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Kritik

Den Buddhismus ethisch denken

Stephen Batchelor und ein Buddhismus ohne Wiedergeburt
Hamburg

Das Thema Achtsamkeit (engl. mindfulness) hat in den letzten Jahren, in Europa etwas später als in Nordamerika, viel Beachtung erfahren, ob im Kontext von Psychotherapien oder als Praxis, die als Gegengift für die Erfahrung der modernen Arbeitswelt funktionieren soll. Yoga-Studio, Matcha-Tee und Achtsamkeitsworkshop firmieren gleichermaßen unter dem Label der "Neuen Spiritualität". Begegnen wir nun einer Welle neuer Hippies? Oder mündet die kulturelle Aneignung "fernöstlicher" Ideengebäude in Wellness für überarbeite Konsumenten? Beide Tendenzen lassen sich beobachten. Was diese Trends an die Oberfläche spülen, ist eine Sehnsucht nach Entspannung und Entlastung vom hektischen Alltag. Hier setzt Achtsamkeit an, als eine Technik, die verspricht, ihren Anwender ganz im Moment verweilen zu lassen. Und Achtsamkeit wiederum kommt aus dem Buddhismus. Letzterer erfährt in den letzten Jahren eine Renaissance. Zu dieser These gibt es allerdings eine andere Sicht: Stephen Batchelor sieht den Buddhismus seit dem 19. Jahrhundert in einem beständigen, wellenartigen Aufschwung in den Westen ziehen. Sein Argument: Diese Religion schaffte es seit dem fünften Jahrhundert vor Christus sich immer wieder, sich im Kontakt mit anderen Kulturen neu zu erfinden und zu organisieren. Der Buddhismus, den wir heute kennen, ist vielgestaltig und er ist das Ergebnis einer ständigen kulturellen Aneignung.

Stephen Batchelors neuestes Buch "After Buddhism. Rethinking the Dharma for a Secular Age" hat sich zur Aufgabe gemacht, den Buddhismus in das 21. Jahrhundert zu heben. Wer sich mit Batchelors Bio- und Bibliographie beschäftigt, sieht in diesem Buch die Konsequenz von Batchelors bisherigen Aktivitäten als ehemaliger Mönch, Publizist und Vortragender. In den 50er in Schottland geboren, in einem humanistischen Haushalt aufgewachsen, zog er in 1970er Jahren nach Indien. Dort studierte er mit dem im Exil lebenden Dalai Lama und wurde schließlich zum Mönch ordiniert. Später zog es Batchelor nach Korea, wo er sich mit Zen-Buddhismus beschäftigte. Er heiratete Mitte der 80er Jahre und trat aus dem Mönchsleben aus. Ende der 80er Jahre begann er seine schriftstellerische und publizistische Karriere, für die er bis heute weltweit bekannt ist.

Damit gehört Batchelor zu den aktivsten (westlichen) Stimmen des Buddhismus. Ganz ohne Mythos und religiöse Attitüde geht er an seine Themen heran. Ihm geht es nicht um eine Missionierung, sondern um Alltag, um Praxis und um Ethik. Sein Stil ist der eines Erzählers, zuweilen der eines Dozierenden. Batchelor ist keineswegs ohne Agenda: Sein erklärtes Ziel ist es, den Buddhismus für die Moderne fit zu machen. Er will seinen Lesern verdeutlichen, warum der Buddhismus als Lebensphilosophie und Ethik, weniger als Religion, den Marsch in die Moderne antritt. Dabei scheut er sich nicht, die religiösen Organisationen des Buddhismus in Frage zu stellen. Für Batchelor ist Buddhismus eine Praxis, keine dem Alltag enthobene Berufung, die nur wenige Auserwählte ausführen können. Meditation und Achtsamkeit verwandeln sich damit in in Werkzeuge für ein besseres Leben, denn jeder, der Erfahrung damit macht, so Batchelor, wird sofort die transformierende Wirkung dieser Praxis erleben. So kann ein fruchtbarer Boden für das Dharma, die Praxis des Buddhismus, entstehen.

Um seinem Publikum diese Lebenspraxis zu vermitteln, greift Batchelor nicht in die Trickkiste einer Rhetorik der Selbstoptimierung. Er preist nicht die Veränderung, die der Buddhismus in sein Leben gebracht hat - zu speziell ist seine Biographie, zu pragmatisch dafür sein Ansatz. Statt dessen  spannt er vor den Karren seines Vorhabens ein anderes Vorhaben, das viel akademischer ausgelegt ist: die frühesten Quellen des Buddhismus neu zu lesen und zu präsentieren. Dabei referiert er exemplarische Biographien aus dem Umfeld des Buddhas und die Biographie des Buddhas selbst. Die einzelnen Kapitel handeln von Lebensabschnitten, von Lebensgeschichten und Episoden. Damit wird Batchelor zum Geschichtenerzähler, der die ethischen Implikationen dieser Geschichten in einer weitläufigen Exegese mitliefert. Seine Deutung des frühen Buddhismus bezieht immer auch die kulturellen Umstände mit ein und liefert einen historischen Kontext. Im Versuch, Dogmen zu vermeiden, schält Batchelor so seine Interpretation einer buddhistischen Ethik aus seinen Quellen. Zugleich liefert die historische Positionierung der Texte eine Geschichtsstunde. Die auffälligste Konsequenz aus dieser Lesart: Für Batchelor ist die Reinkarnation keine Tatsache, sondern eine kulturhistorische verortete Annahme. Das Paradigma hielt Einzug in den Glaubenskosmos des Buddhismus, weil es eine kulturalisiertes Paradigma war. Die zur gleichen Zeit aufsteigende brahmanische Kaste baute ebenso auf diesen bereits existierenden Glauben auf. Wenn wir heute also den Buddhismus inklusive seiner Reinkarnationstheorien als Gesamtpaket betrachten, werden wir, so Batchelor, seiner ethischen Praktikabilität nicht gerecht. Tatsächlich ist ein Buddhismus denkbar, der Reinkarnation nicht voraussetzt.

Was liefert uns ein von seinem religiösen Dogmen befreiter Buddhismus? - Der Buddha wird in ihm zu einem philosophischen und ethischen Impulsgeber, dessen Ideen es über Jahrtausende und Kulturen hinweg geschafft haben, Menschen verschiedener Hintergründe zu beeinflussen. Die reiche Tradition des Buddhismus verliert ihren exotischen Reiz, was den Buddhismus als Lifestyle-Gadget entzaubert. Zusammen mit den klischeehaften Vorstellungen verliert man als Leser die Scheu vor der Beschäftigung mit der Ethik des Buddhismus und kann sich so eine eigene Meinungen bilden, die wiederum, wenn gewünscht, in eine persönliche Praxis übergehen kann.

Stephen Batchelor
After Buddhism
Rethinking the Dharma
Yale University Press
2016 · 400 Seiten · 22,70 Euro
ISBN:
9780300205183

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