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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Reste strenger, nie wuchernder Sprache

Hamburg

Die Literatur des Expressionismus war vor allem durch Diskrepanzen geprägt. Die Bandbreite zwischen der grotesken Dichtung eines Alfred Lichtensteins bis zu den verklärt-opaken Versen eines Georg Trakl lassen sich nicht kurzerhand auf einen gemeinsamen Nenner zusammen streichen. Ein Blick in die von Kurt Pinthus‘ 1919 veröffentlichte Anthologie „Menschheitsdämmerung“ bestätigt das nur. Auch die Dichterinnen und Dichter, die sich in den Zehnerjahren des letzten Jahrhunderts produktiv in die deutschsprachige Literatur einmischten, könnten unterschiedlicher kaum sein. Von der radikalen Linken bis zum christlich angehauchten Hurra-Patriotismus war alles vertreten und in der Salonkultur der Zeit kam es schon mal zu Todesdrohungen über Nichtigkeiten. Was alle einte, war eine brennende Passion für den Gegenstand Dichtung, vor allem die Lyrik. Aus einer dermaßen heterogenen Masse wirklich heraus zu ragen, sogar kanonisch zu werden scheint umso bemerkenswerter, rückblickend vielleicht aber auch ein fast zufälliges Ereignis. Viele Werke sind in Vergessenheit geraten, manche völlig zu Unrecht.

Georg Heym ist einer der Namen, der hier und dort noch auftaucht. In Schulbüchern finden sich noch Gedichte wie „Der Gott der Stadt“ und „Die Stadt“. Eine postume Ehre, die nur wenigen Dichterinnen und Dichtern seiner Generation vorbehalten ist. Und doch: Genau hundert Jahre nach seinem Tod wird dem früh verstorbenen Schriftsteller, der neben einer beachtlichen Anzahl von Gedichten auch Prosa und dramatische Versuche für sich verbuchen konnte, kaum gedacht. Für Florian Voß ein Versäumnis, das nachgeholt werden sollte. Mit der Anthologie „Ich bin von dem grauen Elend zerfressen“ will der Dichter und Herausgeber Heym wieder in die öffentliche Wahrnehmung hieven. Dazu hat er sich nicht für eine geschmackssichere, aber fade Best-of-Sammlung der Heymschen Gedichte entschieden, die als bessere coffee table-Lektüre enden würde.

Vielmehr setzt er auf einen frontalen Diskurs: 27 zeitgenössische Dichterinnen und Dichter haben sich mit dem – für einen mit 24 Jahren verstorbenen Schriftsteller doch sehr umfangreichen Werk – auseinander gesetzt und präsentieren nun ihre ganze eigenen Erwiderungen, literarische Cover-Versionen und Remixe des Originalmaterials.  Flankiert werden die Texte von Tagebuchauszügen Heyms, die ihn als Neurotiker, Leidenden zeigen, der sein Heil im überbordenden Narzissmus suchte. Beinahe scheint er gegen Voß‘ Bemühungen unwissentlich Einspruch erhoben zu haben, als er am 5. Oktober 1911, ein paar Monate, bevor er zusammen mit seinem Freund Ernst Balcke in der vereisten Havel ertrank, notierte: „Wenn mein Werk etwas bedeutet, wird es von allein an das Licht kommen und bleiben.“ Die Sammlung spielt trotzdem (Wieder-)Geburtshelfer,

„Ich bin von dem grauen Elend zerfressen“ hat einen mehr als nur summierenden Charakter, findet seine Rechtfertigung nicht allein in seinem morbiden Anlass. Heym hatte, wie Stephan Reich das in seiner eindringlichen Verschränkung von dessen Gedicht „Ophelia“ und seinem eigenen tragischen Tod schreibt, „an den lippen noch reste // strenger, / nie wuchernder sprache“, als er 16. Januar 1912 langsam in einem Eisloch versank. Die darf nun wieder wuchern, in Gedichten, die hundert Jahre später entstanden sind.

