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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Mein Name ist Miert. Marek Miert.

Hamburg

Ich weiß es noch wie heute: Juli 1982, ein warmer Nachmittag auf Sylt, aber anstatt am Strand zu liegen, die Südspitze zu umwandern oder bei einem Törn in Richtung Helgoland die Fische zu füttern, saß ich im abgedunkelten Kinosaal des Hörnumer Kurhauses. Gemeinsam mit zwei Freunden hatte ich gegrübelt, wie wir mit unseren 11 bzw. 12 Jahren in eben jenen Film kommen könnten, der an diesem Tag gezeigt wurde und – warum auch immer – mit FSK 16 ausgezeichnet war: Der Mann mit dem goldenen Colt. Erfreulicherweise stellte sich heraus, dass der Dame am Einlass unser Alter herzlich egal war, und so konnte ich meinen ersten Bond-Film mit Roger Moore sehen, meinen erst zweiten Film der Bond-Reihe überhaupt. Ich kann mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, weiß aber noch, dass ich die Besetzung mit Moore, dem kleinwüchsigen Schnick Schnack und vor allem Christopher Lee, dem ehemaligen Dracula und zukünftigen Count Dooku, als Auftragskiller Scaramanga für äußerst gelungen hielt. Ach ja, lang ist’s her – und es kommt mir gerade jetzt wieder in den Sinn, da ich den neuen Marek Miert-Krimi von Manfred Wieninger in den Händen halte, und der heißt: "Der Mann mit dem goldenen Revolver".

Die Bond-Darsteller haben mit den Jahren gewechselt, 6 unterschiedliche Schauspieler durften in den bislang über 20 verfilmten Bond-Abenteuern ran – Marek Miert aber ist noch ganz der Alte. Auch in seinem nunmehr siebten Fall fällt er nicht gerade durch den Einsatz modernster Technik, durch das Fahren schneller Autos oder gut ausgeleuchtete und bestens definierte Bauchmuskeln auf – ganz im Gegenteil. Noch immer plagt er sich mit seinem klapprigen Ford herum und widmet sich seiner Vorliebe für fettiges Essen. In einer früheren Besprechung bezeichnete ich den selbsternannten "Diskont-Detektivs" Miert als Mixtur aus Miss Marple (Spürsinn haben und trotzdem in die Falle laufen), Inspektor Clouseau (Trotteligkeit) und Horst Schimanski (markige Ausdrucksweise, gepaart mit dem Hang zu ungesundem Lebensstil und unglücklicher Liebe) – und auch daran hat sich gottseidank nichts geändert.

Während James Bond sich für gewöhnlich bereits im Vorspann mit spärlich bekleideten Damen, perlendem Champagner, Spielkarten und Waffen jeder Art vergnügen darf, beginnt Marek Mierts neuester Fall weniger glamourös: Vor seiner Tür steht spätabends ein One-Night-Stand von vor einem Jahr, begleitet von einem Baby, einer abgewetzten Reisetasche und der Erkenntnis, dass sich Miert aufgrund damaligen Caipirinha-Genusses nicht einmal mehr an den Namen der Frau erinnern kann und es sich, und das ist viel bedeutsamer, bei dem Baby rein rechnerisch um die Frucht seiner Lenden handeln könnte. Viel Zeit für Fragen bleibt nicht, denn die Frau erklärt, dass sie sich für einen Monat in einen Kibbuz zurückzuziehen gedenke und sie außer ihm niemanden habe, der sich um den Schreihals kümmern könne – und schwupps ist sie auch schon weg.

Nach einer von Panik befeuerten Nacht kehrt seine Bettgenossin von einst zurück, rafft ohne ein erklärendes Wort Kind und Tasche an sich und verschwindet erneut. Quasi im fliegenden Wechsel erscheint ein kostspielig gekleideter und gestylter Mann, der ihn ohne große Vorrede damit beauftragt, für zwei Tage das Haus und Grundstück seines frisch verstorbenen Großvaters am Stadtrand von Harland intensiv zu bewachen, da er selbst sich auf eine Geschäftsreise begeben müsse. Kein Job nach Mierts Geschmack, aber die beiden Fünfhunderter, die der Mann zusammen mit seiner Visitenkarte (Manfried Scheibelreiter, Ingenieur) und dem Hausschlüssel auf den Tisch legt, leisten Überzeugungsarbeit. Über den Grund, warum ihm eine auf den ersten Blick nicht besonders anspruchsvolle Tätigkeit tausend Euro wert ist, schweigt der Mann sich aus.

