Das schuldet sich nichts
Tristan Marquardt – bekannt aus dem Lyrikkollektiv G13 – mit seinem ersten eigenen Gedichtband: das amortisiert sich nicht. Ich habe Tristan Marquardt dreimal kennengelernt. Zu erst als Dichter des Kollektivs G13 mit ihrer Leseperformance und auf ihrem Blog. Dann waren wir beide Finalisten beim 20. Open Mike, dort hat er mit Linus Westheuser gemeinsam geschriebene Gedichte vorgetragen. Schließlich im Workshop nach dem Open Mike als Dichter per se. Und nun habe ich seinen Band und kann mich mit eben diesem Dichter auseinandersetzen.
Trocken betrachtet lässt sich der Band in sieben Zyklen einteilen und nach den ersten sechs gibt es einen „Katalog“ (dazu später mehr), 44 Gedichte + 6 Kataloge.
Amortisieren: eine Schuld in Raten tilgen oder den Anschaffungspreis wieder einbringen. Ein harter Titel – das soll sich nicht wieder einbringen? Das soll sich nicht tilgen, nicht in Raten?
In medias res: In den Gedichten erlebe ich eine Sprache und einen Sprachgebrauch, der mich ins Staunen versetzt. Tristan Marquardt hat eine eigene Sprache und eine eigene Anwendung. Das wird bei jungen Dichtern häufig kritisiert und wenn sie es haben, sei es oft zu rätselverliebt. Das sehe ich hier überhaupt nicht. Hier werden eher die Rätsel, die im Leben zugegen sind genannt.
„der aufstieg gestaltet sich fiebrig, wir haben die grenze der
therapie längst überschritten. berge am wegrand, fühler voraus,“
oder:
„so, oder ungefähr so, dürften sich zielgruppen fühlen nach dem
verfehltsein. lückenloses schließen von lücken,“
Sachte und zart wird hier immer auch unser alltägliches Leben beschrieben. Viele Menschen reden davon, dass Lyrik in den Alltag zurück müsse, ich sehe sie dort schon die ganze Zeit verankert. Und ihrer Banalität ist die Lyrik nicht banal, sie ist vor allem nicht substituierbar.
„als die schatten ihre arbeit niederlegen, wechselt die beleg-
schaft der bewegung. dunkelkammern untern arm eines
kaum belichteten körpers.“
Hier wird etwas beschrieben, das jede Person kennt –
„entwickelte straßenzüge, wenn
dämmerung sich streckt, graben auffangbecken für fahrten
im auslauf: bahnwagen,“
Dichtung erlebe ich hier als Verwendung von gemeinem Sprachgebrauch bis hin zu eigener Sprachtradition zur Darstellung von (ambivalenten) Sachverhalten und/ oder mikroskopischen Beobachtungen.
„haut der gebäude, häutung,
gezähmtes grün, zog sich fell über, wärmte fortan. schutz ums
schmerzgedächtnis. narben schlossen den geöffneten bereich.“
Poesie/ Lyrik/ Dichtung wurde auch immer mit Klang verbunden. Tristan Marquardts Texte haben auch darin eine Eigenheit, die Texte sind phonetisch auf ihre Weise:
„als eine dieser nachnächte, das multiple choice, voice
over und das erste kreuzchen, pro forma protest.“
Die unmittelbare Assonanz finde ich in diesem Band gehäuft und das ist keine Stabreimwüterei. Hier wird aus Klang und Inhalt definitiv eine Kombination gewoben. Hier wird klug kombiniert und das bereitet beim Lesen Freude, da es einem ein Sprachspiel aufzeigt, das nicht etwa weithergeholt ist, sondern sofort – geradezu intuitiv – vertraut erscheint. Dabei begegnet dies dem Leser niemals mit einer Attitude der Überheblichkeit.
zeit für umschulung, dressur, der kurs heißt kuschelkurs und
fuhr soeben mit dem taxi in den tunnel. gib zu, du wusstest nicht,
warum vertrauensbildende maßnahmen deinen sitz vorgewärmt
hatten. fragtest den fahrer, er bat um geständnis. also bitte: licht
ist leichter als schatten, akklimatisierung aber kennt kein gewicht.
