In Scharten von Schilf
Pyrit, auch Schwefelkies oder Katzen-, ja Narrengold genannt, ist ein opakes (sprich lichtundurchlässiges), idiomorphes (sprich eine voll entwickelte Eigengestalt besitzendes) Mineral, das ganz eigenständige Kristallflächen hervorgebracht hat… …
„Pyrit“ von Anke Bastrop auch. Auf Literarisch sozusagen.
Natürlich, man könnte sofort hinzufügen: Auch für „Pyrit“ gilt, was der Text selbst nach den (für die meisten Leser wohl unbekannten) Worten „Utaka Usipa“ verkündet, Worte, die in dem Text so plötzlich auftauchen wie sie wieder verschwinden: „singende, klingende Namensbäumchen/die nicht verstanden sein müssen“.
Stimmt, müssen nicht, aber ‚wollen‘. Oder vielleicht wollen sie auch gar nicht, aber ‚man‘ will. Und vielleicht will ‚man‘ auch gar nicht, nicht unbedingt jedenfalls, zumindest nicht im Sinne von: um jeden Preis.
Wer absolutes Verstehen-Wollen und (als Erwartungshaltung) ein völliges Sich-Zu-Verstehen-Geben heranträgt an den Text und wer Verstehen dabei gleichsetzt mit haargenauem, logischem Erklärt-Bekommen oder Sich-Erklären, das ihm doch bitte geliefert werde, damit sein eigenes Verstehen überhaupt erst einsetzen kann, und wer – sollte dies ausbleiben – daraufhin dann Frustration verspürt, der sollte die Finger lassen von diesem „Pyrit“.
Wer aber liest, um angeregt zu werden von schimmernden Erkenntnisbrocken, wer angetrieben ist von dem Wunsch einer Art Weltwahrnehmungszugewinn, sprich von dem Wunsch, in seiner eigenen Wahrnehmung Bereicherung zu erfahren durch die bewegte und bewegende Schrift eines anderen Geistes, der greife beherzt zu und lese. Denn das nun wieder – Wahrnehmungsanreicherung und Weltenwanderung – schenkt einem „Pyrit“, zu Hauf und einfach so, ob man nun will oder nicht.
Und „Utaka“ und „Usipa“ nun? Das sind gar keine Bäume, sondern Fische. Der Text bietet diesen Schlüssel zum Fisch direkt im Anschluss an ihr Auftauchen: „dayfish & nightfish/von Sonne und Mond bewohnt“.
Aber fangen wir besser nochmal an, etwas weiter vorne vielleicht, nicht gleich am Anfang, aber doch ein wenig mehr zu Beginn. Bei einem Pyrit ist es ja schon schwierig zu benennen, wo denn nun sein ‚Anfang‘ liegt, aber unser „Pyrit“ hier ist ja zudem nicht nur Pyrit, sondern auch Meer und Sternenhimmel, Wind und Strom. Und er ist Geburten, unablässige Folgen von Geburten, von Kindern und Gebärenden, Männern wie Frauen. Überall all jene, die „eigenartig ans Leben glaub[en]“…
Wie also könnte man „Pyrit“ beschreiben?
Kurz ginge das vielleicht in etwa so:
Mit dem Lesen von „Pyrit“ begibt man sich in eine Welt, in der alles ein wenig zu funkeln scheint, und wenn es nicht funkelt, dann klingt es kurz an, ein akustisches Aufleuchten sozusagen. Und es ist ein Strömen von anklingenden Bildern, in denen u.a. ein ‚Ich‘ oder viele ‚Ichs‘ sowohl zu entstehen und sich zu positionieren als auch zugleich sich zu ‚entschlüpfen‘, zu ‚entgleiten‘ versuchen. Eine Art Ringen um eine ‚Ichfreiheit‘, bei der es nicht mehr darum geht, ob man nun ‚Ich‘ sagen kann oder soll oder nicht, sondern darum, diese immer wieder aufglimmenden und verlöschenden ‚Ichs‘ durch Ich-Fernes wie Tiere, Orte und Gestalten aller Art und durch viele Schichten und Ebenen, Hitze, Kälte, Wasser, Luft, Gestein und Licht hindurch zu vernetzen und zum Schwingen zu bringen.
