Darf ich bitten…? Und wir machten ein paar Sätze in die Luft
Und „Tanzen“ von Martina Hefter auch. Das Heftchen Hefters, das letztes Jahr in der von Asmus Trautsch herausgegebenen Reihe Edition Poeticon des Verlagshauses J. Frank erschienen ist – und es ist wirklich ein Heftchen, so klein und schlank, dass es ohne Probleme in jede Tasche gleiten und sich dann darin verlieren kann – dieses Heftchen also sollte jeder lesen, der allein schon bei dem Wort tanzen einen freudigen Satz in die Luft macht, ob nun in Gedanken oder mit dem ganzen Körper oder einem Teil davon. Und alle andern sollten es auch. Und da sind wir auch schon mittendrin, im Thema, im Tanz, im Text. „Tanzen“ gehört zu den Büchern, die als echter Dialogpartner und in diesem Fall noch dazu auch als Tanzpartner fungieren. Es ist, wie als stünde man „Tanzen“ gegenüber und es ließe sich einem entgegenfallen, im blinden Vertrauen darauf, dass man es auffängt. // Und das tut man gern. // „Tanzen“ ist ein Essay, der wieder einmal eindrücklich zeigt, wie wunderbar Theorie und Praxis stets auch zusammenfließen und zusammen fließen. Übers Tanzen – wie über die Musik – wird oft gesagt, darüber „könne man nicht sprechen“, man müsse es „tun, ausführen, praktizieren“. Dieser allzu oft und allzu schnell bemühte „Totschlag-Gedanke“ (der tatsächlich etwas von einem Pseudogedanken hat, denn in den wenigsten Fällen denkt derjenige, der ihn wieder einmal ausspricht, in dem Moment wirklich das, was er da sagt, oder denkt überhaupt irgendwie darüber nach, sondern wiederholt lediglich eine seit gefühlt ‚ewigen Zeiten‘ auf uns niederkommende und antrainierte Phrase), dieser „Totschlag-Gedanke“ begegnet einem also leider viel zu oft, ja eigentlich auf Schritt und Tritt. (Auf Schritt und Tritt? Wie fein: Verwandeln wir ihn also doch einfach in Tanz …)
Umso mehr kann man Martina Hefters „Vorratskammer“ an Gedankenbewegungen nur begrüßen. Ihr Text führt nämlich diese verkrustete „Idee“ einmal mehr ad absurdum. An dieser „Idee“, dieser Falle, deren Hartnäckigkeit und Fähigkeit zur ewigen Wiederkehr unübertroffen ist, hatte übrigens auch sie selbst zu knabbern, natürlich hatte sie das – es könnte gar nicht anders sein; jeder hat das; aber das ist ja auch gerade der eine, ausschlaggebende Grund mehr, sich der Sache immer wieder ganz aktiv zu stellen! Und Martina Hefter hat es mit Geschick und mit viel Spielfreude getan.
Sie schreibt also über das Tanzen; ja, das tut sie auch. Ihr Text ist sehr vielgestaltig, was wirklich erfrischend ist; es gibt Passagen, die beschreibend sind, Passagen, die sich ganz lyrisch verhalten, Passagen extremer Wortverspieltheit, Passagen mit Zitaten aus der Tanzwelt, Passagen mit Passagieren im Zug, wo Worte am Zuge sind, die einen schmunzeln lassen usw. usf. Besonders schön zum Beispiel ihr Beispiel: Walk and Talk, „poetologische Vorträge in Bewegung“, initiiert von Philipp Gehmacher (was für ein Name in diesem Zusammenhang: Geh-Macher!).
Martina Hefter schreibt also über das Tanzen, aber sie schreibt vor allem auch mit dem Tanzen, durchs Tanzen hindurch, kurzum: tanzend. Sie kommt dabei von ihrer eigenen Praxis her – dem klassischen Ballett und dem sogenannten zeitgenössischen Tanz (dessen Zeitgenossenschaft sich ja durch die Zeit hindurchschiebt wie ein jedes Leben) – doch verspreche ich (zumindest maße ich mir an, es zu vermuten), dass jeder, der sich für das Phänomen Tanzen in seinen vielfältigen Manifestierungen interessiert, in diesem Bändchen ‚fündig‘ werden, sprich: sein Glück finden kann, und sei’s auch nur in einer Ecke, an einem ganz bestimmten Zipfel, den er zu fassen bekommt. Denn Tanzen ist universell – wie Singen, Musizieren, Spielen; jeder Mensch hat daran teil – und es ist (wie die drei andern auch) viel zu wichtig und ubiquitär, als dass es auf einen bestimmten Tanz, eine bestimmte Form davon oder auf eine bestimmte Gruppe von Personen reduziert sein könnte.
