, und der fremde Tod, so lässt es sich erahnen, wird zur Vorwegnahme des eigenen. Tiere gibt es bei Ilitcheva auch, Ameisen auf dem Tisch etwa oder ein freigelassener Luchs:

meine titten schrumpfen wirklich. meine schönen titten. es ist ein jammer. jahrelang wurde mein körper von hormonen versorgt wie ein luchs im zoo mit halbtoten mäusen gefüttert wird. nun ist der luchs freigelassen, aber das jagen hat er natürlich verlernt. mein appetit lässt zu wünschen übrig, meine lust ist so gut wie nicht vorhanden. [...] jagen lernen. der verstand wurde blöderweise nicht neugestartet, der arbeitet noch wie früher und scheinbar sogar klarer und unverfälschter. das macht die sache nicht einfacher, die ansprüche sind hoch, der luchs will halt keine maden fressen. [...]

Während bei Kiel beim Outfit für die Apokalypse die Dinge des persönlichen Gebrauchs / (Bleistift, Tampons)  in den Taschen verstaut sind, wird bei Ilitcheva eine kleine, dünne Slipeinlage zum Lesezeichen, saugt die Druckerschwärze ein, den matten, rauen rauschton des hochwertigen papiers, die unberührtheit, die druckmaschinenspur, den leim der bindung, all das hatte sie sich einverleibt [...]. Es sind weder oberflächliche noch peinliche Dinge, die da stattfinden, sondern eine seltene Selbstverständlichkeit, Gegenstände, die von der Hälfte der Menschheit genutzt werden, auf ihre textuelle Einsatzbereitschaft zu prüfen. Der eigene Körper wird misstrauisch und aufmerksam betrachtet:

und mein körper, mein körper besitzt viele zimmer, und in manchen der zimmer wohnen menschen, hausen geister und gewohnheiten, geht das licht an und aus, ohne eine regelmäßigkeit. und ein warten wohnt in einem der zimmer, zwischen lunge und zwerchfell, irgendwo, und das steht am fenster und sieht hinaus, sieht dinge passieren, fürchtet sich davor, ins freie zu treten und kein warten mehr zu sein.

Ich möchte das Wort „Weiblichkeit“ vermeiden, weil es dermaßen hohl ist, dass es entweder sofort mit überfälligen Bedeutungen gefüllt wird, oder jedes Mal ganz präzise, je nach Kontext, definiert werden muss, und nichts nervt mich selbst mehr, denn als „Frau“ definiert zu werden, die spezifisch weibliche Texte hervorbringen soll. Vielleicht entwickeln sich die Begriffe so, dass „Weiblichkeit“ benutzbarer wird, vielleicht entwickeln sich Alternativen, vielleicht werde ich irgendwann besser formulieren können, worum es geht. Auf jeden Fall haftet sich der Blick des Ichs dieser beiden Bände jeweils an den eigenen Körper, der einen Tod verspricht, Einsamkeit wie Trost spenden kann, dazu ja an einen weiblichen, der kulturell dem Anderen, der Ausnahme zugehörig ist.

 

 

Doppelrezension
Fixpoetry
2019
Ianina Ilitcheva · Rick Reuther (Hg.)
ich sehe die einsamkeit vor mir und sie ist leicht
hochroth verlag (München)
2018 · 44 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-903182-11-0
Ricarda Kiel
Kommt her ihr Heinis ich will euch trösten
hochroth verlag (München)
2019 · 50 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-903182-35-6

Fixpoetry 2019
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