Und in der längeren Version dann so:
Zahlreiche Anklänge und Funken, die etwas aufblitzen lassen und kurzzeitig das Dazwischen ausleuchten, z. Bsp. Gegebenheiten aus Märchenwelten und Biblisch-Religiöses, Mytho- wie Geologisches, Geo- wie Topographisches, lauter verspielt ernsthaft Angesprochenes durchzieht „Pyrit“. Es sind vielleicht weniger Anspielungen (zumindest nicht in dem Sinne, in dem man ‚Anspielungen‘ zumeist hört, sprich: Andeutungen) als eben echte Anklänge, die zugleich etwas fürs innere Auge schaffen. Die Bilder, die so erklingen, sind also meist durchaus eindrücklich und kräftig (und eben nicht nur angedeutet), auch wenn sie oft für nur sehr kurze Dauer im Text aufleuchten. Aber sie entwickeln bisweilen visuell-akustische Echos unter- und zueinander. So zum Beispiel – so zumindest erging es mir beim Lesen – das sehr einprägsame „auf dem Eis liefen Teichhühner die drehten mit ihren Füßen / kaum merklich den Erdball“ und „der Atem der Blesshühner / perlt und zerspringt“ und kurz darauf dann das „nichts, nein, es ist für euch nichts zu tun / ein jeder steht still am Herdenplatz, still / nichts zu zerstören / wäre schon viel“: leichtfüßig belebende, oft sehr agil zerbrechliche Bewegtheit aller Elemente der Natur, die zu Textelementen werden, und dann fast schon Rettung durchs Stillhalten und Stillstand, der jedoch nicht eintritt. Oder auch „ich sank tiefer ein in Tharr und sie / trug sich ein in mich / mit einer Düne“ und „meine Sprache ging achteraus wie ein Galizischer Krebs / mit dem Kopf voran in meinen Rumpf sie begehrte mich / ich sprach sie nicht –“: Diesen „Ichs“ widerfährt wortwörtlich Eindringliches. Und so ergibt sich etwas von kaum merklicher, durchgängiger Aktivität im Passiven.
Eine besonders interessante und anregende Eigenschaft von „Pyrit“ ist, dass es sich um einen Lyrikband handelt, der wie eine Erzählung von vorne bis hinten verschlungen sein will (und zwar am liebsten laut und in einem Schwung, wobei zu Anfang die vielen langen Bindestriche etwas irritieren, doch gewöhnt man sich recht schnell daran und genießt dann geradezu ihre oft abwegig erscheinenden Platzierungen, die oft unterbrechen, was dennoch weitergeht…), ein Lyrikband also, der wie eine Erzählung von vorne bis hinten verschlungen sein will, der zugleich aber gelesen sein kann wie eine Sammlung von Gedichten, die beieinander stehen und somit miteinander einhergehen, aber die durchaus auch alleine Bestand haben. Beim ersten Lesen drängt es einen weiter durch diesen „Trichter“ und „schmalen Hals der Sprache“, doch ertappe ich mich bereits beim ersten Lesen dabei, diesem Drängen Einhalt gebieten und zurückkehren zu wollen zu bestimmten ‚Einzeltexte‘, Zeilen und Wendungen, bevor es weitergeht im Fluss der Worte. Und das tue ich dann auch (und seither tue ich es auch immer wieder gerne), und ich genieße diese Stellen dann wie ‚Kristallflächen‘ ganz für sich allein.
typogramm: andrea schmidt
König Drosselbart, Schneeweißchen und Rosenrot, Schneewittchen und die Schneekönigin (so viel Schnee!), der vorsokratische Naturphilosoph Anaximander, Maria, Tamar (und mit ihr oder ihnen die Tamariske), Judith, Daniel in der Löwengrube (bzw. in Abwandlung seine Mutter in jener Grube), „Horen und Nymphen auf najadischem Gespann“, die eben gelesene indische Wüste Tharr, Daressalaam, das malawische Dorf Cape McLear (am Malawisee gelegen, in dem übrigens auch die Fischarten Utaka und Usipa zu finden sind), Kairos Al-Azhar-Park: Sie alle – und die Aufzählung ist nicht vollständig und reißt jetzt natürlich die einzelnen Elemente aus ihren Verflechtungen – bevölkern und bereichern von nah und fern „Pyrit“, sie wabern durch ihn hindurch und schaffen einen Mehrklang, der darüber hinaus auch noch angereichert wird von Liedhaftem wie z. Bsp. einem hierzulande allbekannten Kinderlied, das angerissen wird und zum Ansummen einlädt, selbst oder gerade wenn es stockt. „Ich geh mit meiner Laterne“ setzt zugleich ein und aus, es setzt durchbrochen an:
das Licht ging aus, das Haus das ich fand
verschwand
ich geh ich bin eine Laterne
ich meine Laterne
leuchtet mir – so gehen wir zu dritt – und
keine andere Laterne
geht mit
Manchmal allerdings wirkt das so Angestoßene auch etwas unbeholfen, da dann vielleicht doch ein wenig zu hastig, sprich zu gewollt zitiert, um Raum für Widerspruch zu schaffen, so z. Bsp. beim Aufgreifen des berühmten „Alles hat seine Zeit“ (aus dem Prediger Salomo, dem Kohelet, hierzulande bekannt in eben jener Formel und in der ‚Verdeutschung‘ von Martin Buber als „Für alles ist eine Zeit / […] / eine Frist fürs Geborenwerden / und eine Frist fürs Sterben“ wiedergegeben):
Dieses so berühmte „Alles hat seine Zeit“ wird abgewandelt im etwas übereilt wirkenden „gebären hat nicht seine Zeit – sterben / hat nicht seine Zeit – außer vielleicht hier“. Genau, möchte man da schalkhaft erwidern, eben und also doch, und nicht nur ‚hier‘, es sei denn, wir sollen ‚hier‘ so, auf diese Art, eingeladen werden, durch den jüdischen Anklang alles Vergänglichen-Befristetem im Leben hindurch buddhistische Pfade zu gehen (die Pfade der Nicht-Existenz von Geburt und Tod), und es sei denn, gemeint wäre daher dann auch ein „nichts hat seine Zeit“, da auch Zeit und Raum nicht-existent sind, aber selbst dann oder vielmehr gerade dann wirkt dieser Einwurf etwas überstürzt und unmotiviert, da zu unvermittelt und verkürzt (wo doch noch dazu ‚hier‘– im „Pyrit“ – so schön die Hebammen aufglimmen…), und so streicht man in Gedanken das ‚vielleicht‘. Aber das sind kleine Unebenheiten, die nicht wirklich ins Gewicht fallen oder stören.