Von der ersten bis zur letzten Seite ist man in diesem sehr kurzweiligen Buch mit Martina Hefter in Bewegung. Ein- und Ausstieg überall und jederzeit möglich. Und die subtile und zugleich unendlich starke Verknüpfung zwischen Mentalem und Physischem wird unmittelbar in einem selbst wirksam, während man liest. Und dazu muss man wie gesagt kein Fan oder Kenner des klassischen Balletts oder zeitgenössischen Tanzes sein oder sie gar praktizieren.
Geht in das Buch, wie ihr in einen Raum hineingehen würdet, und dort bestaunt, untersucht, bewundert, hinterfragt, erkundet die Sammlungen, den Verhau, das Gerümpel, die Diamanten, die Schubladen.
Eine schöne Einladung zu Beginn des Textes; doch mehr noch, als dass man hineingeht, kommt der Text zu einem hinaus. Zumindest gilt dies wohl, wenn man bereits ein wenig oder auch von Kopf bis Fuß auf Tanzen eingestellt ist. Aber auch Nicht-Eingestellte wird der Text packen können: Er beginnt nämlich genau dort zu wirken, wo man sich gerade befindet, sei es in einem Bus in Leipzig, im Schrebergarten der Tante des Nachbarjungen in, sagen wir einfach mal: Bochum oder in einem Café in Vilnius. Leichtfüßig, zügig (ja, ja, gleich in mehrfacher Hinsicht), beschwingt und oft auch witzig ist der Text. Er hat eigentlich nur eine Note, die doch gar nicht hätte sein müssen, fast ganz zum Schluss, genauer: kurz davor. Es sind die zwei Worte im vorletzten Absatz, dieser überflüssige Aufruf zur Vermeidung von Poesie. Denn, liebe Martina, – und alle andern Leser verzeihen bitte, wenn ich kurzzeitig mal ins Briefliche überwechsele – ist nicht die Entfaltung, der Aufbau Ihrer ganzen „Wunderkammer“ Beweis genug, dass Poesie wie Schönheit auch und wie auch „poetisch gemeinte Vorstellungen von Poesie“ überhaupt nicht vermieden werden müssen, sondern dass es genügt (das aber muss dann in der Tat auch wirklich sein), spielend mit ihnen umzugehen, sie zu umtanzen, mit ihnen zu tanzen, in ihnen umher zu tanzen? „Entpoetisiert Euch!“ oder „Depoetisiert Euch!“ könnte ansonsten natürlich das neue Motto werden, aber das klingt nach Hexenschuss. Also besser poetisch weitertanzen (Augenzwinkern mit eingeschlossen).
Wie es Pina Bausch in einem Interview aus dem Jahr 1992 einmal berichtet hat, als sie ganz am Ende des Gesprächs gefragt wurde „Was ist Tanz?“. Da nämlich erzählt sie, als Antwort auf diese Frage, von einem etwa elfjährigen griechischen Zigeunermädchen, das sie mit den Worten zitiert: „Dance, dance, otherwise we are lost!“. Wim Wenders, wir wissen es, gefiel das auch sehr gut. Und zurecht, denn es ist bitterwahr.
An Ihren Text, liebe Martina Hefter, lässt sich wie gesagt wunderbar anbauen. Ich denke aus verschiedenen Gründen zum Beispiel gerade wieder verstärkt an den Film „Liberté“ von Tony Gatlif, und das Interview mit Pina Bausch hat mich ebenfalls wieder daran erinnert, und ich denke insbesondere an das eine Lied, das Catherine Ringer darin so fabelhaft singt, dass es einem auf immer unter die Haut geht (Si quelqu’un s’inquiète de notre absence, dites-lui qu’on a été jetés, du ciel et de la lumière, nous les seigneurs de ce vaste univers…); und an den wilden, entfesselten Verzweiflungs- und Befreiungstanz, den Taloche (gespielt von dem großartigen Schauspieler und Akrobaten James Thiérrée) darin vollführt. Der Film spielt 1943 in Frankreich und erzählt die Geschichte einer Zigeunerfamilie, die von den Nazis deportiert wurde. Hier ein Link, der eine freie Montage dieser beiden und noch einiger anderer Filmelemente ist. Das Lied erklingt – wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht – im Film ganz zum Schluss, beim Abspann, vielleicht auch vorher schon mal, aber daran erinnere ich mich jetzt nicht mehr so genau. Der Tanz bzw. die Tanzszenen aber sind früher, und die anderen Szenen der Montage auch. Die Elemente sind, so neu zusammengebracht, jedenfalls auch sehr sehens- und hörenswert.