Mit seinem ramponierten Ford Granada macht sich Miert auf den Weg – ausgestattet mit Schlafsack, Wein und einem respektablen Vorrat an Mannerschnitten. Das "Haus" entpuppt sich als Verhau aus alten Bahnschwellen; kein Strom, kein Gas, dafür mit Plumpsklo und reichlich Gerümpel, flankiert von einem etwas aufgeräumteren Schuppen, der offensichtlich als Fahrradwerkstatt gedient hatte – Ingenieur Scheibelreiter schien keine Ahnung zu haben, was er da geerbt hatte.

Es dauert nicht lange, bis sich in Gestalt des stadtbekannten Kleinkriminellen und Knochenbrechers Harry Schleicher in Begleitung eines bodygebuildeten Stiernackens der erste Ärger einstellt. Nach einem zärtlich gehauchten „Schleich dich, Miert, du störst bei der Schatzsuche!“ setzen sie ihn mit einem Stromschlag aus einem Taser außer Gefecht. Hatte er richtig verstanden: Schatzsuche? Nach einem kurzzeitigen geordneten Rückzug entschließt er sich, in Begleitung einer alten Schrotflinte aus Familienbesitz zu dem Haus zurückzukehren, darf jedoch feststellen, dass es dort von Polizisten nur so wimmelt – und natürlich trifft er auf seinen Erzfeind, Kriminaldirektor Oberleutnant Egon Gabloner, mit dem er schon so manchen Kampf gefochten hat. Um sich über Isidor Novy, den verstorbenen Hüttenbesitzer, zu informieren, sucht Miert den pensionierten Oberst Schabasser auf. Von ihm erfährt er, dass Novy über Jahre im Verdacht stand, in den späten 1970er Jahren 17 kleinere Banken überfallen zu haben. Nachweisen habe man ihm nie etwas können, und von der Beute (insgesamt ca. 1 Million Schilling und 30 kg Dukatengold) sei nur ein einziges Mal etwas aufgetaucht: als anonyme Spende für eine Baumaßnahme an einem Obdachlosenheim. Parallel zu den Banküberfällen sei es damals, so Schabasser, zum Verschwinden mehrerer alleinstehender älterer Männer gekommen, die allesamt eine Vorliebe für das Sammeln gebrauchter Damenunterwäsche gehabt hätten. Miert versucht vergeblich, Kontakt zu seinem Auftraggeber aufzunehmen – stattdessen erhält er vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien eine Studentin zugewiesen, die sich fest vorgenommen hat, ihn auf Schritt und Tritt zu begleiten und über seinen aktuellen Fall eine strukturalistische Seminararbeit zu verfassen (und die als erste Amtshandlung in seinem Namen die Observierung eines angeblich arbeitsscheuen Baggerfahrers annimmt – eine Sache, auf die Miert so überhaupt keine Lust hat...)

Ob und wie die Banküberfälle mit dem Verschwinden der betagten Straps- und Miederfreunde in Verbindung stehen, ob die Beute schlussendlich wieder auftaucht, ob und was mit Sommelier Miranda noch läuft, die Miert seinem ersten Fall spätpubertär anschmachtet, ob er die Mutter seines vermeintlichen Sohnes noch einmal wiedersieht und welche Rolle Schleicher und der titelgebende goldene Revolver spielen, sei hier selbstverständlich nicht verraten. Und auch nicht, ob die Zusammenarbeit mit der Studentin noch eine romantische Note erhält, die über ein erstes, na ja, nennen wir es mal amouröses Stelldichein hinausgeht:

Am Höhepunkt unsres Gelages hatte sie mir auf der Couchbank ihr nacktes, fülliges Hinterteil angeboten, aber ich war viel zu illuminiert gewesen, um sie zu penetrieren. Enttäuscht und wütend rieb sie ihr tropfendes Geschlecht an einer Armlehne der Couchbank, heftig und immer heftiger, während ich ihrer erstaunlichen Akrobatik zusah und dabei meinen zitternden Penis zum Erguss zupfte.

Wer Marek Miert bereits bei einem seiner Fälle lesend begleitet hat, der weiß, was ihn erwartet: groteske Personen und Situationen, gespickt mit kulinarischen Exkursen der speziellen Art, garniert mit kritischer, politisch herrlich unkorrekter Betrachtung sozialer Ungerechtigkeiten und wirtschaftlicher Gefälle, Gier und Wollust und sämtlicher anderer Schwächen der menschlichen Rasse, kredenzt von einem Detektiv am Existenzminimum, der mir so sympathisch ist wie nur irgendwas.

Manfred Wieninger
Der Mann mit dem goldenen Revolver
Ein Hinterhof-Krimi mit Marek Miert
Haymon
216 Seiten · 12,95 Euro
ISBN:
978-3-7099-7805-4

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