Auf der Suche nach Utopien
Der Satz von Leo Tolstoi aus Anna Karenina, jede Familie sei auf ihre eigene Weise unglücklich, könnte als Motto über dem Roman von Jonathan Lethem stehen. Wie sollte es auch anders sein, in einer Familie, in der sich jede Generation an neue Utopien klammert und die deren Scheitern nicht wahrhaben will. Es ist die Geschichte von Protagonisten, die innerhalb der amerikanischen Linken und der Protestbewegung spielt, die von Schwarzen und Schwulen erzählt.
Im Mittelpunkt steht die dynamische und ebenso verbissene Rose Zimmer, eine Jüdin und Kommunistin mit Vorfahren aus Osteuropa. Ihren deutschen Ehemann Albert hat sie schon an die Partei verloren, die ihn der Spionage verdächtigte und in die DDR schickte. Zu Beginn der Handlung fehlt ihr auch noch ihr wichtigster Bezugspunkt, denn sie ist aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden, weil sie ein Verhältnis mit dem schwarzen Cop Douglas hat. Es ist erstaunlich wie rassistisch in den fünfziger Jahren auch die auf Gleichheit pochenden Kommunisten in den USA waren. „Man warf ihr übertriebenen „Eifer für die Negerrechte“ vor, ausgerechnet ihr, die in den Dreißigern das war, „was Kommunistenfresser später verfrühte Antifaschistin nennen sollten. Und jetzt? Pochte sie übersensibel auf Gleichmacherei.“ Daraus erwächst Roses „übliche Wut“, die die Welt in Gut und Böse einteilt und keine Nuancen gelten läßt.
Damit überfordert sie ihre Tochter Miriam. Die merkwürdige Hassliebe, die die beiden verbindet, findet ihren Höhepunkt in der Szene, als Rose den Gasherd aufdreht und erst ihren Kopf und dann den von Miriam hineinsteckt. „Rose stieß Miriams Kopf in den Herd. Miriam ließ es willig geschehen… Vielleicht wollte Rose Miriam prüfen. Vielleicht prüfte auch Miriam sie, indem sie sich nicht wehrte.“
Miriam selbst zieht bald bei ihrer Mutter in Queens aus. Als „Überlebende einer eisernen roten Mutter“ heiratet sie den erfolglosen Protestsänger Tommy und lebt mit ihm sowie ihrem kleinen Sohn Sergius in einer Kommune. Tommy und Miriam sind Idealisten, auch sie wollen die Welt verbessern, mit Songs, mit Demonstrationen, mit Mahnwachen. Ihr Engagement und ihr Scheitern gipfeln darin, dass sie 1979 nach Nicaragua gehen, um die sandinistische Revolution zu unterstützen, was ihren achtjährigen Sohn Sergius zu einem Waisen macht.
Eine der interessantesten Figuren ist Cicero, der Sohn von Roses schwarzem Liebhaber. Man könnte sagen, dass er sowohl für Rose als auch für Miriam zu einer Projektion ihrer Ambitionen wird. Sie legen ihren ganzen Ehrgeiz hinein, dem schüchternen, dicklichen Jungen Bildung und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Dies gelingt auch, denn er bekommt ein „Ivy League“- Stipendium, was bedeutet, dass er an einer der besten Hochschulen studieren darf. Gleichzeitig wollen die beiden Frauen sich durch Cicero aber auch ihren Mut und ihre Toleranz innerhalb einer rassistischen Gesellschaft beweisen. Als ihr Schützling sein Stipendium von der Guardians Association, einer Vereinigung schwarzer Polizisten, verliehen bekommt, besucht Rose als eine von nur drei Weißen die Veranstaltung und „johlte mit den Schwarzen, verströmte ungetrübten Stolz, als hätte sie das Podium höchstpersönlich mit Hammer und Sichel gebaut.“
Es ist auch Cicero, der schwule, 140 Kilogramm schwere Literaturprofessor und erfolgreiche Buchautor, der sich um Rose kümmert, als sie schon in einem Heim lebt.
Laut Duden sind Dissidenten Menschen, die von einer offiziellen (politischen, religiösen) Ideologie abweichen und so ist Lethems Roman auch die Beschreibung eines anderen American Dreams. Und doch ist „Der Garten der Dissidenten“ ein ausgesprochen amerikanischer Roman. Denn das Scheitern seiner Protagonisten spielt sich vor der Kulisse amerikanischer Geschichte ab und ist gespickt mit gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. Besonders Amerikakenner dürften daran ihre Freude haben. Als typisch amerikanische Facette durchziehen den Roman zahlreiche Beschreibungen von Baseballspielen und es ist als Leser durchaus vorteilhaft, wenn man die Aufgaben eines Pitchers kennt und weiß, was ein Home Run ist. Eine sehr schöne Szene befindet sich am Ende des Romans. Cicero, der es mit den New York Mets hält schleppt die alte, einsame Rose zu einem Spiel, wo sie – natürlich – Hotdogs essen.
„Wer ist der Pitcher?“
„ Pat Zachry, Rose. Ich denk, du liest regelmäßig die Sportseiten der Post?“
„Pat Zachry hat keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.“
Die Handlung ist nicht chronologisch geschrieben. In vielen Perspektiven und Rückblicken, in abwechselnden Zeitebenen wird von diesen - laut Klappentext - „unvollkommenen Menschen“ erzählt. Beendet wird die Geschichte mit Roses Enkel Sergius. Ausgerechnet er, der introvertierte, schüchterne Junge, der als Waisenkind bei den pazifistischen Quäkern aufgewachsen ist, wird am Schluss zu Unrecht auf dem Flughafen in Portland/Maine verhaftet, weil ein übereifriger Wachmeister sich vorwarf, 2001 den Nine-Eleven-Attentäter Mohamed Atta nicht erkannt zu haben. Und so schließt sich der Kreis. „Sergius hatte diesen wesentlichen, unentschiedenen Ort erreicht, das ungenannte Ziel, war vom Leben des Planeten getrennt und doch nicht in der Luft. Zum Schluss in diesem Nirgendwo eingetroffen, in dem er für das Gesetz sichtbar wurde. Eine Zelle mit einem Mitglied und dem Pulsschlag eines Herzens.“
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