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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Ein typographisch gutes Buch ermöglicht die maximale Kraft- und Zeitersparnis beim Lesen!

Gerd Fleischmanns nicht ganz gelungene Verbeugung vor Jan Tschichold, dem großen Typographen
Hamburg

„Über Bücher, Kunst und Typografie scheint alles gesagt – wie über Liebe und Tod. Und doch kann man endlos immer wieder von neuem darüber diskutieren – und rätseln.“ Das schreibt Gerd Fleischmann im „Blick zurück“ am Ende seines schmalen Bandes, der einem der wichtigsten Typographen des 20. Jahrhunderts gewidmet ist: Jan Tschichold.

Tschichold, 1902 unter dem Namen Johannes Tzschichold in Leipzig geboren, trat schon früh in die Fußstapfen seines Vaters, der Schriftenmaler war. Er interessierte sich für Buchgestaltung und Kalligraphie und begann 1919 ein Studium an der Leipziger Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe, in der Schriftklasse von Hermann Delitzsch. Seine außerordentliche Begabung wurde früh erkannt, der ein Jahr später frisch berufene Direktor der Akademie, der Buchkünstler, Typograf, Illustrator und Grafiker Walter Tiemann, der 1907 zusammen mit seinem Jugendfreund Carl Ernst Poeschel, dessen Druckerei für die Leipziger Verlage von herausragender Bedeutung war, die Janus-Presse, die erste deutsche Privatpresse, gegründet und für diese auch eine eigene Schrift entworfen hatte, ernannte ihn zu seinem Meisterschüler.

Aber bald lagen sie im Dissens. Denn Tzschichold, der bisher nur mit der eher traditionellen Typografie und Buchgestaltung zu tun gehabt hatte, die unter Tiemann zwar die florale Ornamentik des Jugendstils abgelegt hatte, aber noch nicht wirklich in der Moderne angekommen war, Tzschichold war zum Bauhaus gereist.

Und da hatte die Schrift eine ganz neue Funktion, die Typografie ein ganz neues Ansehen bekommen. Sie wurde hier zur selbstständigen künstlerischen Ausdrucksform befördert und gleichzeitig den praktischen Anforderungen der Zeit unterstellt – ganz dem Verständnis des Bauhaus folgend, das das Alltägliche zum Kunstwerk erhob und in der Kunst die Gebrauchsfunktion suchte. László Moholy-Nagy hatte 1923 in einem Aufsatz zur ersten Bauhaus-Ausstellung eine klare und eindeutige Schriftgestaltung gefordert und für diese den Begriff „Neue Typographie“ geprägt, womit eine Typografie gemeint war, die den modernen technisch-maschinellen Möglichkeiten angemessen wäre und sich mit ihrer Hilfe leicht umsetzen ließe.

Johannes Tzschichold war begeistert, nannte sich ab sofort, als Verbeugung vor den vorwiegend aus dem Osten kommenden Lehrern und Strömungen, Iwan Tschichold (später, im konservativen München, auf Drängen der Behörden nochmals geändert in Jan) und schrieb das so dringend notwendige Standardwerk für Setzer und Drucker, das die eher allgemein und theoretisch formulierten Forderungen Moholy-Nagy’ in Praxistaugliches übertrug: Sein Lehrbuch „Die Neue Typographie – Ein Handbuch für zeitgemäß Schaffende“ enthielt vor allem konkrete Vorschläge und Beispiele zu Schriftwahl, Schriftbild, Typenauszeichnung, um die Arbeit in den Setzereien und Druckereien zu vereinfachen. Seine Richtlinien fanden schnell Verbreitung und wirken bis heute. Kaum ein Gestalter, dessen Schriftarbeit, bewusst oder unbewusst, in Ablehnung oder Nachfolge, nicht auf Tschichold zurückgeht.

Tschichold ging es um Lesbarkeit. Ein Buch war für ihn etwas, das man in die Hand nehmen und mit ruhigen Augen lesen kann. Das Kunst- oder Künstlerbuch interessierte ihn nicht. Typografie war ihm keine grafische Spielerei, sondern sollte dem Zweck dienen, gut lesbare Bücher herzustellen. Mit den Satzregeln, die er 1947 für die Penguin Classic-Paperbacks formulierte und die zwei Jahre später umgesetzt wurden, erfüllte er sich einen langgehegten Wunsch: für eine Massenreihe der industriellen Buchproduktion die Satzstandards vorzugeben.

