Complete Destruction
It was an icy day.
We buried the cat,
then took her box
and set match to it
in the back yard.
Those fleas that escaped
earth and fire
died by the cold.
Völlige Zerstörung
Es war ein eiskalter Tag.
Wir begruben die Katze,
trugen die Kiste hinaus
und verbrannten sie
im Hinterhof.
Was an Flöhen entkam
der Erde, dem Feuer
ging an der Kälte ein.
(Übersetzung)
Über völlige Zerstörung
Es ist schon eine Weile her, da fand ich in Hans Magnus Enzensbergers „Museum der modernen Poesie“, einer Art documenta der klassisch-modernen Lyrik von 1960, dieses Gedicht des US-amerikanischen Dichters William Carlos Williams. Ich hatte das „Museum“ antiquarisch erworben und las eher zerstreut darin herum, die Zusammenstellung und auch die Zweisprachigkeit waren mir angenehm, aber die Vielstimmigkeit der internationalen Stimmen lenkte ab. Das Gedicht „Complete Destruction“ hingegen ergriff mich sofort – um nicht zu sagen: es elektrisierte mich. Hier fand ich in Kürze und Direktheit einen Sachverhalt geschildert, der jedem bekannt ist bzw. der der alltäglichen Vorstellungswelt bedingungslos angehört und dessen monströser Titel dennoch gleichzeitig Parallelen ziehen läßt zu größten Menschheitsverbrechen.
Dabei geht es nur um eine Katze und um Flöhe. Aber es ist die Menschlichkeit dieser Tiere, die sofort in die Sache hineinzieht. Die Katze, das ‚geliebte Vieh‘, ist gestorben, „wir“ („we“) müssen sie uns trotz allem vom Hals schaffen, wie jeden Verstorbenen. Einen Tierfriedhof, wie heute, gibt es nicht, es bleibt unklar, wo das Tier verscharrt wird, und ihre ‚Habe‘ werden im An- und Ausblick der Alltäglichkeit, im Hinterhof, verbrannt. Erst in der zweiten ‚Strophe‘ wird die Voraussetzung der ersten Zeile, „It was an icy day“, spürbar, denn in der Kälte haben auch die Flöhe keine Chance. Vom geliebten Vieh, der Katze, so läßt sich annehmen, bleibt ein Abdruck in der Seele der Totengräber.
Und hier muß ich eine merkwürdige Geschichte einschieben, die mir kurz nach der Lektüre mit diesem Gedicht passierte. Es gab ein Treffen von einigen – philosophisch interessierten – Jungdichtern. Jeder sollte möglichst ein Buch, einen Text, eigen oder fremd, mitbringen und vorstellen. Ich hatte mich nicht vorbereitet, erst im letzten Moment entschied ich mich, „Völlige Zerstörung“ vorzutragen – in der Annahme, der Text, der mich beim ersten Lesen in seinen Bann geschlagen hatte, würde auch die Teilnehmer des Treffens bewegen, zumindest zu einigen anerkennenden Worten.
Ich hatte mich getäuscht. Die philosophisch interessierten Kollegen erblickten in Katze und Flöhen nur ein wenig lächerliche Requisiten einer nicht besonders geistvollen Häuslichkeit. Die poetische Tiefenschärfe, das Knappe und Schroffe dieser nüchternen Beobachtung erschienen den Diskutanten nicht weiter erwähnenswert. Es kam zu keiner Diskussion, da ich, fassungslos, mit meiner Begeisterung für dieses harsche, ultrakurze und doch in einem weiteren Blickwinkel so metaphorische, treffsichere Gedicht alleine dazustehen, herumeierte und keine ‚Argumente‘ liefern konnte.
Es hat mich nicht kalt gelassen, sonst würde ich nicht nach Jahren noch darüber schreiben. Dies ist kein Verteidigungsversuch, den Williams’ Dichtung nicht nötig hat. Sein Übersetzer Enzensberger hat im Nachwort zur Volk-und-Welt-Ausgabe von 1987 auf die nüchterne, fast schon ‚maschinelle‘ Arbeitsweise des praktizierenden Landarztes hingewiesen: „Diese Schreibweise hat es nicht auf Deutung, sondern auf Evidenz abgesehen.“ Und diese Evidenz springt einen auf einer menschlichen Ebene geradezu an, weil der Vorgang so brutal ist. Es geht natürlich nur um eine Katze und um Flöhe. Enzensberger schreibt: „Er [Williams] zieht in jedem Fall der Metapher das Detail vor.“ Das Detail ist auf eine kleinbürgerliche, piefige Weise grausam – das hat seinerzeit offenbar den Spott der philosophisch interessierten Jungdichter, von denen auch ich einer war, hervorgerufen. Aber warum sahen sie nicht, daß der ganze Vorgang auch eine metaphorische Ebene hat? Daß „völlige Zerstörung“ eine Alltäglichkeit besitzt, die unerhört ist, aber aufgrund der ‚menschlichen‘ Fähigkeit zur Gewöhnung und zum Vergessen auch allzu normal? Und daß es eine schon fast sokratische Aufgabe der Poesie ist, auf diese Normalität hinzuweisen?
Das Vorläufige an diesem Gedicht, das sich nur optisch in zwei Strophen à vier ‚Verse‘ gliedert, springt ins Auge, wie ein schlecht gezimmerter Hühnerstall im Hintergrund des paganen Bestattungsrituals. Auch die nackte, jeglichen Seelengerümpels entkleidete Sprache läßt einen nicht kalt. „We buried the cat, / then took her box…“ – als würden sie jeden Tag Katzen begraben. Daran ist nichts Rührseliges, nichts Lächerliches. Einen touch von Traurigkeit bekommt das Gedicht, weil auch die Flöhe dran glauben müssen. Was haben diese – ja auch so unerhört menschlichen – Parasiten der Katze getan? Gelebt haben sie von ihr und mit ihr, nun werden sie mit ihr vernichtet – von Erde, Feuer, Kälte (von den vier Elementen bleibt nur das Wasser unerwähnt, wenngleich im „eisigen Tag“ erahnbar) und damit recht eigentlich vom Furor – oder sagen wir: von der unausweichlichen Pflicht – des Kleinbürgers. Nein, sagen wir: von der ungerechten Welt, die uns („we“) immer wieder zwingt, Dinge zu tun, die wir nicht tun wollen.
James Joyce hat diese kleinen, aber interpretierbaren Beobachtungen des Alltags, darauf weist auch Enzensberger hin, „Epiphanien“ genannt. Williams spricht schlicht von „glimpses“, Blicken aus den Augenwinkeln, die jedes Detail erfassen. Das, was an jenem verunglückten Diskussionsabend meiner Meinung nach nicht zur Sprache kam, ist dies: Evidenz ist grausam. Natur ist vollkommen gefühllos. Sie gibt uns, philosophisch gesprochen, einen Hinweis („a glimpse“) darauf, daß es da draußen keinen Gott gibt, sondern daß es ihr ziemliche Wurst ist, ob gelebt oder gestorben wird. Auf menschlicher Ebene ist das unmoralisch – aber es ist eben so. Genau wie das Kurzgedicht „Breakfast“ („Frühstück“, in Enzensbergers Übersetzung), das sich mit seinem Credo ‚Fressen und gefressen werden‘ wie das Gegenstück zur „Völligen Zerstörung“ liest:
Twenty sparrows Zwanzig Spatzen
on auf
a scattered einem Fladen
turd: Mist
Share and share Leben und
alike. leben lassen
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