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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Ein "mesoPOTTamien" der Brechungen

Hamburg

Es gehört eine Menge Leidenschaft und Sendungsbewusstsein dazu, wenn man so engagiert und über viele Jahre hinweg Kultur fördert und den Nachwuchs stärkt, wie Artur Nickel das seit Beginn des Jahrtausends bereits mit seinen "EssenerKulturGesprächen" und seit über zehn Jahren auch als Mitherausgeber der Essener Anthologien tut, Sammelbänden, die Texte von Kindern und Jugendlichen zu wechselnden Themenkreisen vorstellen. Und er selbst ist ein Autor, der längst über seine Wahlheimat (geboren wurde er 1955 in Marburg/Lahn) hinaus wirkt.

Auch wenn sich Artur Nickel auf den Kollegen Ralf Thenior bezieht: so traurig sind die Hurras mehrheitlich gar nicht, die er in seinem neuen Gedichtband "ruhreinwärts verdichtet" unlängst im Vechtaer Geest-Verlag veröffentlicht hat. Wie der Titel schon andeutet, ist der Band jenem nordrhein-westfälischen Mesopotamien gewidmet, welches man gemeinhin als Kohlenpott, Ruhrgebiet oder Revier kennt: nicht nur ein Zwei-, sondern ein Dreistromland zwischen Lippe, Emscher und Ruhr. Ein Heimatkundebüchlein also? Womöglich hymnisches Besingen von Flöz, Förderturm und Feierabendbier?

Natürlich nicht. Der Ton der Gedichte ist zwar nicht selten durchaus von einer unterschwelligen Begeisterung des Autors für sein Sujet getragen, ein Ton allerdings, der wiederum fast nie ohne Brechung daherkommt. Die Brechung als solche erscheint bei Nickel geradezu als Metapher für das Ruhrgebiet, macht ein lyrisches Schreiben darüber möglich, das sich jenseits von zeigefingriger Sozialanalyse und alkohol- und fußballgesättigtem Wirgefühl bewegt. Überraschend viel Landschaft vermittelt sich aus diesen Zeilen, Stadtlandschaft mitunter, getragen von Worten wie Wasser, Ufer, Brücke. Wer nur die Klischees über das Revier kennt, ist sich meist nicht klar, wieviel Natur es hier tatsächlich gibt. Artur Nickel gibt dem Raum, ohne es explizit zu benennen. Seine Gedichte sind ausnahmslos kurz, seine Verse bestehen oft nur aus einem einzigen Wort, das seine Kraft nicht selten gerade aus diesem Alleinstehen bezieht:

"mond //schnee / fällt //  wolken / kräusel // ein last / kahn wartet // (mit import / kohle)"

Der Leserschaft wird nahegelegt, zusammengesetzte Begriffe zu zergliedern und in ihre jeweils unterschiedliche Assoziationen hervorrufenden Bestandteile zu zerlegen. Die konsequente Kleinschreibung wird an einigen Stellen aufgebrochen durch Binnenmajuskeln, die in teils durchaus ernster, teils ironischer Weise Wortteile als eigene verstehbare Sinneinheiten ausweisen:

"chaussee / verstaubt und / abgehetzt // schICHt / wechsel // jahres ringe / zeichnen / mich ab"

oder

"amsel // die die gras / narbe / seziert // im schnAbel / das abendB / rot // am tresen / singt sie // bruch / tage // Kain rauch / zeichen"

Man könnte einwenden, dass ein derartiges Formbewusstsein mitunter zwar schon fast einer Überstilisierung nahekomme; zugegeben, auch Abendbrot und Abendrot gingen bereits in einem alten deutschen Schlager eine Wortspielbeziehung ein, aber in den allermeisten Fällen erreichen die vom Autor gewählten inneren und äußeren Verbindungslinien zwischen Inhalt und Gestaltung eine poetische Verdichtung, die sich durchaus nachvollziehen lässt, so etwa auch in der Verwendung unkonventioneller Interpunktion:

"die r.uhr // meine / zeit / maschine / mäandert / in meinem / gestern [...]"

Auffällig ist auch die grafische Anordnung einiger der Texte, die sich in Wortgruppen so über das Blatt verteilen, dass man sie in verschiedener Reihenfolge lesen kann, was jeweils unterschiedliche Nuancen der Wahrnehmung und der Verarbeitung der eigenen gedanklichen Verknüpfungen nach sich zieht. Die Nickelsche Leserschaft wird so immer wieder an eine sanfte Form des eigenen Nachgestaltens dieser Lyrik geführt. Obwohl der Autor seit vielen Jahren hauptberuflich als Lehrer arbeitet, kommt dieser Ansatz erfreulicherweise nicht unverblümt didaktisch daher, sondern er legt sich eher spielerisch nahe. Wenn gar ein Gedicht über Wildgänse in der charakteristischen Keilform der Flugformation gestaltet ist, grüßt die Konkrete Poesie von fern. Auch wenn vielen Gedichten ein nachdenklicher Ton innewohnt, so überwiegt doch ein Gesamteindruck von poetischer Beschwingtheit.

Diese Leichtigkeit setzt sich kongenial fort in den Grafiken der gebürtigen Hamburgerin Susanne Bloch, die heute in Bochum lebt und in Bonn und Dortmund studiert hat. Ihre markanten abstrakten Landschaften mit ihrer entschiedenen Farbgebung und dem kontrastreichen Spiel der Formelemente gehen eine ästhetische Symbiose mit Nickels Gedichten ein, freilich ohne sich nur illustrativ dazwischen zu schmiegen. Fast hätte man sich noch einige mehr als die zusammen mit dem Titelbild zehn farbigen Abdrucke gewünscht. So allerdings bleibt dieses schön gemachte quadratische Künstlerbuch mit 14,80 Euro am Ende auch noch erfreulich günstig.

Artur Nickel
ruhreinwärts verdichtet
Mit Grafiken von Susanne Bloch
Geest Verlag
2016 · 12o Seiten · 14,80 Euro
ISBN:
978-3-86685-574-8

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