Vom Auseinanderbrechen der Muster
Es ist die Metapher eines Kaleidoskops, die Julya Rabinowich im Prolog einführt und die uns als Ariadnefaden durch die verästelten Begegnungen und Beziehungen der drei Hauptpersonen ihres Romans Krötenliebe begleitet.
Man kann aber auch annehmen, die Zeit wäre ein Kaleidoskop: Bei jeder Drehung brechen die Muster aus glänzenden Glassteinchen in neue Konstellationen, die einander ähneln, sich aber nie in exakt gleicher Weise ähneln. Das ist tröstlich und erschreckend zugleich: Nichts kommt wieder, was einmal verschwunden ist.
Das hört sich so an, als sei das Muster des eigenen Lebens genauso zufällig wie das der bunten Steinchen, und vielleicht wollten das die drei Personen, von denen der Roman erzählt, auch so sehen: der Biologe Paul Kammerer, der Maler Oskar Kokoschka und Alma Mahler-Werfel. Vielleicht sei es aber ganz anders gewesen, führt die Autorin den Gedanken weiter und legt nahe, dass diese Erklärung der Wahrheit näherkommt.
Einer, dessen Blick sich vor Gier geengt hat zu einem kleinen dunklen Tunnel, an dessen Ende das Licht der begehrten Dinge leuchtet, fragt nicht, sondern bündelt seine ganze Kraft, sein ganzes Unvermögen und Vermögen, um endlich in das erlösende Licht zu tauchen. Er fragt nicht nach dem Danach und dem Preis.
Worin die Verengung der Blicke besteht, davon handelt dieser Roman. Es ist die Zeit des Ersten Weltkrieges, später des Nationalsozialismus, der Kokoschka zum entarteten Künstler stempelt und ihn, ebenso wie Alma mit Franz Werfel, in die Flucht treibt.
Und es sind die Leidenschaften, oder – um es weniger freundlich auszudrücken – die jeweilige Besessenheit dieser drei Personen, die in einer Art menage à trois unglücklich miteinander verbandelt sind. Wie man den ausführlichen Lebensläufen im Anhang entnehmen kann, steckt viel Biografisches in den Beschreibungen, die die Autorin fiktiv ergänzt, indem sie nah an die Personen herangeht, ihnen Worte und Gedanken zuschreibt und dadurch deren (bekannten) Handlungen interpretiert.
Dabei verfährt sie nicht chronologisch, sondern mischt Personen und Zeit, je nachdem, was sie in den einzelnen Kapiteln erzählen will, wobei Vor- und Rückblenden die Zeitstruktur zusätzlich unterbrechen.
Damals ahnt er nichts von dem, was kommen würde, das Kaleidoskop hatte sich noch nicht weitergedreht, mehrmals, er wusste noch nicht, dass er seine Verzweiflung in eine lebensgroße Stoffpuppe pressen würde, in die Späne, die der Nachahmung ihres Körpers Fülle gaben, von weichem Stoff überzogen.
Die Rede ist von Kokoschka, der, nachdem Alma Mahler sein Kind abgetrieben, sich von ihm getrennt und den Bauhausarchitekten Walter Gropius geheiratet hat, schier wahnsinnig wird. Er lässt sich eine Alma-Puppe herstellen, mit der er isst, schläft, bis er eines Tages diese nutzlose Ersatz-Alma enthaupten wird. Die Beziehung zwischen Alma und Kokoschka beschreibt Rabinowich als eine amour fou, die von beiden Seiten exzessiv gelebt wird, oder, um die Begriffe des Klappentextes zu benutzen, als eine Beziehung zwischen dem enfant terrible der Kunstszene und der femme fatale.
Wie besessen malt Kokoschka ein Alma-Bild nach dem anderen, beispielsweise das berühmte Gemälde Windsbraut. Gleichzeitig bedrängt er seine Geliebte dermaßen, dass sie das Gefühl hat, sie müsse sich von ihm reinigen.
von dem Strudel, in den sie sich gegenseitig hineingezogen hatte, sie wollte keinen einzigen phantasierten Mord an möglichen Verehrern mit heiserer Stimme und üblem Atem mehr in ihr Ohr geknurrt bekommen, was er immer wieder tat, vor allem dann, wenn sie sadomasochistische Praktiken verweigert hatte.
Bei Kokoschka fokussiert sich Julya Rabinowich auf seine Zeit mit Alma und die Trennung von ihr. Von seinem späteren Leben wird nebenbei berichtet. Paul Kammerers Schicksal beschreibt sie bis zu seinem Selbstmord. Wie Kokoschka ist auch er sowohl von Alma als auch von seiner Arbeit besessen. Obwohl Alma ihn ständig abweist und auch nur ein einziges Mal mit ihm Sex hatte, kann er nicht von ihr lassen. Er belästigt sie mit Briefen, ruft sie an und droht, sich wegen ihr zu erschießen. Dass er das schließlich macht, hat aber nichts mehr mit Alma zu tun. Seine andere große Liebe gehört der experimentellen Biologie, mit Feuersalamandern, Geburtshelferkröten und Grottenolmen.
