Das feine Kratzen an der Schädelkalotte
Das sind Texte, die im ersten Anblick fast magnetisch alles anziehen, was sich an groben Schlagworten zur populistischen Kritik moderner Lyrik finden mag: abstrakte Gebilde, ein wilde Mixtur mit reichlich Anleihen an klassischen Lyrik-Motiven (wie Mond, Schwan und Gesang, die heilige Dreifaltigkeit der Romantik), eingefügtes Rap-artiges Sprachbasteln (granat – prokrastinat), mit willkürlichen Stör-Begriffen (pdf) zusätzlich aufgepeppt:
kapriolen, kaum antastbar, der nächste punkt, deine granat-
phase. prokrastinats frühling, schwante / blühte à la mondstand
in drei tagen, drei letzte gesänge und dann ran an die gruß-
formel: salve imperator, schickst du mir heut noch das pdf?
Der Wille zur Kreativität dröhnt in obigem Beispiel kräftig aus den Zeilen, er fehlt in dem Buch selten, und will man die Texte zu mögen versuchen, muss man lernen, „kapriolen“ zu ertragen. Schon das Erscheinungsbild des Buches - etwa die Schrift, ohne Serifen, markant, fett, klein und eng an den oberen Rand gequetscht -, signalisiert: hier geht es nicht darum, den Leser in emotionale Rundreisen zu verschicken; diese Texte wummern nicht im Bauch und bringen nicht das Herz zum Klopfen: sie sind eher für das feine Kratzen oben an der Schädelkalotte gebaut, sie scheuen sogar schon vor allzu konkreten visuellen Bezügen zurück, noch mehr vor Berührung: die so oft thematisierte ‚Haut‘ wirkt wie ein peripheres Objekt, eine exotische Grenze und Sperre, als ob der lyrische Intellekt beim zu engen Kontakt mit Fremdkörpern sein Selbstverständnis völlig verlieren könnte. Ein Ansatz, der spannend ist, an emotionsdurchtränkter Lyrik herrscht ja kein Mangel.
Diese Scheu, fast Ängstlichkeit ist konstitutiv für die Texte des Buches, immer dort, wo es greifbar werden könnte, schieben sich Worte vor, sprudelt ein Begriff auf, das Hirn folgt den Möglichkeit zur prokrastination, nimmt den nächsten Link, dem nachgeklickt wird, sei er rein sprachlich assoziativ motiviert oder inhaltlich gestützt „… das hattest du schon mal, tagsüber: ein // parship ohne echolot, notgedrungen, dein augenmerk ging baden // wie umrisse aus dioptrienzeiten …“ , so hetzt der lyrische Ulysses von einem Assoziations-Fünkchen zum nächsten – als ob Lyrik die natürliche Sprache des inneren Monologs wäre. Wäre? Ist sie es nicht? Ist sie der Realität des Monologs nicht vielleicht näher als Prosa?
Ein Faden zieht sich durch derartige innere Monologe, man kennt das, je nach Konzentration ist er mal dicker und mal dünner, im praktischen Leben reißt er nicht selten, verknotet sich oder franst aus in vielfältige Nirwanas, manchmal bleibt im Gewusel nur noch übrig, dass man etwas suchte, irgendwas hatte ich am Anfang eingetippt bei Google? Solche Texte hat Marquardt ebenfalls aufgenommen, einige wenige, unmittelbar aus Suchmaschinen-Resultaten generierte Texte aus dem flarf Berlin-Projekt. Die Gestik aber ist konstitutiv für viele der Gedichte, so wie sie eben auch im Alltag inzwischen konstitutiv für nicht nur jugendliches Bewusstsein ist.
Was ist es für eine Sprache? Sprache schafft Nähe, Verbindungen, ermöglicht Austausch – ebenso aber schafft sie Distanz, in jeder Abstraktion liegt eine Abwehr, mit jedem Begriff schafft sich der Denkende seine kleine Wellness-Oase, in der die Dinge in Ordnung gebracht liegen, sich in klarer Weise zueinander verhalten. Als eine Art Gegenwelt zu den Link-klick-Gedichten hat Marquardt kleine Oasen oder Ensembles des Bedenkens immer wieder eingestreut, wie einen vornehm gedeckten Tisch, manchmal etwas klügelnde, selbstverliebte Begriffsstudien zu Themen wie „Blicken“, „Griffen“, oder eine Bäderlandschaft zu „Tunneln“ oder „Grenzen“.
Innerhalb der Texte schaffen die modernistischen Einsprengsel Reibungsflächen, provozieren Konflikte, die Marquardt immer mal wieder gerne zuspitzt „ (…) – nur die tags an den wänden verraten das ende der // legislatur. dann sitzen wir auf einem baum, zwischen himmel // und erde, warten, dass kronos die pfeiler frisst. beim zeus, wir // werden uns zu beweisen wissen. …“ Aber wie es dem Internet-Erfahrenen Nutzer so geht: diese Art von Link-Verfolgung führt nicht leicht hinein ins Thema, sondern tendenziell davon weg, die Motivik zerläuft unter den Assoziationen – übertragen aufs sprachliche landet sie am Ende im Klangbrei des Rap.
Die Frage stellt sich an die Texte, ob das Spiel mit dieser Thematik gestaltgebend ist, oder ob es einfach die quasi-natürliche Art des Denkens eines Menschen ist, der mit dem Internet groß wurde. Mein erster Eindruck, dass sich hinter der kühlen Sperrigkeit der Texte ein moderner Ansatz verbirgt, der den Anschluss etwa an die amerikanische Gegenwartslyrik sucht, ließ sich nicht recht halten. Die Texte sind nicht Fisch, nicht Fleisch – halb wird ein provokativ-anti-erzählerischer Gestus eingenommen, gleichzeitig aber lyrischer Zuckerguss reichlich eingemengt, mal werden dadaistisch anmutende Collage-Techniken verwendet, dann wieder durch die üblichen Signalwörter eine Art dunkler Weltschmerz suggeriert.
rückwurf, landen. daumen dicht ans panorama,
haut aus felsen, 20 kilogramm hang. dann die
seen: beifang der flüsse, unter der hand. wir
aber nutzen die verluste: legen finger auf wellen,
machen fotos fürs große publikum, den kleinen
teil unter uns. gegen den tag. schmiegen am
beispiel, tätlich am wasser, greifen wir zu.
Insgesamt blieb mir der Eindruck von etwas noch nicht ganz Ausgegorenem – einem nur halbherzigen Versuch, sich den Klischees der aktuellen Lyrikproduktion nicht unterzuordnen, was bei einem jungen Autor keine sonderlich schwerwiegende Kritik sein soll. Aber die Jonglage mit den klischee-nahen Tropen gelingt nicht recht: gelesen als Versuch, auf die Konstruktionsprozesse im Lyrik-Lesen aufmerksam zu machen, sind die Texte noch zu bieder, erreichen sie auch die kritische Distanz nicht, um provokativ zu sein. Als konventionelle Gedichte gelesen, kann man sie als moderat kritische Beschreibung der Formen des immer klickbereiten Internet-Bewusstseins aufnehmen, das ließe sich jedoch ohne die oft virtuos, aber nicht selten auch protzenden Anleihen am klassischen Motivkreis der Lyrik prägnanter sagen. Weniger gut kommen die Texte bei mir weg, wenn die sprachspielerischen und lautmalerischen Komponenten ins Visier genommen werden, die sich im letzten ‚zirpn‘-Teil häufen - laut, von der Bühne vorgetragen, mag das oft noch bedeutungsvoll oder witzig karikierend klingen, im Stillen gelesen stellte es meinen guten Willen vor Herausforderungen (… verdammt. das geknipste und schnipsel. das geknickte // schnitzel. wuchs maches allerhand. und in diesem land lebe ich? // westlich der oder, seitlich der mosel? von wegen dusel (…)“), denen er nicht immer gewachsen war.
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