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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Und, tut's weh?

Hamburg

Lina, Maggie und Sloane. Drei Frauen, die begehren. Das sind die Protagonistinnen in Lisa Taddeos just erschienenem Buch, welches bereits als „Klassiker der feministischen Literatur“ (O, the Oprah Magazine) gefeiert wird. Bei genauerem Hinsehen scheint das beschriebene Begehren aber mehr Leiden als Lust zu sein.

"Und langsam versteht sie, dass es nichts Wichtigeres auf der Welt gibt."

Lina ist unglücklich verheiratet und wünscht sich nichts sehnlicher, als jemanden, der sie leidenschaftlich küsst. Maggie hat sich auf ihren Lehrer eingelassen und versteht nur langsam, dass sie ausgenutzt wurde und nun, da sie an die Öffentlichkeit geht, für immer gehasst werden wird. Sloane hat die Wünsche ihres Mannes zu ihren Eigenen gemacht und schläft für ihn mit Anderen. Allen drei Frauen ist eins gemeinsam: Ihr Begehren, welches niemand sonst versteht, welches sie heimlich ausleben müssen. Und: Es bringt ihnen vielleicht zeitweise Befriedigung, aber langfristig nur Unglück.

"Ein Mann lässt einen nie ganz in die Hölle hinabfallen. Er fängt einen auf, kurz bevor man aufprallt, sodass man ihm nicht die Schuld dafür geben kann, dass er einen auf direktem Weg dorthin geschickt hat."

Lisa Taddeo begann "three women – drei frauen" eigentlich als Buch über das menschliche Begehren im Allgemeinen und fand während ihrer Recherche schnell Gefallen an den Erfahrungen der Männer. Irgendwann jedoch schienen die Berichte "zu einer einzigen Geschichte" zu verschmelzen und ihr Interesse brach ab. Das Begehren der interviewten Frauen und besonders den damit verbundenen Schmerz hingegen fand sie spannender.

Nun reizen tragische Geschichten natürlich immer mehr. Wir wollen das Leid anderer Menschen sehen, um entweder zu verstehen, dass wir nicht allein sind oder, um uns besser zu fühlen. Doch bei Lisa Taddeos Herangehensweise werden auf der einen Seite Männer zu einem Maße, deren Verlangen anscheinend immer gleich ist und das weibliche* Begehren wird auf ein unerfülltes Sehnen reduziert. Ebenso werden ausschließlich Frauen, Cis-Frauen, portraitiert, die heterosexuell sind. Dadurch wird weibliches* Begehren wieder einmal nur in Bezug auf Männer gesehen, in diesem Sinne reduziert. Als drehe sich das Leben einer jeden Frau um die Sehnsucht nach einem Mann.

"Dabei sollte man doch meinen, wir hätten viele der Ängste, die mit unserem Begehren verbunden sind, längst hinter uns gelassen."

Ja, Lisa Taddeos Sprache ist gewaltig. Sie beschreibt inneres Drängen auf eine so eindrucksvolle Weise, dass man sich immer wieder darin verliert, geradezu aufgeht in all dem Verlangen.Zeitweise  könnte man meinen, sich selbst nach den beschriebenen Männern zu verzehren. Als (heterosexuelle Cis-)Frau mag man sich auch oft in dem Geschilderten wiederfinden. Sie packt einen, reißt einen mit in das Abgründige, das Unausgesprochene.

Irgendwann allerdings wird es müheselig und teilweise schlicht nervig, den Protagonistinnen zuzuhören. Sie sind so unglaublich hilflos in ihrem Wollen, scheinen regelrecht ferngesteuert. Was sie für die Männer in ihrem Leben tun, ist verständlich, wenn man selbst schon wenigstens einmal begehrt hat. Doch davon zu sprechen, dass dieses Buch weibliches* Begehren in all seinen Facetten beschreibt, ist schlicht vermessen.

"Selbst wenn Frauen Gehör finden, müssen es die richtigen Frauen sein, damit man ihnen zuhört. Weiße Frauen. Reiche Frauen. Schöne Frauen. Junge Frauen. Am besten all das in einem."

Es stimmt, dass Lisa Taddeo Frauen eine Stimme verleiht, denen kaum bis nie zugehört wird.

Einzig Maggies Geschichte vermag jedoch bis zum Ende zu fesseln, da es selten vorkommt, dass das Begehren eines Teenagers ohne Wertung und in seiner krassen Ambivalenz und unkontrollierbaren Wucht dargestellt wird. Ebenso ist es ein wichtiges Statement, da wir Jugendlichen weiterhin die Deutungshoheit über ihre Erlebnisse absprechen und das Erleben von sexueller Gewalt (nicht nur medial) ausblenden. Es hätte aber weitaus mehr Aussagekraft gehabt, diese Geschichte gesondert zu veröffentlichen und sie nicht neben die Erzählungen zweier erwachsener Frauen zu stellen, die wiederum geradezu pubertär in ihrem Verhalten wirken und weitaus mehr Möglichkeiten hätten, sich irgendwann aus ihrem Zustand zu befreien. Maggie ist die Einzige, die versucht, ihr Leben selbstbestimmt zu führen.

Lisa Taddeos Buch ist ein Brocken. Sowohl vom Umfang, als auch vom Inhalt. Das Beschriebene ist stellenweise schwer zu verdauen, oft schmerzlich wahr. Und nicht jedes Buch braucht ein Happy End. Wenn man "three women – drei frauen" allerdings gelesen hat, möchte man sich fast selbst ein Zölibat auferlegen, um ja nie wieder in ähnliche Situationen (wie Lina und Sloane) zu geraten. Begehren kann aber auch schön und erfüllend sein. Wenigstens eine solche Geschichte hätte das Ganze rund gemacht und ließe nicht den bitteren Nachgeschmack, Begehren sei im Grunde etwas Negatives und Zerstörerisches.

Lisa Taddeo
Three Women – Drei Frauen
Übersetzt von: Maria Hummitzsch
Piper
2020 · 416 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-492-05982-4

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