Der direkte Vergleich mit zeitgenössischer Lyrik fördert Erstaunliches zu Tage. Die apokalyptischen Metaphern und übertriebenen Bilder Heyms sind anderen sprachlichen Verarbeitungsstrategien der Welterfahrungen gewichen. Schon die ersten drei der Erwiderungen, sie stammen von Max Czollek, Linus Westheuser und Richard Duraj, zeugen davon, dass nicht unbedingt die Wahrnehmung sich geändert hat, vielmehr allerdings die sprachlichen Codes, durch die diese ihren Ausdruck findet. Czollek schreibt von „kognitiver Störung“, Westheuser vom „antropomorphismus, / der seine arbeit macht“ und bei Duraj ist die Landschaft „hypermaskulin“. Die überbordende Sprachgewalt ist fachsprachlichem Jargon gewichen, das Pathos wird in den Modus der analytischen Beschreibung transferiert.

Hendrik Jackson nimmt sich sogar einen beinahe tadelnden Ton gegenüber Heym und dessen leiernder, schleppender Metrik heraus: „Rumpapa, ich hör die Verse nächtlich meine Nerven schleifen. / Rumpapa Rumpapa. Wiederholung bläut am Himmel: Vier.“ Ein Highlight nicht nur, weil es sich bei dem Text um eine scharfsinnige Erwiderung handelt, sondern weil es Jackson gelingt, das Original mühelos in den heutigen Diskurs zu übertragen, mit Humor und Schärfe zu versehen. Selbst wenn die Texte Hemys formal ansatzweise epigonal übernommen werden wie bei Synke Köhler oder Jan Wagner oder aber ganz zerfetzt werden, wie das bei Jinn Pogy passiert – kaum eines der Gedichte lässt Dialogcharakter vermissen, keines wirkt fehl am Platze.

Die Sorgfalt und Durchdachtheit, mit der Voß die Gedichte arrangiert hat, trägt ihr Übriges bei. Die Verknappungen, mit denen Marcus Roloff, Herbert Hindringer, Achim Wagner und Alexander Gumz Heyms Texten begegnen, stehen in einer logischen Reihenfolge hintereinander und trotzdem in ihrer Herangehensweise für sich. So vollzieht „Ich bin von dem grauen Elend zerfressen“ einen nachvollziehbaren Bogen durch verschiedene poetologische Ansätze, der trotzdem noch vor Überraschungen trotzt und dessen roter Faden unübersehbar ist und lediglich durch den englischsprachigen Einschub Johannes CS Franks sein mildes Irritationsmoment erhält. Aber auch das nur: Ganz im Sinne dieser großartigen Anthologie, die die verschiedensten Stimmen auf die eine von Heym treffen lässt.

Den Abschluss macht Ernst Balcke, der damals gemeinsam mit Heym sein Grab in der Havel gefunden hat. Ihm wird noch weniger Beachtung geschenkt als seinem Freund. Vielleicht auch nur ein literaturhistorischer Zufall. Eigentlich ist das jedoch zu vernachlässigen: Selbst Heym dient nur als Aufhänger für eine Anthologie, die einen beeindruckenden – wenngleich nicht zwangsläufig repräsentativen – Gang durch die deutschsprachige Gegenwartsdichtung versammelt. Eine Anthologie, die viele andere Lyriksammlungen in den Schatten stellt, obwohl und gerade weil sie zeigt, dass sich die aktuelle Gegenwartslyrik nicht auf einen Nenner zusammen streichen lässt. Wie damals, zu Zeiten Georg Heyms. Ob der mit diesem Buch wieder zu Ruhm kommt, sei dahin gestellt. Aber er dient als Katalysator für einige der interessantesten Dichterinnen und Dichter, die die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu bieten hat.

Georg Heym · Florian Voß (Hg.)
Ich bin von dem grauen Elend zerfressen
buch&media
2012 · 88 Seiten · 11,50 Euro
ISBN:
978-3-869063737

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