„Leichnam, der wächst” – Goubran, Das letzte Journal
Will man über Alfred Goubrans Das letzte Journal schreiben, dann muß man wohl bei seinem Roman Aus (Roman. Wien: Braumüller 2010) beginnen und auch Durch die Zeit in meinem Zimmer (Roman einer Reise. Wien: Braumüller 2014) berücksichtigen. Denn der neue Text ist zwar in sich abgeschlossen, greift aber diese beiden zugleich doch auf, beziehungsweise wird manches in ein neues Licht gestellt, was da beschrieben wurde. – Also beginnt hier alles mit Aus, was etwas paradox klingt…
Der Roman Aus schildert zwei Männer auf dem Heimweg von einer Beerdigung. Daraus entspinnt sich ein stummer Zwiegespräch, sozusagen ein innerer Dialog, der ausgehend davon, daß am Tod nichts Gnadenvolles oder Versöhnliches ist, zumal der eines Kindes, das des einen nämlich, thematisch zu zwei Absenten führt: Münthers, also des Mannes, der sein Kind verlor, Frau, die Schauspielerin war und nun im Koma liegt, und dem Dichter Aumeier, der vor einem Jahr starb. Ein totes Kind, unvollendet alles, die „Fontanellen (werden) nie mehr zusammenwachsen”, wie da Begriffe finden, etwa für über 500g Tot- und darunter Fehlgeburt, dann auch nur „gemeinsam kremiert” – viel mehr weiß der Mensch hierzu offenbar nie. Und reagiert dann, wenn es geht, als geschmackvoller „Pomfineberer”, ein Wort, das man in Wien kennt und im Rest des deutschsprachigen Raumes kennen sollte.1
Dabei folgt man Goubran trotz fragwürdiger Erzählökonomie des ersten Bandes, die übrigens auch Doris Moser bei Erscheinen des Bandes thematisierte und monierte2, darum gerne, weil seine Sprache und Sprachkritik lesenswert ist, mit der er das Uneigentliche und zugleich umstandslos Schamlose wegwischt, das – zum Beispiel – die Trauer verunmöglicht, wie übrigens Adorno einmal formulierte: „Weil die Sprache die Scham verlernt hat, versagt sie sich der Trauer.” – Bei Goubran lernt sie Scham, bei Goubran lernt sie Eigentlichkeit, aber ohne Jargon der Eigentlichkeit, und damit von Adorno nun wirklich wieder zum Roman Goubrans.
Erinnerung? – Der „tote Aumeier in meinem Kopf” spricht noch … und dann der Sprung zum zweiten Band der (Nicht-wirklich-)Trilogie. Der beginnt als Geistergeschichte, „Schnee ist das Blut der Geister.” Diesmal ist der Dialog ein Monolog, ein wenig, wie die Dreierbeziehung in Bachmanns Malina ein Schizo-Diskurs ist. – Auch hier geht’s um unbedarfte Sprachlösungen, um Realität, und sei’s in einer solchen Miniatur:
„»Das weiß der Himmel.«
»Ich möchte nicht wetten…«”
Die Sprache ist nicht die Welt, „die Karte ist nicht das Land”, rundum aber ist ein Schneechaos, also ein Übermaß an Geisterblut, das man hier durchquert, soviel in aller Kürze – womit man beim letzten Journal ist. Hier beginnt alles mit einer Manuskriptfiktion, Aumeiers Manuskript wird zunächst die Editionspraxis betreffend beschrieben. Der führte dieses Journal, man erfährt also die Innenansicht zum Tod, sozusagen, fiktiv, kolportiert durch den (fiktiven) Herausgeber, wieder eine Konstruktion, die’s in sich hat.
Jener will keine Systematik mehr, dies ein roter Faden, „die Systematiken und Ordnungen” seien nutzlos. Was wäre man sich selbst etwa in Worten? – „Gewesener, Gewordener, ein Leichnam, der wächst”… Ordnungen müßten anders sein: „wiederkehrende Sequenzen” oder noch besser „Rhythmen”, lebendig wie geordnet, falls des das gibt. Wäre man sonst ein Dibbuk, müßte man es sein, also „ein jüdischer Totengeist”..? Aber das ist riskant: „Die meisten Menschen sind aus Angst gemacht”, vielleicht ist das der Grund für, ja: wofür?
Und wie es zuletzt dann zu Aus in der Tat wieder zurückgeht, wer sozusagen wen …, das sei hier nicht verraten. Dafür aber dies, daß Goubran lesenswert ist, einer, der dem Komplexen unserer Welt mit der nötigen Präzision und Ironie zu begegnen weiß.
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