"na eben so tricks. ontologisch harmlos."
Wir können uns diese Schachtel, die um € 18,80 im onomato-Verlag erhältlich ist und vier CDs sowie ein recht umfangreiches Booklet enthält, als "Vier unterschiedliche kleine Gedichtbände zum Preis von einem" denken. Will sagen: Als vier kleine Gedichtbände, in denen die Arbeiten eines/einer bekannteren mit denen eines/einer weniger bekannten Autor_in kontrastiert werden und die darüber hinaus Auszüge aus einem Gespräch dieser beiden zum Thema Dichtung beinhalten, erweitert jeweils um eine Audio-CD, auf der dann der komplette Mitschnitt des zugrunde liegenden Abends im Düsseldorfer onomato zu finden ist. Wenn man die Rezeption der Kassette so angeht, haben die vier "Bändchen", die da zu einem Booklet versammelt sind, miteinander ausser dem jeweils gleichen Lieferumfang wenig zu tun. Sie stehen bloß, Teile derselben Reihe, hintereinander im selben physischen Buch, und ordnen sich dem gemeinsamen Vorwort der Herausgeberin Frauke Tomczak unter, aber sie sind vier distinkte Gebilde, je eigenen Dynamiken gehorchend. Lesen oder hören wir "Bekannt trifft Unbekannt" nun unter diesen Auspizien, dann finden wir folgendes:
Erstens den "Band" von Sina Klein und Andreas Altmann, der zwischen scheinhafter und echter Naivität als bewusst gesetzten Haltungen - sowohl in formalen wie inhaltlichen Zusammenhängen - oszilliert. Die Frage, was "noch" Naturlyrik ist, was dagegen "nicht mehr", bildet bezeichnenderweise den Ausgangspunkt des abgedruckten Diskussionsauszugs. Das Stichwort von der Naivität - der scheinhaften wie der strategisch gesetzten echten - bezieht sich bei Sina Klein vor allem auf den Umstand, dass sie Reimschemata, Strophenfolgen und Motivkonstellationen verwendet, die zugleich altertümlich wirken und in ihrer Pasticchenhaftigkeit postmodern. Das Programm geht auf, weil die Gebilde welthaltig sind und die Möglichkeit zur Selbst- und Sprachkritik demonstrieren. Bei Altmann geht es dagegen um "Naivität" als inszeniertes Vertrauen in den "unmittelbaren" Eindruck oder besser, in die Montage solcher Eindrücke. Nicht in diese Gegenüberstellung passt einzig Altmanns "Poesie im Keller", eine Prosaminiatur, welche bekannte und zutreffende Kritik am Literaturbetrieb als surrealistisches Gleichnis und/oder bitteren Witz formuliert.
Zweitens finden wir Jens Stittgen und Jan Wagner, und wir dürfen uns als Überschrift so etwas dazu denken wie "Das Kantige und das Runde". Stittgens Texte zeigen geradezu Priessnitz'sche Strenge im Vermeiden von "wohlabgerundeten", in sich ruhenden Sinn- und Ordnungseinheiten, weisen aber im Unterschied zu jener Referenzgrösse noch Themen auf, an denen Sprachkritik und romantische Ironie ihr Werk verrichten können. Jan Wagner dagegen ist Jan Wagner, und sein Bemühen um Wohlabgerundetes, um die Schließung auseinanderklaffender Eindrücke unter Aufbietung der Mittel der Lyrik, ist in der Nachbarschaft zu Stittgen besonders deutlich (gerade, weil der erste seiner Texte hier "störtebeker" ist, also die Legende über die Enthauptung des Freibeuters behandelt - und die Frage, die Wagners Text stellt, just eine Quasimetaphysische: Wo ist "er", wenn hier der abgeschlagene Kopf liegt und dort der kopflose Körper noch herumläuft?). In der Diskussion der beiden geht es um Genitiv- und überhaupt um Metaphern, auch zunächst - und Stittgen bringt da dankenswerterweise Sigmund Freud ins Spiel - um die mögliche Disparität der inhaltlichen und der formalen Assoziationen zu einem gegebenen Stoff.
