Die Poesie der Schraffur
Eines der hellsten und freundlichsten Bilder dieser Graphic Novel zeigt ein großes, gelbes Kornfeld, das von Laubbäumen gesäumt ist. Dahinter spannt sich eine Autobahntraverse über das Land. Pappelsamen schweben durch die Sommerluft. Vom Erzähler erfährt man: „Hier war Ben Fimming gestorben. Es war ein dunkler und trauriger Ort.“ Zu diesem Zeitpunkt liegt Bens Tod erst wenige Tage zurück. Er nahm sich das Leben, nachdem er eine Mitschülerin vergewaltigt hat. Doch nicht erst seit diesem Vorfall ist die Welt in Lukas Jüligers Debut Vakuum in eine Schieflage geraten.
Vakuum erzählt die Geschichte von drei Teenagern, deren Leben sich allmählich verändern, was die Welt um sie herum undurchschaubar und bedrohlich werden lässt. Es ist die Zeit der ersten Drogen, der ersten Liebe und des ersten Sex. Jüligers namenloser Protagonist und Ich-Erzähler verliebt sich in ein Mädchen und bekommt ihren Duft nicht mehr aus dem Kopf. Doch er kann diese Verliebtheit nicht wirklich genießen. Zu mysteriös, zu geheimnisvoll ist die erste Liebe, die seine Nähe zwar zulässt, oft aber ohne jede Erklärung verschwindet. „Mädchenkram“, nennt sie es einmal. Der Junge hat jedoch keine Zeit allzu lange darüber nachzudenken, dann es gibt da immer noch Sho. „Mir wurde meinerseits immer bewusster, dass Sho seit ich denken konnte mein einziger Freund gewesen war. Es hatte sich einfach so ergeben. Es waren immer nur wir zwei gewesen.“ Doch nachdem die beiden sich einen Tee aus „Psychoblüten“ aufgossen, ist nichts mehr wie vorher. Sho hat sich verändert, ist apathisch und depressiv. Nach und nach räumt er sein Zimmer aus und versucht einfach zu verschwinden.
Zu seiner Mutter hat Jüligers Protagonist ein gutes Verhältnis. Doch als sie auf Geschäftsreise fährt, ist er ganz auf sich gestellt. Was folgt, ist eine turbulente Woche der Suche nach Antworten auf nicht enden wollende Fragen. Der Autor erzählt diese Suche einerseits mit den Mitteln einer klassischen Coming-of-Age-Geschichte. Andererseits erscheint es nur logisch, dass Vakuum im Verlauf immer mehr Anklänge an einen Mysterythriller bekommt. Dabei ist Jüligers Stil alles andere als kryptisch oder surreal. Seine Sprache ist klar und reduziert, seine Zeichnungen deutlich konturiert, ohne dabei hart zu wirken. Sein liebstes Mittel, so scheint es, ist die Schraffur, die Vakuum ihre eigene Note verleiht. Sie lässt die Figuren vor diffusen Hintergründen auftreten, verbindet Flächen zu einem homogenen Raum und verleiht einzelnen Objekten die nötige Individualität.
Mit Vakuum ist dem 1988 geborenen Lukas Jüliger ein erstaunliches Debut gelungen, das beim Leser lange nachwirkt. Viele Fragen werden hier aufgeworfen, ohne abschließend beantwortet zu werden. Trotzdem hat man das Gefühl sofort zu verstehen, worum es geht. Das Erwachsenwerden als Herausforderung zu verstehen ist einfach; damit fertig zu werden nicht. Die Schieflage im Leben der Teenager wird in Vakuum nicht zurecht gerückt. Der Schluss bleibt offen und hat gleichzeitig eine eindeutige Botschaft: Coming-of-Age-Geschichten können heute wohl nur noch auf eine düstere Weise enden.
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