Briefe ins innere Exil
Saddam Hussein ist tot. Iraks amtierender Premier Nuri al-Maliki hat Mühe, ein Land zusammenzuhalten, das nach dem Krieg ein Trümmerhaufen ist, dessen Alltag noch längst nicht zur Normalität zurückkehren konnte, und statt auf Demokratie setzt er nun auf totalitäre Spielchen, reißt immer mehr Macht an sich. Regierungsgegner verschwinden in düsteren Gefängnissen, und der Schaden, den die USA mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verursacht haben, offenbart sich Stück für Stück. Wie üblich gibt es eine Handvoll Menschen, die am Elend der Vielen prächtig verdienen.
Abbas Khider flüchtete 1996, als das Baath-Regime noch fest im Sessel saß, nachdem er aufgrund „politischer Aktivitäten“ zwei Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Seit 2000 lebt er in Berlin, sein 2008 erschienener Debütroman „Der falsche Inder“ glänzte ebenso wie der Nachfolger „Die Orangen des Präsidenten“ (2011): ruhig erzählte Literatur, die in einem fast nüchternen Berichtstil die Gräuel der Diktatur offenlegt und immer wieder nach den Mechanismen fragt, die repressive Staatssysteme ermöglichen. Große Literatur, die den wahren Irak zeigt, nicht das Aufmerksamkeit heischende Tamtam der Massenmedien.
Hier reiht sich auch Khiders jüngstes und bislang stärkstes Werk ein. Der „Brief in die Auberginenrepublik“ zeigt exemplarisch, wie tief dieses Staatssystem in die Biographien der Menschen eingreift, wie es die einen instrumentalisiert, die Leben der anderen zerstört oder sie entwurzelt. In diese Biografien taucht der Autor ein, spürt ihnen nach, und das Erschreckendste, was er dabei offenbart ist die Erkenntnis, dass all diese Typen keine Unbekannten sind. Es gibt sie in jedem Land der Welt, und es wäre naiv anzunehmen, dass solch brutale Diktaturen in Europa nicht mehr möglich wären.
Foto, Abbas Khider © gezett
Der Protagonist des Romans ist ein Brief. Der Brief, den der siebenundzwanzigjährige Salem Alt-Kateb 1999 aus dem Exil in Libyen an seine Freundin Samia in Bagdad schreibt, die er nicht mehr gesehen hat, seit er vor zwei Jahren aus dem Land flüchten musste, weil ihm Haft und Folter drohten, nachdem er und einige Kommilitonen (darunter auch Samia) wegen des Lesens verbotener Bücher verurteilt wurden. Verbotene Bücher: Diktatoren haben panische Angst vor Literatur, vor allem, bei dem das freie und kritische Denken, der Zweifel am Status Quo im Mittelpunkt steht. Das war immer so und wird immer so sein. Und es sollte all jenen zu denken geben, die leichtfertig behaupten, Literatur würde heute nichts mehr bewegen.
Ein Brief also, der unmöglich den offiziellen Postweg gehen kann, weil er sonst, so ist sich Salem sicher, von den Behörden abgefangen würde. Über Umwege gerät er an einen windigen Geschäftemacher, der illegale Post auf illegalen Wegen zu absurden Preisen an ihr Ziel befördert. Salem ist sich sicher: Dem geht’s nur ums Geld, der haut mich nicht in die Pfanne. Und fortan geht der Brief auf seinem langen Weg durch zahlreiche Hände. Hände, die nur verzweifelt versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen. Hände, die für Geld alles tun würden. Hände, die den Regimes ihrer Länder treu ergeben sind. Hände, die sich von der Menschlichkeit leiten lassen, die in der Politik längst keinen Platz mehr hat. Jede dieser Biografien wäre ein Roman für sich; es geht um Opfer und Täter, es geht aber nie um Schwarz und Weiß, sondern vor allem um die unzähligen Graustufen dazwischen, um das, was Menschen ausmacht und immer um die Frage, warum jemand so handelt wie er handelt. Abbas Khiders prägnanter und präziser Roman hat kein Wort Zuviel, keins zu wenig. Er zeichnet ein einerseits farbenfrohes und atmosphärisch dichtes Gemälde einer Region, die man sonst nur aus alarmistischen Nachrichtenmeldungen kennt, andererseits seziert er mit kühlem Blick die Strukturen der Diktatur und zeigt auf, warum sie immer wieder so gut funktionieren.
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