Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Wird eine lyrische Arche die Menschheit retten?

Hamburg

Von 1945 bis 1998 veröffentlichte Miltos Sachtouris insgesamt 308 Gedichte in 14 Lyriksammlungen. Auch wenn elf davon in Auswahl in deutscher Übersetzung im Romiosini Verlag, Köln im Jahr 1990 erschienen sind, ist Sachtouris hier doch relativ unbekannt. Das vorliegende Buch in der Edition Romiosini - das ist die Fortsetzung des Kölner Verlags am "Centrum Modernes Griechenland" an der Freien Universität Berlin - enthält "eine umfassende, repräsentative Auswahl aus seinem Gesamtwerk", wobei die letzte Lyriksammlung von Sachtouris aus dem Jahr 1998 ihm seinen Titel gab.

Für einen Griechen kommen in seinen Gedichten relativ wenige Bezüge oder Verweise auf Griechisches vor. Die Erwähnung von Menelaos, im griechischen Mythos der König von Sparta, im gleichnamigen Gedicht ist da eine Ausnahme. Oder mal die Erwähnung von Athen oder Piräus oder "Krethi und Plethi", denn Krethi soll für die Bewohner Kretas stehen. Sein Fundus bzw. sein Wort- oder Begriffs- oder Symbolvorrat speist sich also aus anderen Quellen.

In ihrem Nachwort bemüht Anteia Frantzi das Alte Testament, denn sie versucht, Sachtouris' Dichtung mit den Bildern der biblischen Sintflut und der Arche Noahs zu fassen: "Eine Sintflut zerschmetterter Bilder, ihre sprachliche Neuordnung, die zu einem Fließen des Sinns führt: das ist die Dichtung von Miltos Sachtouris." Auch spricht Frantzi davon, dass Sachtouris als Dichter zum Sammler wurde, um damit seine eigene Arche zu erbauen. Die Arche steht dabei als Symbol für Sachtouris' Dichtung, mit der er also etwas retten will, aber was?

"Seine lyrische Arche ist eine kostbare Mahnung, die den Wahn der Zerstörung des Menschen durch den Menschen in sein Gegenteil verkehrt."

Die stellenweise Düsterheit und der Trübsinn in Sachtouris' Gedichten mögen, so deutet es das Nachwort an, durch sein Erleben der Zeit der deutschen Besatzung zutiefst und dauerhaft geprägt worden sein. Im Gedicht Drei Tränen Gottes heißt es zum Beispiel:

            "die Strommasten
            diese schmerzenden Zähne
            eines hoffnungslos einsamen Lebens"

In dem Gedicht Die traurigen Weihnachten der Dichter geht es auch genau darum. Und in Wir schauen mit den Zähnen heißt es gleich zu Anfang: "Der Mond kann nichts für unseren Trübsinn".

Womit wir bei dem "symbolbehafteten Fundus" sind, aus dem Sachtouris schöpft. Symbole wie Sonne, Mond, Herz, Kopf, Messer und Vögel tauchen in seinen Gedichten immer wieder auf, wobei der Mond am häufigsten auftritt. Dabei gehen viele Gedichte ins Paradoxe, man könnte auch sagen, ins Surrealistische. Obwohl sie nichts (laut Buchrücken) mit dem programmatischen oder gar revolutionären Surrealismus zu tun haben. Zwei paradox-surrealistische Beispiele bezüglich des Mondes. Im Gedicht Die Fastnacht:

"Am Abend kam der Mond hervor
fastnächtig
hasserfüllt
sie fesselten ihn und warfen ihn ins Meer
erdolcht"

Im Gedicht Episode:

"ein anderes Kind
wirft einen Stein
und zerbricht den Mond"

Eine gewisse Düsternis und Gewalttätigkeit gegenüber der Natur ist herauszuhören. Noch rüder wird der Umgang mit der Erde im Gedicht Der englische Maler und Dichter Dante Gabriel Rossetti schreibt mit meiner Hand ein Gedicht:

            "ich sehe
            diesen großen verschneiten Sarg
            auf den sie jeden Tag mit Gepolter
            Schusternägel werfen
            und darauf bestehen
            sein Name sei

            Erde"

Eine besondere Bedeutung für Sachtouris müssen die beiden Schriftsteller Dylan Thomas und Franz Kafka haben, denn sie kommen in zahlreichen Gedichten vor. In dem Gedicht An Dylan Thomas kann man erahnen, was dafür der Grund ist:

            "Dylan Thomas, brüderlicher Schatten
            der du so jung Feuer in die
            Worte zu legen wusstest
            sie zu zünden"

In dem Gedicht Kafka und die Fische wird eine interessante Parallele zwischen Kafka und den Fischen gezogen:

            "Denn Kafka liebte die Fische und
            aß keine.
            [...]
            sein Tod ähnelte dem Tod eines Fisches, den man
            an Land gezogen hatte.
            Er starb, weil er nicht mehr atmen konnte.
            Und möge Dora Dymant gesegnet sein."

Auffällig ist hier ein ungewohnter Name für Kafkas letzte Freundin: Dora Dymant ist die jiddische Schreibweise von Dora Diamant.

Auch Sachtouris' Selbstverständnis und manchmal auch seine Zweifel als Dichter werden in seinen Gedichten immer wieder thematisiert. In dem Gedicht Die Geschenke heißt es ganz am Schluss:

            "ja, er nagelt unsere Herzen fest
            dann ist er also ein Dichter"

Das Gedicht Les Lettres beginnt mit der Feststellung "Ich werde nunmehr aufhören, Gedichte zu schreiben" und endet trotzig mit "ich werde immer Gedichte schreiben".

Wer Lust hat, sich durch paradoxe, ins Surrealistische gehende Sprachbilder verzaubern zu lassen, dabei auch nicht vor einer gewissen Düsternis zurückschreckt, dahinter eher eine Gesellschaftskritik sieht, die unseren gewalttätigen Umgang mit der Natur thematisiert, der wird mit den Gedichten von Sachtouris viel anfangen können. Und keine Angst: Trotz der Analogie des Werkes von Sachtouris mit der biblischen  Arche im Nachwort, kommt Religiöses oder gar Christliches in seinen Gedichten gar nicht vor.

Miltos Sachtouris
Die Uhren wechselten die Richtung: Gedichte 1945-1998
Übersetzt von: Torsten Israel, Andrea Kapsaski
Edition Romiosini
2018 · 164 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-946142-54-6

Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge