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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Sprachprobleme und Stammkunden

Yi Luo erzählt in ihrer graphic novel "Running Girl" eine kleine, feine Geschichte von einer Chinesin in Deutschland
Hamburg

"Meine Chefin sagt, eine gute Bedienung rennt nicht. Weil die Kunden sehen sollen, dass sie alles unter Kontrolle hat", erzählt Li. "Erst seit kurzem kenne ich das komplette Feierabendprozedere: Als Erstes alles Leergut durch volle Flaschen ersetzen. Spätestens um 23 Uhr mit dem Aufräumen anfangen. Alle warmen Speisen in die Küche bringen, damit der Koch Liu alles aufräumen und das Mitternachtsessen zubereiten kann. Dann die kalten Sachen - rohes Fleisch, Salat, Obst, Saucen - einsammeln." Li ist Bedienung im japanischen Sushi-Restaurant Sakura, ihre Mitbewohnerin Bo hat ihr den Job vermittelt.

Seit einem Jahr ist Li in Augsburg und studiert an der FH. In China war sie eine der besten im Deutschkurs, jetzt versteht sie in den Vorlesungen oft nicht, worum es geht. Manchmal auch nicht, wenn sie sich mit Kommilitonen unterhält: Als ihr eine andere Studentin erzählt, sie würde immer aus München pendeln und sie nachfragen muss, versteht sie nur: "Mo... und ... al..sh ... immer Zug. Me...ren....w...n in München. Also l... in... s....... Augsburg." Die Situation ist verfahren, denn sie weiß: "Ein fremdes Wort führt oft zu vielen weiteren Wörtern, die ich auch nicht verstehe." Dennoch tut sie oft so, als wenn sie es verstehen würde. Und dann wird es unangenehm still. Im Restaurant ist es leichter, denn Li hat ein Talent für Zahlen, und so kann sie sich die Bestellungen gut merken. Und selbst wenn es heißt: "Li, bring dem Tisch 13a bitte 55, 71, 73, 89 und 90", erledigt sie alles prompt und genau. Das gefällt ihr, und ihre schlechte Laune ist dann verflogen.

aus: running girl, li yuo, reprodukt

Es ist nur eine kleine Geschichte, die Yi Luo in ihrem schmalen Büchlein "Running Girl" erzählt. Und nicht einmal das. Es sind ein paar Szenen aus dem Leben der chinesischen Studentin Li, die in Deutschland studiert und schnell und oft an ihre sprachlichen und sozialen Grenzen stößt. Yi Luo erzählt auch von den kleinen Glücksmomenten im Lokal, wenn sie gut arbeitet und die Gäste zufrieden sind. Oder wenn sie sich ausmalt, welches Leben wohl ihre Stammkunden haben: "Manfred" mit der Glatze, der immer montags kommt: "Er sitzt immer allein am Tisch. Er kommt oft gegen neun, hat die 'Augsburger Allgemeine' dabei und sitzt gern an Tisch fünf."

Ausführlich erzählt sie ihrem Freund Chen von Manfred und ihrem Leben in der Fremde, einem Musiker, den sie 2007, in dem Jahr, als sie nach Deutschland fuhr, kennenlernte. Regelmäßig telefonieren sie miteinander, auch über Skype. Der Zeitunterschied macht es schwierig, denn wenn er aufsteht, geht sie ins Bett, und oft hat Chen so viel zu erzählen, dass sie gar nicht dazu kommt, ihren "Tagesbericht" abzuliefern. Und dann sagt er ihr eines Tages, dass eine andere Musikerin ihn zu sich eingeladen hat...

Es ist ein melancholisches kleines Buch, das Yi Luo geschrieben und gemalt hat, wahrscheinlich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen, denn auch sie lebt seit 2007 in Deutschland, studierte in Augsburg Illustration und jetzt in Ludwigsburg Animation. Für die Süddeutsche Zeitung zeichnet sie als Yinfinity regelmäßig Comics. Ihre Geschichte um Li, das "running girl", ist mit feinem Strich klar gezeichnet und mit manchmal leuchtenden, meist aber verhaltenen Aquarellfarben sensibel ausgemalt. Das Rotschwarz der Bedienungskleidung sticht dabei sehr gegen die sonstigen, eher gedämpften Winterfarben ab, gedecktes Grün, graues Schneeweiß. Ihre Träume und Phantasien sind mit einem ockerfarbenen Schleier versehen, und ihre Welt wird düster, dunkel und schwarz, als sie nach dem schrecklichen Anruf von Chen zur Arbeit rennen muss und dort weinend zusammenbricht.

Viele hübsche Details sind zu entdecken, tanzende Augsburger auf dem Platz vor der FH, auf dem ein paar entlaubte Bäume stehen, verschwommene Menschenmengen im Bushintergrund, schmutzigbraune Autos im Vordergrund, als sie zur Arbeit hetzt. Schön ist auch das Nebeneinander von Erzählung und Handlung. Gleich am Anfang berichtet sie etwas oberflächlich vom Feierabendprozedere, und man sieht sie auf den Bildern leere Flaschen in den Keller schleppen und sortieren und volle Kisten mit ihrem Kollegen Yan nach oben tragen. Währenddessen unterhalten sie sich über Prüfungen und das Studium. Und während sie erzählt, dass die warmen Speisen in die Küche müssen, sieht man sie mit ihrer Kollegin über einen Stammgast plaudern, und eine andere meckert über einen anderen Gast, der sich "fünf ganze Teller Muscheln geholt" hat. Mit diesem kleinen Kunstgriff macht Yi die Geschichte lebendig und lebhaft und öffnet eine weitere Ebene.

Klar gegliedert ist diese graphic novel, grade erzählt, und obwohl das Gesicht von Li nur wenig Individualität hat, wird ihre Persönlichkeit, ihre Verlorenheit, ihre Verlassenheit und ihr Durchhaltewille sehr deutlich. Wahrscheinlich gerade, weil die Geschichte nicht pathetisch ist, sondern alltäglich und sanft und noch dazu mit einem Schuss (Selbst)Ironie erzählt: das Rezept "für leckeren Obstsalat: 1 l Wasser, 500 g Zucker, 5 Äpfel, 2 Dosen Mandarinchen, 2 Kiwis, ein wenig Ananas und 2 Tonnen Tränen eines dummen Mädchens" - und man sieht auf den Bildern, wie aus den Obststückchen kleine im aufschäumenden Wasser versinkende, tauchende Mädchen werden. Und außerdem endet das Buch nicht düster, sondern eher versöhnlich, denn am Schluss, als sie zusammengesunken im Bus sitzt, klopft ein Junge an die Scheibe und macht ihr Zeichen: "Es wurde plötzlich erträglicher", sagt Li, geht über den winterlichen Platz nach Hause und haucht sich die frierenden Hände warm, "obwohl der Schmerz immer noch da ist."

Yi Luo
Running Girl
Reprodukt
2016 · 32 Seiten · 10,00 Euro
ISBN:
978-3-95640-083-4

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