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Kritik

Commenting The Danube

Hamburg

Viele mittlerweile bekanntere Namen hauptsächlich der österreichischen Lyrik-Szene haben sich unter der Herausgabe Helwig Brunners in der Lyrik-Reihe der österreichischen Edition Keiper versammelt: Petra Ganglbauer, Udo Kawasser, Sophie Reyer, Helwig Brunner himself seien hier stellvertretend genannt, und nun das: Stefan Schmitzer! Mein Aufschrei ist ironisch – ich liebe ihn.

In manchen von Schmitzers Gedichten wimmelt es von einem ausgesprochenen, aber auch einem unausgesprochenen Konjunktiv. Es ist durchaus möglich, dass Einfallsreichtum ein legitimes Mittel ist, die Realität zu kommentieren, vor allem wenn Ideengut zur bewusst verfügten Camouflage gerinnt. Der Mythos ist nun mal eine Behauptung für unsere narrationshungrigen Köpfe, wie auch wir stets gefüttert werden … von den Narrativen des Jetzt, der Fisch in der Donau wird zum Plastikkrokodil und „realisiert“ unsere Gegenwart, macht real, was wir denken zu glauben, was wir glauben zu brauchen. Bei Schmitzer ist nicht Ironisches einfach so gesagt, und alles Lustige nicht aufs Lustige beschränkt, sondern bei ihm ist es Mittel, ein Instrument der Dekonstruktion unter Garantie der Distanz.

Ich mag ihn genau dafür: Das Gegenwärtige nicht ins Mystische oder Mythische zu erhöhen. Die Konsequenz dieser Verfrachtung ins Ironische ist eine schwelende Kritik: Glaubt den Scheiß bitte nicht. Das bewirkt ein Unwohlsein beim Träumerle, aber auch einen wohligen Leerraum des Komischen im Kopf des Aktivisten und verführt zur spannenden Lektüre des Kommentars.

Können Gedichte kommentieren? Können Kommentare Gedichte sein?

Natürlich. Gedichte können alles. Sie können Wikipedia-Zitate collagieren, um Bloch und Adorno dort ins Spiel zu bringen, wo wir uns durch den Fluss der Dinge schleusen. Der Übergang, der Vorgang der Passage, bei Bloch ist das längst nicht gelungen, sondern „der mensch lebt noch überall in der vorgeschichte“ und hat seine Plage, bis er dereinst in einer realen Demokratie anlandet. Während ihn Adorno aburteilt „Das Prinzip Hoffnung“ sei „wie ein reißendes gewässer, in dem alles mögliche zeug, vor allem konservenbüchsen, herumschwimmt, überreich an einem teilweise übrigens etwas apokryphen stoff, aber arm einfach an geistigem gehalt.“

Ich wußte nicht, daß Zitate aus Wikipedia ein Gedicht sein können. Jetzt weiß ich es. Die Schnittmenge von Donau, Fluß, Schleuse, Bloch, Adorno ist dann einleuchtend, wenn man mal aufs Einleuchten verzichtet. Die Schnoddrigkeit, mit der Schmitzer seine Kommentare vorlegt, ist etwas, das ich in seinem Fall sehr liebe, denn, und das ist seine Hinterlist, sie ist einleuchtend.

19 Gedichte, teils seitenlang, sie beginnen bei 0 (mit 3 Unternummern) und gehen bis 16. Dass sie Stationen darstellen, vermutet man wenn man die Begleitinfo kennt, dass die Texte als Begleitung für einen Film über die Donau, „Boring River“ von Rainer Prohaska und Carola Schmidt, gedacht waren, aber besungen wird der Ausgangspunkt Melk an der Donau bis auf die hintersten Seiten hin  und so kommt der Text nicht so richtig voran. Es passiert nichts Spektakuläres und nichts was gesagt wird, kann nicht auch später gesagt werden – alles ist eher ein Gewebe des Langstricks, des immerwährenden Plastikkrokodils (eines von genau 40 aufblasbaren Stück, die als Skulptur vom Reiseteam Rainer Prohaska/Volker Schmidt hin und wieder hinterlassen werden und zwischendurch als Auftriebsspender in einer der drei der Barke unterbauten Zillen dienen müssen), der Fluss führt, der Fluss bringt, die Dauer rechnet hinzu, was offensichtlich scheint: Einen Donauraum.

„was wäre ein donauraum? klingt sehr nach themen- / zimmer im puff mault der arbeitslose schiffsbursch / und träumt“,

schreibt Schmitzer über den Raum, den es zu durchfahren gilt und der sich zeigt als ein besonders hierseitiges Jenseits. In ihm zerfließt wortwörtlich die kulturelle Unterschiedlichkeit, sie verschwimmt, alles ist am Fluss und der Fluss ist der Arrangeur des Fließens und der Weile. „Boring“ meint der Titel, aber Schmitzer übersetzt es mit Murmeln, meint die Erzählung, die der hört, der hinhört.

