Wider den Herdentrieb
Von Cixin Liu, oder wie er auf Chinesisch korrekt heißt: Liu Cixin 刘慈欣 , stammt der Roman „Die drei Sonnen“, der erste von drei Bänden, dessen zweiter Band Hei'an senlin 黑暗森林 (Mai 2008) in deutscher Übersetzung „Der dunkle Wald“ für das Frühjahr 2018 angekündigt ist. Der dritte Band mit dem Titel Sishen yongsheng 死神永生 erschien bereits im November 2010 in China, ein Termin für seine deutsche Übersetzung ist mir bislang nicht bekannt. Es heißt, daß Liu keinen chinesischen Autor als sein Vorbild nennt ‒ das ist kein Wunder, denn Science Fiction hat in China keine Wurzeln in der eigenen Literaturtradition, erst durch den Kontakt mit dem Westen, vor allem ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert, wurde Science Fiction in China bekannt, und so ist Liu dem Vernehmen nach denn auch mit Autoren wie Jules Verne, George Orwell und Arthur C. Clarke aufgewachsen.
Seit seiner Übersetzung ins Englische wird Liu’s Roman „Die drei Sonnen“ überschwenglich in den Medien gepriesen und mit Preisen wie dem Galaxy Award und vor allem dem Hugo geehrt. Zu den begeisterten Lesern im Westen sollen Barack Obama, Mark Zuckerberg und ‒ so kürzlich berichtet ‒ auch Denis Scheck zählen.
In den „Drei Sonnen“ geht es kurz zusammengefaßt um folgendes:
Die Astrophysikerin Ye ist der erste Mensch, der eine an die Erde gerichtete Nachricht aus dem Weltall empfängt. Doch Ye, deren Gefühle in der Kulturrevolution verkümmert sind, hat Ungeheuerliches vor: Sie will die Menschheit mithilfe der Außerirdischen erneuern. Heimlich tippt sie eine Nachricht ins Universum: „Kommt her! Ich helfe euch dabei, unsere Welt zu erobern. Unsere Zivilisation ist nicht mehr in der Lage, ihre Probleme selbst zu lösen. Sie braucht euer Eingreifen und eure Stärke.“1
Was für eine grandiose Ausgangsidee! Welche Möglichkeiten erschließt dieses Sujet! Und doch ‒ es tut mir leid, sagen zu müssen: ich kann diesen Hype nicht begreifen. Ich muß vielmehr bekennen: dies ist der langweiligste Sci-Fi-Roman, den ich seit langem gelesen habe! Es war schließlich nur noch das schiere Pflichtbewußtsein, das mich bis zum Ende durchhalten ließ. Es machte und macht mich sprachlos, in den geradezu hymnischen Pressemitteilungen zu lesen, daß der Autor dafür in den USA sogar mit dem Hugo Award geadelt und damit in eine Reihe mit Bradbury, Heinlein, Asimov, Clarke, Niven und anderen Autoren wie beispielsweise Terry Pratchett mit seinen Scheibenwelt-Romanen gestellt wurde.
Man lasse den Klang der Autorennamen auf sich wirken und mache sich die begeisterte Aufnahme ihrer Werke durch die internationale Leserschaft bewußt:
Isaac Asimov: Der Foundation-Zyklus, und natürlich seine Definition der ‘Drei Robotergesetze’;
Ray Bradbury: Fahrenheit 451;
Jeffrey A. Carver: Am Ende der Ewigkeit (Eternity’s End);
Arthur C. Clarke: Der Wachposten (→ Odysee im Weltraum);
Robert Heinlein: Sternenkrieger; Fremder in einer fremden Welt;
Larry Niven: Der Ringwelt-Zyklus;
Dan Simmons: Der Hyperion-Zyklus,
ja, in Gottes Namen, sogar die recht triviale deutsche Perry-Rhodan-Serie.
Was erwarte ich von einem Roman? Was erwarte ich von einem Science-Fiction-Roman?
Spannung: Ich muß und will mich am Ende jedes Kapitels um den Schlaf gebracht sehen, ich will mich am Ende eines Kapitels getrieben sehen, sofort das sich anschließende Kapitel lesen zu wollen.
Identifikationspotential: Ich muß mich mit dem Helden, zumindest mit den im Roman präsentierten Ideen, Gefühlen, Wertmaßstäben oder Zielen identifizieren können.
Zukunftserwartung: Je nach persönlicher Stimmungslage erwarte ich einen positiven Ausblick, eine Vision, neue Horizonte, neue Lösungswege und -modelle für die Menschheit oder aber einen negativen Blick in die Zukunft, den heiß-kalten Thrill eines unentrinnbaren Katastrophenszenarios und dergleichen mehr.
