Leuchttürme
»Revolutionen werden nicht mit Rosenwasser gemacht. Es braucht aber nicht gerade Blut zu sein. Die Zeit ist die größte Revolutionärin; nur schreitet ihr eherner Schritt langsam, langsam aufwärts.
Und das ist die tiefe Tragik der Vorausdenkenden, dass sie ihre Zeit nie erleben, das heißt, sie kommt erst, wenn sie gegangen sind.«
(Hedwig Dohm: Die Antifeministen)
Zu gerne würde ich einen »richtigen« Essay zum Frauentag schreiben. Betonen, wie wichtig mir diese vielen Namen in der Geschichte der Frauenbewegung sind. Dass ich meinen Hut ziehe, vor ihrer Unerschrockenheit. Vor der Entscheidung so vieler Frauen, nahezu alles zu geben. Das eigene Leben und das eigene Lieben aufs Spiel zu setzen. Egal, ob es sich um Anita Augspurg, Emma Goldman oder Rosa Luxemburg handelt. Oder um Olympe de Gouges, die ihr Leben auf der Guillotine im Namen der Gleichberechtigung lassen musste. Ein Ende, das sie im Vorfeld schon wusste. Eine Frau, die sich gegen ihre Zeit gewendet hat, ohne Kompromisse, ohne Angst. Zumindest nach außen. Oder Louise Otto-Peters. Die mit ihrem Schreiben und Wirken so viel Verunsicherung bei einem Gros der männlichen Politiker ausgelöst hat, dass das »Lex Otto« eingeführt wurde. 1850 im Pressegesetz von Sachsen. Keine Mitredaktion für Frauen fortan im Zeitungswesen. Verrückt. Und dennoch all diese Frauen, die weitergeschrieben, weitergedacht, weitergekämpft haben. Mit den unterschiedlichsten Mitteln, in unterschiedlichen Ländern. Nicht zu vergessen die Suffragetten. Hedwig Dohm auch. »Mehr Stolz, ihr Frauen!« Auch heute noch? Ja, auch heute noch!
Ein kleines Blumenmeer für uns alle von Simone Scharbert
Und zu gerne würde ich mehr von diesen Namen aufzählen. Bis ins Jetzt. Schaffe es aber nicht. Es ist Samstag. Ich muss noch Einkaufen. Abends zur Lesung, vorher noch einen Vortrag vorbereiten. Ein Sirren und Summen im Kopf. Auch weil ich in diesen Zeiten manchmal nicht mehr weiß, wo ich anfangen soll. Weil mein Kopf sich dreht, immer wieder um die gleichen Fragen, retardierend. Wie viel Ehrenamt ich als Frau tragen und umsetzen kann (im gesellschaftspolitischen Bereich). Von der Care-Arbeit ganz zu schweigen. Auch darüber würde ich gerne schreiben. Dazwischen: Mein schlechtes Gewissen, dass ich mich kommunalpolitisch nicht mehr engagiere. Gerade jetzt. Meinen Kindern manchmal eine schlechte Mutter bin. Zumindest das Gefühl habe. Weil ich schreibe. Oder arbeite. Oder im Schreiben arbeite. Gegen Klischees kämpfe. Immer wieder. Sehr wohl wahrnehme, dass jede Entscheidung für etwas eine Entscheidung gegen etwas ist. Oder sein kann. Ein Zeitfaktor. Dass die Tage eine Waage sind, die schwer ins Gleichgewicht zu bringen ist. Auch, weil ich darüber nachdenke, wie ich dafür sorgen kann, dass ich ernst genommen werde. Mein Wort, mein Denken. Unabhängig davon, wie hoch meine Stimmlage, wie mein Aussehen, mein Auftreten ist. Was ich tun kann, damit Sprache im Fokus steht. Der Inhalt, eine Idee. Das Zuhören. Zeitlose Fragen, die zäh sind. Durch die Jahrhunderte, ins Jetzt.
Und dass Literatur mir dann ein Anker ist. Insbesondere von all diesen Frauen, die – mal mehr, mal weniger sichtbar – so viel auf den Weg gebracht haben. Für mehr Empathie, für Netzwerke, für zunehmende Gleichberechtigung gesorgt haben. In den Wirren des Ersten Weltkriegs diesen Internationalen Frauentag ins Leben gerufen haben. Den 8. März. Eng verbunden mit der Idee des Pazifismus. Frauen also, die für mich in unsere Zeit hineinleuchten. Ja, Leuchttürme sind. Leuchttürme bleiben. Hoffentlich.
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