Gegen Darwin wollte er in manischer Arbeit beweisen, dass wir unendlich sind, veränderbar, frei in allem. Er ist der Meinung, die Schönheit der Kröte würde sich nicht jedem erschließen, was ihn nicht daran hindert, seiner armen Tochter den Namen Lacerta – Eidechse zu geben. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1926 behauptet die Zeitschrift Nature, seine Entdeckungen an der Geburtshelferkröte seien Fälschungen, worauf er sich, wie gesagt, erschießt.
Im Mittelpunkt des Romans steht Alma Mahler. Sie ist der Fixstern, um den sich alles dreht, auch in den Kapiteln, die eigentlich von Kokoschka und Kammerer handeln. Aber wie ist sie wirklich? Was treibt sie an? Julya Rabinowich geht für eine mögliche Erklärung weit in Almas Kindheit zurück, in der das Kind beobachtet, wie seine Mutter Anna den Vater mit einem Mann betrügt. Als der von Alma über alles geliebte Vater stirbt, ohne, dass sie etwas dagegen tun kann, gibt sie sich die Schuld und fühlt sich gleichzeitig von ihm verlassen. Dadurch hat sie gelernt,
dass man niemandem trauen kann.
Ob das der Grund für ihre spätere Beziehungslosigkeit ist, sei dahingestellt. Jedenfalls erinnert sie Kammerer öfter daran, wegen ihr nicht seine Tochter zu vergessen. Und das, obwohl ihre eigenen Kinder nicht im Mittelpunkt ihrer Entscheidungen stehen. Als 1918 ihr Sohn Martin geboren wird, weiß sie nicht, ob ihr damaliger Ehemann Walter Gropius oder der neue Geliebte Franz Werfel der Vater ist, und als das Kind noch nicht einjährig in einem Krankenhaus in Wien stirbt, ist sie weit weg von ihm in Weimar.
Ihr Leben lang kämpft sie dagegen, nur Objekt sein zu wollen, sonnt sich aber in den Erfolgen ihrer Männer, treibt sie zum Malen, zum Schreiben an, sperrt Werfel
über lange Perioden in Klausur,
damit er endlich einen Bestseller schreibt. Sie fühlt sich
immer für alles Große verantwortlich.
Und zahlt für diese Hybris einen hohen Preis. Drei ihrer Kinder sterben, ihr Lebensende verbringt sie allein, mit viel Alkohol in den USA.
Hinter ihm lagen Krieg und Almas Verrat.
Dieser Satz steht im ersten Kapitel und beschreibt Kokoschkas Verbitterung darüber, dass Alma abgetrieben und ihn verlassen hat. Gleichzeitig gibt er ein Stichwort wieder, denn in dem Roman ist häufig von Verrat die Rede. Der Verrat von Almas Mutter am Vater, Alma denkt, sie habe den Vater verraten und betrügt selbst alle ihre Ehemänner und Liebhaber, Kammerer verrät seine Familie und wird seinerseits von der biologischen Zunft verraten. Dies alles erzählt Julya Rabinowich, indem sie die Protagonisten selbst ihr widersprüchliches und teilweise befremdliches Handeln darstellen lässt. Da sie aber auch deren Schwächen und Verletzlichkeiten offenlegt, zeigt sie zwar Menschen, die, wie sie eingangs schreibt, nicht nach dem Danach und dem Preis fragen, dies aber nicht durchgängig. So bringt es beispielsweise Kammerer nicht fertig, seine Versuchstiere zu blenden, obwohl das für den Beweis seiner Forschung wichtig gewesen wäre. Und Alma begleitet ihren jüdischen Ehemann nach New York, obwohl ihr ehemaliger Stiefvater sich bei den Nazis für sie verwenden könnte.
Die eindeutige Sympathie der Autorin gehört allerdings einer Nebenfigur des Romans: Dem jüdischen Wissenschaftler Hans Leo Przibram, dem Gründer der biologischen Versuchsanstalt Vivarium und Mentor Paul Kammerers. Im Epilog erinnert sie an ihn, den sie einen der engagiertesten Forscher Österreichs nennt. An ihm wurde der größte Verrat begangen. 1938 verliert er alles, kommt mit seiner Frau nach Theresienstadt. Diesen beiden widmet sie das letzte Kapitel, und ich lese es als Gegensatz zu all der Untreue in den vorherigen Kapiteln. Als Przibram an Erschöpfung stirbt, nimmt seine Frau Gift, das sie dabei hat:
Sie können nur als Paar existieren.
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