Ehrlich? Nein, lieber doch nicht. Trotzdem ok.
Tessa Müllers Debüt ist im September bei Jung und Jung in Salzburg erschienen. In ihrem Erzählband ETWAS, DAS MICH GLÜCKLICH MACHT stellt die 1985 geborene Autorin, Absolventin des Literarischen Schreibens in Hildesheim, elf weibliche Protagonisten vor, die das übergroße Wahrnehmen ihrer Eigenarten einsam macht und die den daraus entstehenden Ängsten mit einer jeweils sehr eigenen Form der Spiritualität begegnen.
Der Titel ruft die Frage auf, ob die Figuren in der Abfolge der elf Erzählungen glücklicher oder unglücklicher werden. Das ist so einfach nicht zu beantworten, wie es auch nicht einfach ist, das Glück der Figuren überhaupt in den Geschichten zu finden. In Anbetracht des Titels jedoch eine Aufgabe, die sich der Leser umgehend stellt. Es ist deshalb so schwierig, weil das Glück, das die Figuren in ihrem Unglück suchen, ein Skurriles ist und vielleicht deshalb gar nicht wirklich glücklich macht.
Vielleicht aber meint die Autorin ihren Titel auch ironisch oder sogar zynisch. Zynismus ist eine der Eigenarten, die alle ihre Figuren in sich tragen, ebenso wie sie sich nicht ernst genug nehmen.
Das macht manches, das hier verhandelt wird, so leicht und erträglich, und meistens witzig, schafft aber auch das merkwürdig distanzierte Verhältnis, das die Ich-Erzählerinnen in diesem Band zu sich selbst pflegen. Vielleicht ja liegt genau darin die Tragik der Figuren, dass sie sich nicht trauen sich ernst zu nehmen, dass sie ihren Fokus auf ihre Eigenarten richten, was ihre Angst größer macht und die wahrgenommene Einsamkeit vermehrt.
Gefährlich ist es dennoch. Wenn die Figuren sich durch ihren für sich selbst fehlenden Ernst belanglos machen, überträgt sich das zu leicht auf die Wahrnehmung des Lesers und es entsteht die Frage, ob nicht die Autorin ihre Figuren etwas ernster hätte nehmen sollen. Für die Frage, mit welchen literarischen Mitteln man auf die Tragik seiner Figuren zugreift, gibt es jedoch glücklicherweise kein Richtig oder Falsch.
Trotzdem, starke Momente werden durch die Groteske, die hier ein Mittel des fehlenden Ernstes ist, im letzten Moment entkräftet. Das kommt so: Die Stärke liegt bei Müller in jenen Momenten, in denen sie ihre Figuren etwas offenbaren lässt, das man besser für sich behielte, findet also dann statt, wenn zutiefst ehrliche Momente gegeben sind. Sie lässt den Leser einer Preisgabe der Unzulänglichkeit ihrer Figuren bewohnen, das ist spannend, aber davon ginge viel, viel mehr. Wünschenswert wäre, ein Verzicht auf die Relativierung dieser Augenblicke.
Wenn beispielsweise die verlassene Protagonistin der ersten Geschichte („Die Lösung des Problems“) eingesteht, dass sie beim spontanen Besuch ihres Exfreundes die Wollmütze trotz der Hitze nur deshalb nicht vom Kopf nimmt, weil sie Angst hat, ihre Haare könnten fettig aussehen, ist das eine erste Annäherung an eine Entblößung des peinlichen Innersten, niemand würde so etwas laut eingestehen und dass es hier in solchen Fällen stets getan wird, ist gut. Wenn sie dann aber die Mütze unter dem Tisch auszieht und schließlich unbegreiflicherweise für den Leser mit dem Tisch die Wohnung verlässt, hebt das groteske Moment den Versuch von Stärke durch Intimität auf.
Stärker noch geschieht das in „Von Gott“, der vorletzten Erzählung des Bandes. Müller beschreibt einen sehr starken Moment, wenn die Protagonistin im Zug auf der Fahrt zu einem Domkonzert von ihrer Freundin aufgefordert wird, ihre Unterhose auszuziehen, um zu beweisen, dass sie nicht prüde ist. Sie tut es und ihre Freundin wirft sie weg. Um die Tränen verbergen zu können, bittet die Protagonistin die Haare ihrer Freundin bürsten zu dürfen, weil sie dabei ungesehen hinter ihr sitzen kann. Der Moment ist stark, auch weil das Verhältnis der beiden einen erotischen Zug bekommt, ohne dass ihre Beziehung eine eindeutig erotische ist. Wenn jedoch die Protagonistin später vor Langeweile im Domkonzert auf den Boden rutscht, dort einschläft und schließlich mit einem nassen Fleck auf dem Kleid erwacht, den sie als Begegnung mit Gott interpretiert, als Liebe Gottes zu ihr, hat auch hier die Groteske dem Intimen die Schau geraubt.
Trotzdem gibt es sie immer wieder diese intimen Gedanken, die von Unzulänglichkeit zeugen und nach außen getragen werden. So auch wenn die Protagonistin der ersten Erzählung zugibt, dass sie den Klimawandel beruhigend findet, weil er die Trennung ihres Freundes relativiert. Angesichts dessen, was der Menschheit bevorstünde, sei ihr Unglück klein und außerdem sei ja auch das nicht auszuhaltende Glück zwischen ihrem Exfreund und seiner neuen Freundin durch einen möglichen Tornado bedroht, was das Leid der Protagonistin gleich mildert. In der Schwäche, die hier zugegeben wird, liegt die Stärke der Erzählungen.
Auch sonst gibt es spannende Momente. Wenn eine Museumsaufseherin beispielsweise während der Arbeitszeit eine heimliche Performance entwickelt („Wirklichkeit und Liebe“) oder, der einzige unerträgliche Moment des Bandes, die Protagonistin der letzten Erzählung („happy little things“) wegen ihres Gefühlsverlusts im Bein einen vorüberkommenden Jungen die Scheune mit den Hühnern, um die sie sich so nicht mehr kümmern kann, anzünden lässt.
Für Müllers Figuren geht es um etwas. Dementsprechend voll und absolut ist die Sprache. Die Autorin fürchtet sich nicht vor bedeutungsvollen Sätzen und meistens, bis auf wenige zu pathetische Zeilen, ist es gut, dass hier nicht so low und spröde wie sonst so oft in der jungen Gegenwartsliteratur geschrieben wird. Einzig der etwas gleiche Ton bei sehr verschieden alten Figuren, ist etwas schade. Der letzten Protagonistin glaubt man ihr Alter von 59 Jahren kaum, denn diese eine Sprache, die Müller gefunden hat, hat auf den 112 Seiten zuvor eher den Jungen gehört.
Gefährlich ist auch das rosa-pastellfarbene Cover des Buches. Es lädt ein, die Erzählungen zu unterschätzen. Überhaupt sollten wahrscheinlich Bücher von Frauen niemals rosa oder pastellfarben eingepackt werden, ist es doch für Autorinnen ohnehin schwer ernst genommen zu werden, vor allem dann, wenn sie in ihrem Werk Beziehungen verhandeln.
Unterschätzen sollte man die leichtfüßigen Erzählungen in diesem Band nicht. Und doch hätte es ihnen gut getan, wenn sich die Figuren ernster genommen hätten, wie sich junge Literatur ruhig ernster nehmen darf. Beide sind hier etwas verhuscht.
Fixpoetry 2014
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