Liebelei und Reigen
Elmore Leonard ist eine Ausnahmeerscheinung im internationalen Krimigeschäft. Jeder seiner Romane, den man in die Finger bekommt, ist ein großes Vergnügen. Und es gibt unerhört viele von ihnen.
Die Gründe, die für Leonards Roman sprechen, treffen dabei den Kern des Krimihandwerks und demonstrieren die enormen Stärken der amerikanischen Schreiber, die leider hierzulande nur wenige Schüler gefunden haben: Die Plots sind ausgewogen und plausibel, die Figuren sind so cool, dabei aber so selbstironisch, dass es Freude macht, ihnen zuzusehen, und die Dialoge erst: aller beste Sahne. Showdown? Kein Grund, nicht einen blöden Spruch loszulassen. Da übt man Jahr um Jahr, aber an diese Schlagfertigkeit kommt man immer noch nicht ran. Umso schöner, wenn man den Figuren Leonards dabei zuschaun (lesen zuhörn) kann, wie sie verbal aufeinander losgehen. Das nennt man wohl Probe- und Ersatzhandeln, wie weiland Dieter Wellershoff geschrieben hat.
Erfolgreich ist der Mann mit seinen zahlreichen Werken auch, „Get Shorty“ ist von ihm, „Jackie Brown“ ebenfalls, oder „Out of Sight“, sie alle sind in den Filmfassungen Klassiker und höchst vergnüglich dazu. Der Erfolg ist Leonard zu gönnen, denn intelligente Unterhaltung ist jeden Cent wert, den man dafür ausgibt. Und dass es das wird, darauf kann man sich eben bei Leonard verlassen.
Nun mit „Raylan“ ein neues Werk in der Reihe der abgedrehten Heldenfiguren Leonards, bei denen es ziemlich egal ist, ob sie bei den Guten oder Bösen angesiedelt sind, was als weiteres Lehrstück Leonards anzusehen ist.
Raylan Given ist US-Marshall und nun, nachdem er ein bisschen Ärger hatte, in seine Heimatstadt in Kentucky strafversetzt worden. Da macht er dann einfach weiter mit seinen, unkonventionell zu nennenden Ermittlungsmethoden, die allzu sehr darauf hinauslaufen, dass er den jeweiligen Ganoven nicht festnimmt, sondern erschießt. Natürlich in Notwehr und gegebenenfalls aus der Hüfte – woran man dann das Problem auch schon erkennen kann.
Denn ein Ermittler und Gesetzeshüter, der es regelmäßig auf einen Showdown ankommen lässt (was kann er dafür, dass ihn die Üblen immer gleich erschießen wollen?) und dabei eine hohe Mortalitätsquote erreicht (er ist halt fix), ist zumindest fragwürdig, weshalb sich Leonard, so gesehen, diesen ganzen Roman daran abarbeitet, Raylan von Schuld frei zu sprechen.
Kein Grund aber zur moralischen oder sonstigen Entrüstung, wir sind hier in Amerika und die Trennscheide zwischen den Guten und Bösen liegt nicht im Waffengebrauch, sondern in dem, wofür sie stehen, begründet. Raylan ist ein Guter, weil er das Gute vertritt. Das Böse ist erst mal dadurch erkennbar, dass es auf der falschen Seite steht, etwa bei den Drogendealern, etwa bei den Leuten, die anderen Nieren klauen, oder bei denjenigen, die harmlose Bürger über den Haufen schießen, weil sie es nicht akzeptieren wollen, dass man ihnen einen Haufen Müll in den Garten kippt. Unternehmen, die Leute reich machen, und andere um die Existenz bringen, die die Natur ausbeuten, und sich einen Dreck darum scheren, welchen Dreck sie hinterlassen, sind übrigens auch böse. Mit anderen Worten, man weiß gleich, mit wem man es zu tun hat.
Manchmal können allerdings auch Leute, die auf der falschen Seite stehen, eigentlich gut sein: der Drogenboss, der verhindern will, dass ein ganzer Berg verschwindet, weil Kohle drunter liegt, oder die junge Studentin, die verbotenerweise Poker spielt und das auch noch höchst erfolgreich. Da kann man dann schon mal ein Auge zudrücken – auch weil wir ja wissen, dass die Seite, auf der die Leute stehen, doch nicht immer dafür herhalten kann, was sie wirklich sind.
Leonards Kunstfertigkeit besteht nun darin, hier sehr verschiedene Handlungsstränge so miteinander zu verbinden, dass sie einen ganzen Roman ergeben: Für sich genommen sind es mindestens drei Fälle, die er auf etwa 300 Seiten abhandelt: Ein Organdiebstahl im Drogenmilieu, ein Mord, der – wie die Leser von Beginn an wissen – der Marketingchefin des lokale Kohlekonzerns anzulasten ist, und eine Reihe von Banküberfällen, die von drei bedröhnten Ex-Stripperinnen durchgezogen werden, zu denen angeblich die junge Pokerspielerin gehört, deren Karriere gleichfalls Gegenstand ist. Hintereinander geschaltet ergeben sie so etwas wie eine Verbrechensreihe, in der das letzte Verbrechen Raylan ans nächste übergibt.
Das Ganze ist ziemlich blutig angelegt, denn Raylan erschießt selbst mindestens zwei der Leute, die Konzernmanagerin wird von der Witwe ihres Opfers erlegt, die Drogendealersöhne, die am Anfang an der Organsache beteiligt sind, werden von einem Kompagnon erledigt, zwei der Bankräuberinnen werden von ihrem Auftraggeber erschossen, die dritte ist da zu ihrem Glück schon im Knast.
Es ist da also eine glückliche Totschießerei im Gange, die nicht so recht ihr Ende finden will, weshalb nicht-amerikanische Krimileser wahrscheinlich froh sind, weder im Krimi-Kentucky Leonards noch in den realen USA zu sein, wo es ja gerade mal wieder heftige Debatten um die allgemeine Waffennarrheit gibt.
Das alles ist allerdings derart kurzweilig erzählt, dass man sich diesen wenigen Lesestunden gönnen mag, in denen man aus dem eigenen halbwegs zivilisierten Leben entfliehen darf. Und dass der Held mit den dunklen Seiten (seine Geliebte assoziiert ein Monster mit ihm zum Schluss der Romans) nicht nur all die kritischen Moment übersteht, die er in diesem Romangeschehen zu bewältigen hat, sondern auch noch genau die Frau kriegt, die ihm zusteht, zeigt spätestens an, dass wir uns im Zauberland der coolen Leonard-Helden befinden. Es wäre schön, wenn wir so sein könnten, aber wir wollten so nicht leben, nehme ich an.
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