gewiss. doch was heißt dann, sich entwöhnt zu haben? dumme
frage? gibt es nicht. wenn also wahr ist, dass nach der saison die
unzeit kommt, wo befinden wir uns jetzt? an welchem punkt einer
freundschaft erklärt man die vergangenheit zur leitidee? und wann
springt der hund aus dem fahrenden auto? warte mal. niemand
springt jetzt aus irgendeinem auto – ist das klar? alles schweigt,
nur das taxometer schweigt mit sich selbst. nichts traut nichts
über den weg, obwohl es nur einen weg gibt. und alles ist keine
gruppe. woran sich die augen längst schon gewöhnt haben. schein-
werfer, was hinter ihnen liegt, so viel ist sicher, kein licht. und du,
nur fragen im blick, kannst dirs nicht merken, nimm die brücke.
dressur. dass dieser tunnel, als dessen schüler wir uns zu fühlen
begonnen haben, beendet und als straße fortgeführt werden wird
In diesem Gedichtband wird um das Leben kein Rätsel gezogen, es ist viel feiner, was hier geschieht. Eher werden uns die Rätsel im Leben aufgezeigt. Dabei scheinen die Gedichte oft Wechselbalge zwischen dem Geschehen an sich und dem Geschehen im lyrischen Ich zu sein. Hier wird das Leben nicht einfach nur minimalistisch niedergeschrieben, das Leben wird nicht andauernd mit Metaphern durchwebt, nein – ohne, das ich diese beide Arten kritisieren möchte (ich sehe sie keineswegs negativ), möchte ich sagen, das hier eine Synthese beider Formen stattfindet. Tristan Marquardt wechselt spielerisch und sehr vertraut zwischen Metapher und/ oder Vergleich zu einer Beschreibung und/ oder von beschreibenden Metapher zu einem beschriebenem Sachverhalt. Ohne Frage ist dieser Band sehr konzeptionell, aber gerade darin kann eine Stärke für den Leser liegen, das hängt ja immerhin vom Leser ab. Auch wenn dabei die Gedichte rasant voran zu schreiten scheinen, gibt es „bravo, entschleunigung“, da so viele Themen im Band besprochen oder zumindest angerissen werden, dieser Band ist für sich eine angenehme Entschleunigung. Hier kann man natürlich durchrauschen, aber dann würde dieser Band keinerlei Effekt hinterlassen, aber das würden wenige Gedichtbände, wenn man sie überhastet liest.
Nach sechs der sieben Zyklen gibt es jeweils Auszüge eines Katalogs, z.B. Auszüge eines Schattenkatalogs, eines Griffkatalogs, eines Spurenkatalogs, etc. Dabei habe ich das Gefühl das Begriffe – nicht nur aus den dazugehörigen Zyklen – verdeutlich werden, sondern dass die Kataloge gemeinsam auf den ganzen Band zu beziehen sind. In den Katalogen werden recht abstrakte aber auch sehr intelligente, fast lexikalische Erklärungen geliefert, die gerade deswegen lyrisch sind. Z.B.
à eine spur legen
gegenwärtig für die zukunft hinweise auf die vergangenheit geben.
à neben der spur liegen
den hinweisen falsch folgen.
à schattenschatten
schatten, den ein schatten wirft
à schattenspur
vergangeheitsform eines schattens
Abschließend möchte man als Rezensent unbedingt auf einen weiteren Katalog verweisen. Und zwar hat Andreas Töpfer die Kataloge illustriert und somit diesen abstrakten Beschreibungen eine visuelle Lebensform gegeben. Die Sichtbarkeit verleiht den Katalogen eine völlig andere Lebhaftigkeit, und beide Formen der Kataloge wirken nicht nur kommensurabel sondern auch ergänzend. Eine Tolle Idee – 10 Jahre kookbooks sind nicht zu leugnen, machen sich weiterhin bemerkbar und ich möchte hoffen, dass es so bleibt, denn dieser Gedichtband – wie die Kookbooksbücher generell – bleibt einem nichts schuldig.
Ganz zum Schluss noch ein Gedicht:
blickinsassen
(3)
lässt sich aufschaukeln, die farbe des holzes geht mit der farbe
des tisches ständig auf tuchfühlung. sie können nicht ohne.
nur die schatten, entwürfe des bodens. hier fühlt der tisch sich
aufgehoben. sie sagen: schatten und boden berühren sich nicht,
sie stoßen sich ab. da siehst du blickschichten, gewinnst dis-
tanz. dann musst du schlafen gehen, ohne zu duschen, weil
der verlust des gedankens, duschen zu wollen, schwerer wöge.
um überhaupt alles nicht zu tun, als hättest du es getan. wenn
du bspw. deine hand vergisst, tust du so, als hättest du sie
nicht vergessen. denkzettel für die erinnerung: der tisch, die
hand, ein griff zur tür, die nach hinten führt. hinter ihr, denkst
du, eine seife. sie vermag alles zu waschen außer sich selbst.
Fixpoetry 2013
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