Man muss, um die hier versammelten Gedichte korrekt zu betrachten, wissen, was sie sind, damit man nicht ungerechtfertigt fordert, was sie nicht sein können. Sie stammen aus einem den Film begleitenden Textmaterial und sind nicht originärer Teil der zur Kunstaktion deklarierten Reise

„die donau hinunter, von melk bis sulina; über das auseinanderbrechen von „mitteleuropäischen“ „kulturräumen“ (die weder mittig, noch europäisch, noch kulturell, noch räume sind)“,

wie Schmitzer das an anderer Stelle zur Erklärung einer Performance erklärt. Was hier als Auseinanderbrechen angesprochen ist, ähnelt in Wahrheit einem Verfliegen, einem Verschwinden im Strom. Das Wegschmelzen von Unterschied und Besonderheit durch den Fluß macht mir, so einleuchtend es sich zunächst liest, denk ich an meine eigene Realität, dennoch Probleme. Ich brauche nur einige Kilometer dem Maintal folgen, dann schlägt der Buntsandstein in Muschelkalk um und Natur und Menschen verändern sich, beide sprechen anderen Dialekt.

Theatermensch Volker Schmidt, einer der beiden Reisenden, hat für sich ein „Manifesto“ formuliert, das recht gut den Rahmen der Gesamtunternehmung abstecken hilft, wenn man die Sinnfrage stellen will: 

„gilt etwas für eine sache, so gilt dafür notwendigerweise auch das gegenteil. in einer vergänglichen welt kann es keine absolute gültigkeit geben. alles zerrinnt und erschafft sich in neuen formen wieder“.

Was sich wie eine Kapitulation vor dem Fluss der Zeit und der Veränderlichkeit der Dinge anhört, soll relativieren: Wahr ist und bleibt alles nur für den Moment. Ein Ansatz, der aus dem gesamten Projekt herauszuhören ist, erst recht wenn es bei Schmidt weiter nicht unpathetisch heißt:

„kunst verlangt vollkommene universalität – kunst kann nicht für sich stehen, kunst muss sich dem leben ausliefern, wie sich das leben der kunst ausliefern muss. wir sind nicht mehr geboren für eine fülle von möglichkeiten. wir sind geboren für die unmöglichkeit des moments. wir sind geboren, um die vollkommenheit im unvollkommenen zu entdecken.“

Es gibt sicher kunstvollere Varianten zu sagen: Was ich mache, das ist Kunst. Wenn ich also die Donau hinunter reise bis ans Schwarze Meer und auf dem Weg überall grüne aufblasbare Krokodile als Irritationsornament deponiere, dann ist das im Grunde ein schlechter sokratischer Gag, eine Art Hebammenkunst für die Inschrift „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Aber ich persönlich glaube, dass der prinzipiellen Gleichgültigkeit der Welt sehr erfolgsversprechend auch mit Ernsthaftigkeit zu begegnen wäre, weil man aus einem Fehlen einer absoluten Gültigkeit nicht herleiten kann, es wäre egal, was man tut. Der Moment geriert sich als Produkt, dem seine Bestandteile nicht egal sind. Er ist das, was ich ihm beibringe (im transportablen Sinne). Nun haben sich Prohaska/Schmidt dazu entschlossen, den Moment zu dominieren, indem sie vorgefertigtes Material – die aufblasbaren grünen Krokodile - hineingeben und stellen damit jeden Rezipienten vor das Problem damit umzugehen. Was tun mit den Scheiß Krokodilen?

Schmitzer löst das auf wundervolle Art und Weise, was nachzulesen wäre. Wie gesagt, der Gedichtband ist nicht mehr Teil des Prohaska-Projekts, sondern stellt eine Überarbeitung dessen da, was Schmitzer für dieses benutzt hat. Deswegen auch die Wikipedia-Zitate, deswegen auch Bloch. Es ist hilfreich sich mit dem Prohaska-Projekt beschäftigt zu haben (und derjenige der diese Rezension und das Nachwort im Band gelesen hat, ist hiermit um einige Arbeit erleichtert) - es gibt sozusagen Grundbedingungen für das Verständnis des Bandes, die im Projekt begründet liegen. Kontext zu kennen erleichtert, aber man muss nicht. Man muss eigentlich gar nichts. Darauf einige ich mich mit Schmitzer, der schreibt:

„man kann sowieso alles. / soweits die schwerkraft hergibt.“

Das klingt ironisch und soll ganz bewusst ironisch klingen. Es gehört zu den Stärken Schmitzers auf diese dezidierte Weise Geburtshilfe zu betreiben für eine Kunstform der Ironie. Er wird dabei auch märchenhaft und satirisch und nutzt allerlei variantenreiche Komik als Überwindungshilfe jeder Bourgeoisie. Schon für Kant ist „die Erwartungsdurchbrechung [...] eine Markierung der Unernsthaftigkeit“, was allerdings, so würde Schmitzer hinzufügen, schon eine sehr ernste Sache ist.

Das Ende der Donau ist übrigens spektakulär. Ein Spruchgedicht Schillers nimmt es auf: „Gegen den Aufgang ström ich, der Freiheit, der Musen Gefilde / Laß ich hinter mir lang, eh der Euxin mich noch trinkt.“ In einem ausgedehnten Delta verläuft sich der Strom über fünftausend Quadratkilometer und ist nirgends mehr das Zerrinnen wie hier. Und nirgends fruchtbarer.   

Stefan Schmitzer
boring river notes
mit Zeichnungen von Rainer Prohaska
edition keiper
2018 · 64 Seiten · 14,98 Euro
ISBN:
978-3-903144-57-6

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