Im Wortgehege
Die Augen nehmen die Umwelt wahr, bringen Bilder ins Bewusstsein, inspirieren. Die Sprache als Kernmedium des Denkens beschreibt, was wir sehen, kommentiert, ermöglicht es das Gesehene bei einer sprachlichen Darstellung zu akzentuieren, reflektiert die Versprachlichung optischer Eindrücke. So entstehen aus Situationen des Alltags Kopfbilder, Skripte einer gedanklichen Verarbeitung der Realität. Die Gedichte Klara Betens sind solche Kopfbilder.
Folgerichtig werden in den Texten immer wieder die Augen oder Blicke des lyrischen Ichs thematisiert. Augen „treiben … an diesem besonderen regen entzwei“ (fragmentarische tierart, so geht das gedicht, S.10), „ihr flügeltreibendes; in den augen reiszendes licht“ (S. 33) oder „die tobende, flexible nautik der augen“ (pflanzenabfälle S. 61). Auch das Rekurrieren auf Sprache ist ein häufiger Bestandteil der Texte: „waren wir denn nicht immer allein in diesem gehege der worte“ (S. 65) oder „u. es gibt kein winterpalais der sprache (7), das zu erstürmen wäre“ (S. 32). Gelegentlich wird sogar der Prozess des Dichtens in den Gedichten reflektiert: „dagegen wendet sich, verständlich, kein gedicht, kein bild wird hier gemacht im widerspruch zu solchen ecken“ (14).
Die Themen, denen sich die Texte widmen, sind vielfältig: Großstadt, Krankenhausaufenthalte, moderne Kunst, Liebe, Kindheitserinnerungen, Ereignisse aus der Geschichte, Welterkenntnis durch Sprache etc.
Fast immer ist der Gegenstand des Gedichtes bzw. die Alltagssituation, die den Dichter inspiriert hat, erkennbar, aber sprachlich durch Raffungen, Auslassungen, Kommentare und vor allem durch eine komplexe Bildsprache verfremdet. Die Metaphern Klara Betens sind innovativ, anregend und stellen hohe Anforderungen an den Leser: „die tauwelken narben der nacht liegen aus“ (fragmentarische tierart, so geht das gedicht, S. 10), „die reime stimmen sich dem raum als wundfabrik der worte an?“ (plan zur anordnung der memographie 1941- 1981, S. 24) bzw. „die/ einraumschädel, ein ertastbares verdun der nacht“ (eine sache auf youtube, S. 43). Darüber hinaus arbeitet Klara Beten mit Neologismen („auslegungskerze“ S. 10, „ruandakontinent“, S. 15, „körperwild“, S. 18), Sprachspielen („schneller brüter“ – „gestellter behüter“, S. 58), ungewöhnlichen attributiven Fügungen („so ein loses lautkleines knarren“, S. 51 oder „diese für den notfall gesponserte, an den besseren künsten gerichtete landschaft“, S. 29) und Alliterationen. Die Sprache Klara Betens wirkt dadurch zum einen originär, zum anderen durch die Verwendung von Begriffen wie „einraumschädel“ oder „entholztes gedächtnis“ (S. 6) archaisch, als wolle der Dichter Sprachfragmente der Vergangenheit in unsere Zeit transponieren und dichterisch für die Gegenwart nutzbar machen. Der eigentliche Wert der Kopfbilder Klara Betens liegt aber darin, durch die innovative Verwendung von Sprache den Blick und das Denken des Lesers zu öffnen: Realität wird hier auf eine Weise gesehen und interpretiert, die festgefahrene Muster der Welterfahrung im Lesers aufzubrechen vermag. Deshalb stört man sich nicht an einigen wenigen ästhetischen Fehlgriffen (z.B. „offnung“ (S. 59) als Neologismus aus offen und Hoffnung bzw. „als ob wir blicke versenken spielen“ (S. 29)), deshalb wünscht man dem Band viele Leser.
kopfbild, default
wecker, schwerlast, kopfbild default
so schwer im frühlicht/ nacht=
barne noch, die seltenen vögel
an den noch ungemachten lippen; das
frühlicht, so schwer verschwiegen
versilbtes kopfbild, noch default.
die wortkästen an der wand; so ein
andachtsfühler: fühler zu sein in dieser
stummen schrankwelt/ sechsuhrsieben
undzwanzig. und irgendein besseres wort
für augenlast; die lider ziehen wieder zu
du schreibst dir deinen tages=zulauf ab
vom blatt im flur; die bleichen wangen
blöd unter dem wasserstrahl; nur so ein stumm=
wandmorgen; eine andere suche der hände
im gesicht/ durch die verkapselten fenster
dringt so ein aufgeschnapptes fahrzeugsonor;
default? noch nicht ganz da: ach schwarze
last der frühe, wir denken an abends; usw.
so eine fern fahrende sprache; nimm dir ein
heft unter den arm und versuche, es den
tag über nicht fallen zu lassen; oder, eine
leichtere aufgabe für die fahrt: in der ubahn
ein paar aktien zu setzen; aber das geht alles
zu lasten der augen, wieder ziehen die lider
nach unten und die ansage in der bahn, dass
der tag zu einem windhund lädt; dass der
wind den tag so richtig schwer macht, ein
paar regenwolken, links: die sonne/ ein wahlergebnis
ist ein wunder der stirn; eine verwunderte
stirne? nur ein kopfbild, hängend; und die nächste
station schon voltastrasse/ wir streifen
an den stadtmikrophonen entlang ins büro;
kopfbild; entladen, default.
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