Eine kurze Geschichte vom Ende der Erzählungen
Übers Internet wird für gemeinhin genauso diskutiert wie im Internet diskutiert wird: dickschädelig und laut. Alle haben Recht und die anderen, die sollen die Schnauze halten. Dass selbst die Meta-Diskussionen über das Medium dessen eigene Dynamiken widerspiegeln, ist bei weitem kein Zufall, finden sie doch entweder genau mitten im Handgemenge oder zu weit davon entfernt statt.
Wenn Giorgio Agamben aktuelle Nacktheiten aus dem verstaubten Kaleidoskop antiker Schriften heraus betrachtet oder Byung-Chul Han über die Like-Gesellschaft heideggert, bedeutet die distanzierte Analyse zugleich einen medialen Schritt aus dem analysierten Diskurs heraus. Anders die akzelerationistisch geprägte Jungtradition, die im Windschatten von Twitter-Hashtags so viel Fahrt aufnimmt, das sie vor lauter utopischen Argumenten nur bis zu den dünnen Wänden der eigenen Filter Bubble sieht.
Vielleicht sollten beide Seiten für einen Moment die Schnauze halten und stattdessen Roberto Simanowksi Facebook-Gesellschaft lesen.
Simanowski schreibt zwar bereits in der Vorbemerkung zu seinem Nachfolgewerk auf Data Love aus dem Jahr 2014, wie leid er »die alte Klage über den Verderb der Jugend« sei, im Laufe seines - wie er es bescheiden nennt - Essays indes schont er die nur bedingt. Primär jedoch nimmt er die unheilige Allianz von »Technikangst mit Bildungsdünkel« aufs Korn, welche gegen den Fortschritt argumentiert und dafür grassierende Allgemeinverdummung als Argument heranzieht. » Vorwürfe gibt es viele: Kapitalisierung der Gefühle, Kommerzialisierung der Kommunikation, Selbstvermarktung und Selbstüberwachung, Narzissmusschmiede, Banalitätenclub, Zeitverschwendung«, zählt Simanowski auf und die Liste ließe sich ewig weiterführen.
Simanowski aber positioniert sich nicht dagegen, sondern nimmt die Rolle eines vermittelnden Analytikers ein. »Um Facebook zu verstehen, muss man über Facebook hinausgehen. Man muss jenseits des Naheliegenden Facebook als Antwort auf ein Problem verstehen, das das (post)moderne Subjekt mehr oder weniger bewusst umtreibt. Man muss Facebook als Symptom einer kulturellen Entwicklung verstehen«, schreibt der Medienwissenschaftler und macht das dann auch.
Die Facebook-Gesellschaft »vernichtet Gegenwart, indem sie diese permanent festhält« und steuert »das Ende der Sprache als Mittel der Kommunikation« an, behauptet Simanowski schon eingangs seines Buches und stellt sogar die fatalistische Frage: »Gibt es ein richtiges Leben im falschen Netzwerk?« Harter Tobak, mit Fakten und einem Turm von medientheoretischen Überlegungen - von Jean Paul über Siegfried Kracauer bis, natürlich, Mark Zuckerberg und zahlreichen zeitgenössischen Gedanken - fundiert.
Simanowski konstatiert ein Ende der Erzählungen, mit denen wir vormals noch unser Leben besinnstiftet haben und leitet das aus der Fotografiehaftigkeit unseres (Mit-)Teilverhaltens aus: Alles wird augenblicklich festgehalten und an die Welt übermittelt, mit jedem Foto, jedem Tweet und jedem Like. Das Erzählen weicht den Zahlen, mit denen wir einerseits uns und unser Umfeld ausmessen sowie andererseits ausgemessen werden. So verlieren eigentlich narrative Formen - die Autobiografie ebenso wie der Journalismus - ihren narrativen Charakter: Es geht nicht mehr um das, was erzählt wird, sondern wie oder auch von wem. Auf Facebook spiegelt sich das vor allem in der Flut der - erst kürzlich ausgerollten und deshalb bei Simanowski nicht vorhandenen - Live-Videos wider, welche zum Teil kontext- und vergangenheitslos ein Jetzt skandalisieren, das nicht dauerhaft archiviert wird.
Klingt furchtbar, ist es aber nicht unbedingt. Sagt auch Simanowski, dessen mediale Überlegungen zielstrebig auf den größten aller Knackpunkte zustreben: Was sagt das über unsere Gesellschaft eigentlich aus - und wie können wir von hier aus weitermachen? Die Antwort darauf gibt er mit Jean-Luc Nancy und sie fällt dementsprechend etwas komplizierter aus: Soziale Netzwerke als »große Party, auf der sich alle wohlfühlen« müssen als »das gemeinsame Defizit einer jeweiligen Sinngebung des Lebens« verstanden und dieses Defizit »als den eigentlichen Sinn« begriffen werden. Soll heißen: Wir sind jetzt nun mal hier angekommen, die alten Denkmuster sind überholt und wir können uns alles nochmal neu aufbauen - wenn wir zuerst die Panik über alle medialen Veränderungen abschütteln. Simankoswki ruft im Plauderton zum Denken auf und macht im selben Zug vor, wie’s geht. Zwischen Medium und distanzierter Position, zwischen den verhärteten Fronten.
Würde Simanowski seine offenkundig im letzten Jahr ausentwickelten Thesen allerdings heute niederschreiben, würde sich Facebook-Gesellschaft anders lesen. Dem bloßen Like, welches Byung-Chul Han noch als Universalmetapher für unsere Positivgesellschaft interpretiert, wurden weitere reactions beigestellt, welche am Ende der Sprache mitarbeiten sowie unsere Emotionen noch transparenter für Datenerhebungen machten und erst kürzlich änderte das Netzwerk den grundlegenden Algorithmus dergestalt ab, dass der ständige white noise von gesichtslosen Unternehmenspostings heruntergeregelt wird, um noch in der (imaginierten) Gemeinschaft die Kommunikation mit der (realen) Gemeinschaft unserer Friends, wie Simanowski differenziert, zu priorisieren. Community first, economy second - auch das allerdings ein Trugschluss.
Facebook, von Simanowski metonymisch für alle uns umgebende und integrierende soziale Netzwerke herangezogen, wird so indes immer mehr zur gated community und die Grabenkämpfe darum verhärten sich dementsprechend weiter. Facebook-Gesellschaft tritt einen Schritt aus dem Diskurschaos heraus und damit in die richtige Richtung: Wenn es für uns keinen Weg mehr zurückgibt, müssen wir anfangen, uns selbst zu überdenken. Als Gesellschaft, als Community, als Netzwerk. Simanowskis kurze Geschichte vom Ende der Erzählungen bietet eine Chance, aus der »kontinuierlichen Gegenwart« heraus das Kommende zu denken. Und nachdenken geht am besten dann, wenn zumindest für einen Moment die Schnauze gehalten wird.
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