Drittens, unter der vom Rezensenten imaginierten Überschrift "Vom Lustigen in der Lyrik": Herausgeberin Frauke Tomczak und Ulf Stolterfoht. Tomczaks Gedichte können gelesen werden als elaborierte und auf überraschende Pointen hingetriebene Kinderlieder im Sinne von "Des Knaben Wunderhorn" oder der "Galgenlieder" Christian Morgensterns - Pointen, die hier sowohl "naiv" (schon wieder dieses Wort) als auch in Hinblick auf den Bildungsbürgerkanon funktionieren. Darf ich etwa das Gedicht "Zaumbaum" als Grußnicken einer Rezipientin von Rühmkorfs "Agar Agar Zauzaurim" an all die anderen da draussen lesen? Bei Stolterfoht dagegen geht es nicht um die einzelne Pointe, das einzelne Umschlagen des Gebildes, sondern um die Bewegung zwischen vielen solchen "lustigen" Umschlagpunkten - welche Bewegung selber dann durchaus nicht notwendigerweise "lustig" ist. Die beiden Textblöcke stehen, könnte man vielleicht sagen, für zwei Lese- und Schreibhaltungen im Umgang mit klanglich aufgeladener Lyrik: Entweder Konzentration auf die eine Idee, den einen Sound, oder Zerstreuung, Mäandern im Materialsteinbruch (temporär zurechtgemacht als Lustgärtchen).
Die vierte Gegenüberstellung ist die von Johanna Hansen und Yoko Tawada; hier haben wir es zu tun mit der Sprache vom Sinnlichen im Abgleich mit der Sprache als sinnliches Phänomen (die als bloß-solches ja sinnlos wird). Hansen nähert sich diesem Spannungsfeld übers Narrativ, oder sagen wir die Brüche in der Abbildfunktion der Sprache; auffällig in ihren Texten ist auch die wiederkehrende Motivgruppe von "Blau" und "locken" (wie in "an-") - alles klar, hier wird verführt... Yoko Tawadas hier vorliegenden Gedichte behandeln die arbiträre Natur der sprachlichen Zeichen, deren Wahrnehmung ... etwas ... mit (zunächst als intakt hochgezogenen) Sinnzusammenhängen macht. Nicht zufällig tragen vier der sechs abgedruckten Gedichte die Bezeichnungen für grammatikalische Kategorien als Namen.
Wir können "Bekannt trifft Unbekannt" aber auch als eine Anthologie mit acht Autor_innen lesen, also so, wie der Band intendiert war. Dann gewinnt das Vorwort von Frauke Tomczak Gewicht - sind doch Anthologien notwendigerweise immer auch die Behauptung eines Programms oder eines (temporären, Nischen-, Sub-) Kanons. Was also ist dieses Programm?
" (...) ist der Titel der Reihe nicht nur Programm, sondern birgt auch eine Frage: die Frage nach der Verlässlichkeit von Bekanntheitsgrad und Qualität. (...) Welche unsichtbare Hand führt in diesem Literatur- und Gesellschaftshaus Regie? (...) Umso interessanter versprechen die anschließenden Gespräche zu werden, in denen die vorgetragene Lyrik auf ihre Besonderheit hin befragt wird: welche Instrumentarien setzen die PoetInnen ein? Wie gestaltet sich die Arbeit des Dichtens und wie der Impuls, der sie in Bewegung bringt? (...) Denn wie anders, wenn nicht durch diese Form des "öffentlichen" Nachdenkens, könnte eine ästhetische Urteilskraft entstehen, die in der Lage ist, der unsichtbaren Hand auf die Finger zu gucken."
Zurecht wählt Tomczak hier die Formulierung vom Entstehenkönnen. Denn diese sagt eben mit gutem Grund nicht, dass die Dichtergespräche im onomato die gewünschte Ermächtigung auf der Stelle leisten könnten, sondern bloß, dass sie zu ihr beitrügen - sagen wir, sie bezeichnet eine notwendige, keine hinreichende Bedingung.
Die Dichtergespräche jedenfalls, die wir nicht nur in Auszügen im Booklet vorliegen haben, sondern auch in ihrer Gänze auf den CDs, wenden sich Tomczaks "unsichtbarer Hand" - die natürlich keine andere ist als diejenige, von der Adam Smith redet - an keiner Stelle direkt zu (wäre auch eigenartig: "Warum bist du, verehrter Kollege, bekannter als ich?", oder aus dem Publikum: "Warum, denkt ihr, ist Kollege A berühmter als Kollege B?"). Statt der Marktlage also behandeln sie dankenswerterweise das, wovon Dichter verlässlich mehr Ahnung haben: Ästhetische Details, Fragen der Schreibmotivation, der Traditionslinien. Über die in diesen Kontext gehörenden Meinungen und Haltungen der beteiligten AutorInnen fühle ich mich nach der Lektüre - und mehr noch nach dem Anhören - von "Bekannt trifft Unbekannt" bestens informiert. Über die Vorlieben und Verhaltensweisen der unsichtbaren Hand des Marktes für Lyrik nicht.
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