Intellektuelle Herausforderung: Ein gewisses Maß an allgemeiner und schöpferischer Intelligenz und Originalität auf Seiten des Autors und eine entsprechende erkennbare Erwartung an seine Leser sollten in einer guten Science-Fiction-Erzählung wahrnehmbar sein. Dazu gehört ausdrücklich auch das Überraschungselement: neue Ideen, eine ungewohnte Erzählperspektive etc.
Sprachlicher Genuß: Um gut unterhalten zu werden, erwarte ich auch eine schöne, interessante, innovative oder originelle sprachliche Ausdrucksweise. Die sprachliche Schönheit kann durch eine schlechte Übersetzung verloren gehen, was zum Glück relativ selten vorkommt.2 Aber selbst in einer sprachlich weniger gelungenen Übersetzung müßte eigentlich die Originalität der Sprache, der Gedanken und Ideen (wieder)erkennbar sein ‒ doch wie in allen anderen Punkten kann ich auch in dieser Hinsicht in den „Drei Sonnen“ so gut wie nichts davon finden.
Vielleicht bin ich als Sci-Fi-Leser der älteren Generation auch noch besonders geprägt und beeindruckt von dem optimistischen Zukunftskonzept, in das Captain Kirk und Mr. Spock eingebettet waren, der denkerischen Brillanz eines Asimovs, dem geradezu symphonischen Wohlklang der Sprache Simmons’ in den Hyperion-Gesängen wie auch von verschiedensten neuen und intellektuell anregenden Zukunftsentwürfen, und, ja, ich genieße es, auch in einem Buch der Unterhaltungsliteratur hin und wieder einen kleinen nachdenklich stimmenden Schubs in Richtung der philosophischen Implikationen eines „Freizeit-Themas“ zu erhalten, aber eben all dies vermisse ich schmerzlich in den „Drei Sonnen“!
Wer auch immer die Lektüre dieses Buches empfiehlt: zhēn duìbuqǐ, mich motiviert die Lektüre dieses Buches nicht dazu, den Folgeband zu kaufen.
Während einer Gastdozentur in Peking 2017 von den chinesischen Kollegen befragt, wieso der chinesische Science-Fiction-Roman „Die drei Sonnen“ in Deutschland eine Welle des Interesses an chinesischer Science-Fiction-Literatur ausgelöst habe, wußte ich keine Antwort zu geben ‒ ich hatte den Roman zwar bereits gelesen, nur von einer Welle hatte ich nichts bemerkt, das Buch lag stapelweise unverkauft in den von mir frequentierten Buchhandlungen. Als ich dann in gebührender Höflichkeit meine geringe Begeisterung für dieses Werk andeutete, erntete ich ein verschmitztes Lächeln und das Geständnis einer Kollegin, daß auch sie diesen Roman nicht gut finde. Sie meinte, möglicherweise könnten deutsche Leser ein besonderes Interesse an dem Roman wegen des kulturrevolutionären Hintergrundes haben ‒ eine Vermutung, die vielleicht für die deutsche Studentengeneration zutrifft, die in der Zeit der Kulturrevolution ihr Sinologiestudium begann, mir aber kaum noch für die heutige Zeit zu gelten scheint.
Ich habe vielmehr den Eindruck, ein paralleles Phänomen zur chinesischen Rockmusik zu erleben. Ende der 1980er Jahre wagten sich die Pioniere der chinesischen Rockmusik auf die Bühnen, zu ihnen zählte der noch heute bekannte Cui Jian oder auch die heute nicht mehr ganz so bekannte erste chinesische Frauenband Cobra (Yanjingshe yuedui), Musiker, die später u.a. sogar in Berlin auftraten. Während sie in China bei den ausgehungerten Expats wahre Begeisterungsstürme auslösten, erregten sie außerhalb Chinas kaum wegen ihrer Musik als vielmehr wegen ihrer Herkunft größeres Aufsehen ‒ ein geradezu klassisches Beispiel für wohlmeinenden Exotismus. An dieser Situation hat sich bis heute im Wesentlichen nicht viel geändert, der wirklich große internationale Erfolg bleibt noch immer aus, man hat in der westlichen Jugend kaum Fans: ein bitterer Kontrast zu den Musikexporten aus Südkorea. Möglicherweise erleben wir jetzt ähnliches mit der aufkommenden chinesischen Sci-Fi-Literatur, es sei denn, man würde für den „Drei-Sonnen“-Hype verschwörungstheoretisierend als alternatives Erklärungsmodell eine international konzertiere Marketing-Kampagne unterstellen.
- 1. Inhaltsangabe zitiert aus der Spiegel-Rezension von Maximilian Kalkhof: „Der China-Bestseller“, Spiegel-Online, 14.12.2016.
- 2. Ein Vergleich mit dem chinesischen Original San Ti zeigt, daß Martina Hasse ihre Aufgabe als Übersetzerin sehr ordentlich erledigt hat. Meine Kritik an dem Roman gilt ausdrücklich nicht ihrer Übersetzung.
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