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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Der Papagei schweigt

Die Amerikanerin spiegelt menschliche Beziehungen im Umgang mit Tieren
Hamburg

Die Helden dieses Buches sind Tiere. Es geht um die Welt, die sich die Tiere mit den Menschen teilen. Und auch, wie die Menschen unterliegen. Oder besser auf einen Lebenspartner verzichten als auf einen lahmen Hund, zwei verstörte Wildkatzen und eine Handvoll verhaltensgestörter Schafe, die schließlich das Herbarium des ehemaligen Geliebten als kleinen Snack vorgeworfen bekommen.

Die Amerikanerin Megan Mayhew Bergman ist aber weit von plattem Missionarstum  ála SeitichdieMenschenkenne liebeichdieTiere entfernt. Es scheint eher eine Art Verwunderung zu sein, wie kompliziert der Mensch ist, wie wenig sich selbst verständlich. Dazu sind die vielen Tiere in Bergmans erstmals auf Deutsch erschienenen 13 Erzählungen eine Art Erinnerung an die Natur, manchmal ein Spiegel. Und manchmal haben sie ihre Funktion verloren und hängen in einem heruntergekommenen Streichelzoo herum, wie der Graupapagei, den die Ich-Erzählerin nach 13-stündiger Fahrt aufsucht, um von ihm noch einmal die Stimme der Mutter zu hören. Der Graupapagei war in den letzten Jahren der Mutter ein Geselle gewesen, ein Vertrauter. Sie, die Tochter, mochte ihn nicht. Und der Papagei sie nicht. Sie waren Konkurrenten um die Zuneigung der Mutter. Der Papagei schweigt.

Bergman ist mit einem Tierarzt verheiratet und auf ihrer Homepage kann man lesen, dass sie mit ihrem Mann außer zwei Töchtern, zwei Hunde, fünf Katzen, zwei Ziegen und eine Handvoll Hühner haben. Natürlich handeln die Stories auch von der Liebe zu den Tieren. Doch Bergmans Tiere sind keine Kuscheltiere. Da kämpft eine 17-Jährige mit einem Kojoten, ein Wolfshund erwacht aus einer Narkose und beißt der Ärztin ins Gesicht, der Jaguar verspeist seine eigenen Kinder. Die Ich-Erzählerinnen sind alle Frauen, meist Mütter, oft gerade schwanger, wie in „Die sich selbst melkende Kuh“. Der schaut sich der Tierarzt sein ungeborenes Kind mit dem Ultraschallgerät an, mit dem er kurz vorher einen Rottweiler untersucht hat. Seine Frau hat den Eindruck, er sähe in jeder Mutter nur das Tier. Sie fühlt sich in ihren Ängsten vor einer Fehl- oder Frühgeburt nicht ernst genommen. „Ich wünschte, es käme wie ein Ziegenkitz auf die Welt. (…) Kräftig, behuft und kann sofort laufen.“ Und doch ist der Tierarzt berührt, als er das Herz seiner Tochter mit der Ultraschallsonde entdeckt. „Hoffentlich bricht es nicht“.

Die Protagonistinnen haben oft eigenwillige Biografien, gestörte Beziehungen zu Mutter oder Vater. In „Kleine Paradiesvögel“ hat die Heldin eine enge Beziehung zum Vater, mit dem sie gemeinsam Vogelwanderungen in den Sumpf führt. Eines Tages taucht ein Mann im Sumpf auf, zu dem die 36-Jährige sich hingezogen fühlt. Und der auf der Suche nach dem seltenen Elfenbeinspecht ist. Bei der Exkursion erleidet der Vater einen Herzanfall, die Tochter nimmt dies als Zeichen, als sei ihre Hinwendung zum „Paradiesvogel“ der Auslöser für den Herzanfall, im Krankenhaus denkt sie, dass nichts wie vorher ist. Der „Paradiesvogel“ muss abtreten.

„Noch eine Geschichte, die sie mir nicht abnimmt“ beginnt „Die Elchkuh und ich, wir sind schlechte Mütter“. Die Ich-Erzählerin wird bei Stromausfall zum Lemur-Center gerufen. Sie steckt das Tier in ihren Mantel, um es zu wärmen. Ihre 15-jährige Tochter ist ausgezogen, zu einem Typen, der ihr erzählt, in einem Jahr gehe die Welt unter. Die Lemur-Pflegerin weiß, warum Tochter und Mann aus ihrem Leben gegangen sind: Sie hat getrunken auf dem Klo sitzend und rauchend: „wie Bette Davis. Niemand raucht so traurig wie Bette Davis.“ Sie kann den Lemuren retten. Das würde sie gern der Tochter erzählen, „und noch eine Geschichte, die sie mir nicht abnimmt.“

Die Kontakte zu den Tieren in Bergmans Erzählungen heilen nicht die Wunden in den zwischenmenschlichen Beziehungen, sie verstärken eher den Schmerz. Auch handelt es sich in der Regel um Tiere, die durch die Zivilisation geschädigt sind. Und in den traurigsten Erzählungen unterwirft sich die vom Leben geschädigte Protagonistin dem geschädigten Tier mit einer demütigen Lust am Untergang.

Eine ungewöhnliche Sichtweise, aber sehr überzeugend, auch in den humorvollen Szenen.

Übersetzt wurde „Wuchernde Paradiese“ von Thomas Stegers. Erschienen ist das Buch im Metrolit-Verlag Berlin, der ein kleines, aber feines Programm hat.

Megan Mayhew Bergman
Wuchernde Paradiese
Übersetzung: Thomas Stegers
Metrolit
2014 · 288 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-8493-0340-2

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