Das „Ich“ des „Pyrits“ wandert wie gesagt u.a. auffallend viel durch afrikanische Gefilde, auch wenn es beteuert, es „kenne Afrika nicht“, genauso wenig wie Europa, sondern „nur den Walnussbaum / der hinterm Haus im Schatten steht“. Dahinter verbirgt sich vor allem, so scheint mir, der zu recht geäußerte Wunsch, der ein ernstes Anliegen wird, sich bei allem Afrikanisch-Orientalischem, das mitschwingt, behutsam zu verhalten und fernab „grimmiger Kolonialstiefel“ zu bewegen.
Auf dem Buchrücken ist die Rede vom „Dichten als Jonglage“. Eine gekonnt, gewollt holprige und zugleich fließende Jonglage, so lese ich es, und dem kann man noch das Dichten als Verweben von Klang-Funken hinzufügen, die sowohl danach rufen, gesehen als auch gehört zu werden. Narrengold trifft es daher ganz gut: Nichts ist je ganz klar, und doch leuchtet alles ganz deutlich im sichtbar Unbestimmten.
Der Band kommt in der dem Verlagshaus J. Frank üblichen, schön schlichten, weißen und wunderbar anzufassenden Aufmachung daher. Innen durchziehen Illustrationen die Seiten, die u.a. an überdimensionierte Buchstaben erinnern und den Effekt vom Durchqueren eines Dickichts mit ein paar Lichtungen haben. Ich gebe zu: Vielleicht hätte ich mir da etwas anderes gewünscht, etwas Feingliedrigeres, schilfiger, weniger dick, sperrig und schwarz, denn „Pyrit“ hat bei allen Brüchen, die ihm eigen sind, durchaus etwas Luftig-Elegantes, diesen Bogen eben, der es feinfühlig durchzieht und bei allem eingewobenem Wackeln trägt und zwar vom „Gedicht aus Licht“ bis hin zum „ungeschützte[n] Bekenntnis“…
Aber lassen wir zum Schluss noch einen weiteren der vielen kristallenen Zacken Anke Bastrops selbst erscheinen & erklingen, einen Zacken, der – schon recht bald nach Textbeginn – zusammenfasst, wie es auch gedacht ist mit dem „Pyrit“, denn:
das alles gehört dem der es findet
denn der es findet
hat es gesehen
und der es gesehen hat
hat es geschaffen
und schaffen geht nur mit
sag Liebe
deshalb leg ichs
in die Hände dessen ders fand
meine Scholle die spricht
die bricht
Eine Lyrik, die während und nach dem Lesen in den Gedanken treibt und einem bei allem Wegbrechen auf wundersame Weise erhalten bleibt, die die Liebe zeitgleich aufblättert und wegbröckeln lässt und sie, diese höchstmerkwürdig konkret Vorhandene bis Unmögliche, der es zu misstrauen gilt und die doch zugleich die stets Ersehnte ist, immer wieder auf- und anschlägt wie ein schillerndes Pfauenrad, um sie sogleich erneut herunter zu brechen auf das tröstlich Untröstliche, „die pure Anwesenheit“ des Vergeblichen („unentwegt beißt [das Löwenhaupt] die Sonne davon“, zahnbesetzte Vanitas).
Immer wieder neu den Fächer der Worte erheben, ja den Fächer entfachen, um uns zu zufächeln – feurig erkaltende Liebe aus Luft, „fraglos still“, das ist wohl eines der absichtslosen Ziele, die sich „Pyrit“ gesetzt hat. Und wer sich darauf einlässt, wird merken: es gelingt.
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