Damals in der Zukunft
In ihren soeben erschienenen Miniaturen „Wie eine Landschaft aus dem Jahre Schnee“ macht die in Wien und Burgenland lebende Schriftstellerin die Verortung der Orte zum Thema. Petra Ganglbauer, selbst an mehreren Orten verortet, beschreibt in ihrer avancierten lyrischen Prosa sozusagen den „Ort, und an diesem, dort“ (9mal) ebenso wie den „Ort, und am anderen, dort“ (14mal). Hinzu fügt die Autorin noch die Parallelität: „Ort, parallel“ (13mal) – hier allerdings entsteht das Spannungsfeld einer Doppelverortung: die Parallelität der Existenz von Orten (hier und dort) sowie die Parallelität der Zeit – allerdings in einer Gegenläufigkeit, die unsere Zeitrechnung sabotiert: „…damals, in der Zukunft“.
„Ort, parallel, und ich stehe am Abgrund, damals, in der Zukunft“, das ist die Unbändigkeit der Natur, das Knospen, Blühen, Grünen, der Berg, ein Magnet aus Kalk, das Mysterium des Wachsens ein Sog und ein Raunen, wobei „Ort, parallel“ auch mit dem Impetus des Religiösen gelesen werden kann: Der Geist, das Weltversprechen sind hier verortet, die „große Höhe der Seele“. Die Natur bricht immer wieder durch, überwuchert das Menschengemachte. Überwuchert alles, auch den Ort, „am anderen, dort“. Dort nämlich, dort herrscht Krieg, brechen die Häuser auseinander, Panzerspuren, die Meute schürt die Brandnester. An den anderen Orten herrscht immer derselbe Krieg, „stürzen sie blutend zu Boden, in die Luft gejagt, auf den einen Himmel zu“, die Kleinsten und die Mütter, die Körper über Stock und Stein, Schüsse im rastlosen Gewirr.
Kursiv geschriebene Passagen widmen sich der omnipräsenten Medienwelt. Wir sitzen am „Ort, an diesem dort“, an den Bildschirmen, sitzen hinter Großformaten oder Smartphones und inhalieren die Kriege aus dem anderen Ort in Form portionierter Massaker. Die Durchsagen im TV, im Rundfunk werden stündlich wiederholt, ein ständiges Wiederholen von ein- und demselben. Neu aufbereitete Wirklichkeitsstücke aus der Wirklichkeit gerissen, in andere Wirklichkeiten, in unsere Wohnzimmer, transferiert und medien/wählerwirksam aufbereitet. Von Politikern für die eigenen Zwecke umgedeutet und missbraucht. Hier, an diesem Ort wächst die Angst. Mit manipulativen Nachrichtenhäppchen wird die Angst gezüchtet, „eine hämische Angst und der Angriff gegen alles, was vor der Haut beginnt und anders riecht“. Wenn die Angst groß genug wird, setzt eine meutenähnliche Kläfferrunde ein, der Wortschatz bröckelt, der Sprachverrohung sind Tür und Tor geöffnet.
Durch die collagenartige Textverzahnung erzeugt Petra Ganglbauer ein Spannungsfeld von Ort und Zeit, von intimer Innen- und distanzierter Weltsicht. Hier bleiben keine Bilder, hier bleibt das Entsetzen ob der Verrohung, eine Verrohung, an diesem und am anderen Ort. Die Texte sind keine Versuchsanordnung, sondern präzise Wortsetzungen, differenzierter sprachlicher Wortschatz: Ganglbauers lyrische Kurzprosa resultiert aus dem scharfen Blick, der Fähigkeit der überaus wachen Aufmerksamkeit, welche die LeserInnen fordert, das soeben Gelesene noch einmal zu lesen und noch einmal in den gesamten Kontext der Verortungen zu denken.
Abgerundet wird der Band auf Seite 53 mit „Ort“: Das Ich ist zu sich gekommen, ist ganz Ich, ein universelles Ich, allumfassendes Sein, um auf Seite 54 abzuheben, sich zu entheben von allem Irdischen, einzutauchen in der Krümmung des Raumes – um neu wieder aufzutauchen.
Für die LeserInnen kann man sich nur wünschen, dass der Verleger der Bibliothek der Provinz auch genügend Geld für die Bewerbung in die Hand nimmt, um diese spannende Lektüre dorthin zu verbreiten, wohin sie gehört: In den gesamten deutschsprachigen und internationalen Raum – mit entsprechenden Übersetzungen.
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