Gerd Fleischmann gibt in seinem Band „Tschichold – na und?“ diese Satzregeln ungefähr in der Mitte wieder, versieht sie mit mehrseitigen Anmerkungen. Sein Buch ist hier etwas für Typografie-Enthusiasten, Schrift-Laien werden bald aufgeben, da ihnen die Fachbegriffe nichts sagen. In Zeiten, in denen die Mehrzahl der Germanistikstudenten nicht mehr Fraktur lesen kann und selbst Philologen nicht wissen, was ein Festabstand, was Serifen, was Versalien, was Ligaturen sind, sind Diskussionen über Sinn und Unsinn der Verwendung eines „Punktspatiums“ bei Gebrauch der Guillemets, der französischen Anführungszeichen, für die allermeisten Fachchinesisch.

Aber die 24 Miniaturen um den typografischen Regelkern bieten auch anderes. Biographisches zu Tschichold, eine kritische Sichtung seiner Leistung, eine exkursorische Geschichte des Mediums Buch im 20. Jahrhundert mit Ausblick ins 21. auf die hinzugekommene Welt von Websites, Blogs, E-Books und E-Readern, Book on Demand, Smartphones und iPads. Computer, Mobiltelefone und Tablets bringen das A und O der Buchgestaltung, die Doppelbuchseite, zum Verschwinden und werfen dafür zahlreiche neue Probleme auf für Gliederung, Hervorhebung, Fließtextaufteilung, Umbruch, Seitenrand etc. Natürlich gilt auch hier der von Tschichold propagierte Grundsatz: „Die beste Gestaltung ist die, die man nicht sieht.“ Aber wie erreicht man sie?

Typografie hat immer mit dem Zeitgeschmack und dem Medium zu tun. Auch Schrift- und Buchgestaltung ist eine Frage des Stils. Der entwickelt sich, und was eben noch als modern galt, wird zehn Jahre später als altbacken angesehen. Insofern muss, was gute Schrift- und Textgestaltung ist, immer wieder neu verhandelt werden. Vom Stil zu unterscheiden sind aber bestimmte Prinzipien, die wiederkehren. Die äußere Gestalt – Gebrauch von Fraktur oder Antiqua, Farben, Papier – unterliegen der Mode, die Fragen von Proportion, Anzahl der zu verwendenden Schriften, Durchschuss oder Umbruch aber folgen verallgemeinerbaren Regeln.

Gerd Fleischmann, Jahrgang 1939, ist selbst Typograf – und hat so seine eigenen Ansichten und Einsichten, aus Studium und praktischer Erfahrung gewonnen. Mit dem Band, der als dritter in der von Klaus Detjen im Wallstein-Verlag herausgegebenen Reihe „Typographische Bibliothek“ erschienen ist, gibt er auch selbst ein Beispiel für ein in seinen Augen gelungenes Buch, hat er den Text doch selbst gestaltet und das Buch mit Titelei und Umschlag versehen. Natürlich schaut man, bei einem so kritischen wie selbstbewussten Typografen, besonders scharf hin. Und ärgert sich über jeden kleinen Fehler in der Orthografie, eine falsche oder unschöne Trennung, einen vergessenen Einzug oder nicht überzeugenden Umbruch (S. 52/53). Perfektion gibt es nicht, klar, auch wenn man sie sich gewünscht hätte. Doch ein anderer Mangel als diese, die in einer zweiten Auflage leicht behoben werden können, wiegt schwerer: Die gewählte Schrift FF Scala von Martin Majoor – ist sie nur mir zu klein, zu schwer zu lesen in der Kursiv? Das Buch folgt hier eben nicht dem Grundsatz, seine Gestaltung vergessen zu machen, sondern hebt sie ein wenig zu sehr hervor. Es betont seine Mache statt allein dem Text zu dienen – und ist so eine nicht ganz geglückte Reminiszenz an Jan Tschichold.

Gerd Fleischmann
Tschichold – na und?
Reihe: Ästhetik des Buches (Hg. von Klaus Detjen); Bd. 03
Wallstein
2013 · 79 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-8353-1353-8

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