Denn, liebe Leser – und hier bin ich wieder zurück bei Ihnen – Martina Hefters „Texttanzinstallation“ enthält u.a. auch Links zu Videos, die man sich anschauen kann, anschauen sollte, so dass sich eins zum anderen fügt und zugleich auch alles gemeinsam zerfranst. Auf diese Links und Hinweise stoßen Sie dann, wenn Sie durch „Tanzens“ Zeilen streifen oder schreiten, das hängt ganz von Ihnen ab. Philipp Gehmacher und seine bereits erwähnte Walk and Talk-Initiative zum Beispiel taucht häufiger auf, und auch William Forsythe begleitet uns in „Tanzen“ genauso wie das Ballett Le Corsaire. Ich stelle die Links jetzt absichtlich nicht hierher. Lassen wir sie eingebunden in „Tanzen“, bis Sie selbst dorthin gelangt sind.// Auch schön: Die Zugfahrt, die den Text durchzieht, durchfährt, die durch ihn hindurchfährt. Das Schaukeln beim Laufen über den Gang eines Zugwagons zum Beispiel – eine Welle aus Gehen//alles plantscht in großen zyklischen Wellen vor sich hin. Aber das sehe ich nicht, das denke ich nur …
„Tanzen“ ist offen und lädt wie gesagt zum An-, Um- und Weiterbauen ein, und der Text kann wunderbar als integratives Element ins eigene Geschehen einfließen. Das macht sicher auch gerade seine Güte (in zweifacher Hinsicht) aus, die Offenheit nämlich, von der er durchdrungen ist.
Wenn Ihnen ohnehin schon alles immer wie ein großer Tanz vorkam und Sie zugleich in jeder noch so winzigen Bewegung Tanz erblicken oder wenn Sie zu erkennen meinen, dass von jeder Winzigkeit (vom Fingerzeig, von jeder noch so kleinen Geste Hand) Tanz ausgehen könnte, dann sind sie in Martina Hefters Text ganz richtig. Und wenn nicht: dann auch.###
Wie gesagt: Der Text ist animierend. Und er ist ein willkommener Beitrag zur Erforschung vom (guten) Gebrauch unserer Körper, Denkkörper.
Was mich noch mehr interessiert als Tanzen und Schreiben: das gute Leben. Die anmutige Lebensführung.
Hier berührt der Text – gewollt oder ungewollt, egal – hier kann er jedenfalls ganz sicher andere Bewegungs- und Lebenspraktiken berühren (Alexandertechnik zum Beispiel, aber auch Yoga, Tai Chi Chuan, Capoeira, verschiedenste Theatertechniken und vieles mehr).
Mag sein, dass meine Freude an dem Heft daher rührt, dass ich seit langem schon mit dieser und ähnlichen Thematiken befasst bin und daher eingehend mit ihnen einhergehe (und nein, man geht dabei nicht ein, sondern blüht auf; und nicht ohne Grund rief ich ja auch Martina Hefters Text herbei, und es hat sich wirklich gelohnt). Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass im Laufe der Zeit noch viele Menschen ihren Text schätzen werden: als Anregung zu mehr und bewussterer Bewegung, zu mehr Tanz im Alltag, im Leben, Positionswechsel mit eingefasst.
Viel Spaß bei jeder Pirouette wünscht…
- Hausen in temporären Blasen und andere dort hinein einladen.
- Ist der Begriff „Würde“ an Bewegung gekoppelt? Stolpern, hinken, umknicken, einknicken, hinsinken. Er würde stolpern. In Würde stolpern. Ich würde das lieber nicht wollen. Ich würde gern die Variante mit dem Umknicken hinken. In Würde hinken über einen Untergrund aus Schaum. Das ist für mich Ausdruck dessen, was ich jeden Tag absolviere.
Und mein absoluter Favorit (es geht um die Sprungsequenz des Solisten Denis Matvienko in Le Corsaire):
Wie er jedes Mal in tiefen Pliés landet und sich verneigt, die Arme an seinem Körper entlang streichen lässt und sie sofort in eine Geste des Grüßens und der Präsentation bringt, wie er sofort aufsteht und weiterspringt, wie alle Bewegungen in eine Manege münden, also einen Kreis aus seitwärts gesprungenen/gedrehten Grands Jetés. Es ist so übertrieben und zugleich in der Übertreibung völlig ernst: Es ist gewaltig, es will die Welt vereinnahmen, aber nur dahingehend, dass alle Menschen für eine Minute ihre Arbeit ruhen lassen und die Sequenz ansehen. Es gibt nur das, es ist
[und jetzt kommt‘s]
ein großes Mümmelmonster, dieses Tanzen, das so schön ist, dass man die Schönheit nicht mehr fassen kann und versucht ist, sie irgendwie abzuwerten, es ist ein Zirkus rufen einige, es ist Blendung, die anderen, es ist Vergangenheit, Kitsch, Dekoration. Aber das stimmt nicht. Dieses Solo ist schön wie ein Halunke schön ist, der weiß, dass er blendet. Dieses Solo ist schön, und ich profitiere beim Betrachten davon, in dem ich lachen muss, fröhlich werde darüber, was sich da einer getraut hat.
Viel Spaß bei jeder Pirouette also wünscht hochachtungsvoll Ihr…
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