„Ich bin die Kröte Ich bin die Kröte“
[...]
Komm denn und töte!
Mag ich nur ekles Geziefer dir sein:
Ich bin die Kröte
Und trage den Edelstein …
schreibt Gertrud Kolmar. In den Zeilen zuvor heißt es: Ich atme, ich schwimme ... Ich lese und weiß, dass Gertrud Kolmar gewaltsam zu Tode kam und umgebracht wurde als Jüdin. Wenn die Dichterin Zeugnis gibt von der „Menschenstimme die mich schmäht“ und davon, dass sie „reiben mit sanftesten Tüchern / Nur blank ihre schuftende Hetze“ laden sich die Worte auf mit dem Wissen danach, als hätte eine geschrieben, die weiß, die schon weiß, und nicht weiß, wie zu entkommen ist. Über “Namen in Büchern der Schreiber“ spricht sie in „Die Gefangenen. 1933“. Zeilen so mitfühlend, die Armen begleitend.
Kolmar klagt, klagt an, weint und singt. Ein Ich, das sich ausdrückt in der Natur, in der Gestalt der Tiere, der Pflanzen, der Erde. „Die Erde siecht von Jahr zu Jahr / Wie eine Mutter, deren nicht die Kinder achten“. ... „Gift hat die Blütenstirn geätzt, Ein wilder Fleiß den Blick verändert, Der Städte Aussatz ihren Leib gefetzt, Und Schienen haben ihn umbändert.“
Stoppt Erdöl- oder Gas-Fracking! Oder Verbot von Plastikprodukten müßte es wohl heißen, wenn ich folge. Ich spüre, wie dieses Sprechen blaß bleibt, viel blasser als die Worte ihrer Zeit. Auch was sie zum 9. November 1918 zu sagen hat: ... „Sie pflanzten die Gärten voller Kreuze und säten die Äcker voll Schüsse, / Doch die Sonne blieb ewiglich erstrahlend über dem Morden, / Und „Immerdar“ sprachen die Berge, und „Überall“ sangen die Flüsse; Der Feind schien fast verwelkt und fast zum Menschen geworden. ... “
Ich kann wahrscheinlich kein Antikriegsgedicht schreiben, wir haben keinen Krieg im Land. Nicht mehr. Nicht Drinnen oder im Draußen. Ich sehe den Kriegen der anderen zu, verstummt und mit Kameras statt meiner Augen.
Im Gedicht „Die Stickerin“ geht es nahezu geschäftig darum, wie eine Frau einen großen Papagei stickt. „In Blau und Gelb“. Wir erfahren, wie es dazu kam. Wie schon der Papagei das Kind beschäftigte. Worte voller Harmlosigkeit entfalten sich. Bald schon, wir ahnen es, geht es um die Liebe: „Da zittert sie, wenn er sie nur streift, Wie wohl ein zartes und verwöhntes Mädchen tut“. Und jetzt bricht in das schöne Bild eine Realität ein, wie wir sie von den Zeichnungen und Skulpturen der Käthe Kollwitz kennen: Dem Mädchen ist, als „Wenn ein Zerlumpter bettelnd ihren Ärmel greift.“ Wieder geht es um das Sticken und um die Farben und Formen. Wie ein Teppich wird die Bewegung der Stickerin ausgebreitet und das, woran sie wohl dächte. Buchstäblich mit der umbrochenen Zeile erscheint ein anderes Szenario: ein grauer Rock, ein Offizier. Die beiden trafen sich, sie erinnert sich, und er schenkte ihr eine Troddelmütze. Die Stickerin führt ihre Arbeit immer weiter fort: „Den Araflügeln geb ich dieses glänzend starke Blau. – / Ich fand ihn immer bei mir, wenn ich schlief; Er aber lag in Frankreich irgendwo am Drahtverhau / Und schrieb jede Woche einen guten Brief.“ Es ist, als hätte auf dem Schoß der Stickerin statt des blaugelben Papageis der Krieg Platz genommen.
Ich begegne der Dichterin, der Stickerin, der Landstreicherin, der alten Jungfer, der Gesegneten, dem Mädchen, der Jüdin, dem Tier und anderen, geschrieben von einer, die sich zu denen hinstellt, die da leiden, den Gefangenen, den totgeplagten Tieren und zu der, die liebt in einer alles versengenden Liebe. Auch den Liebenden ist ein Verderben eingebrannt, etwas, das ihnen als feindseliges Außen begegnet, die eingeforderte Bürgerlichkeit.
Wie hier ausbrechen? „Könnt ich einen Zipfel dieser Welt erst packen ...“ „Die Fahrende“ würde es tun. „In mein leuchtendes Auge zieh ich den Himmel ein. / Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen, / Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen, / Nichts als Sand in den Schuhen Kommender zu sein.“
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