Geheimtipklassiker
Wladimir Majakowski - Photo by Pierre Choumoff
Anläßlich einer Neuedition des Werkes von Wladimir Majakowski in Rußland, heute ein Essay von Philip Ingold in der NZZ:
„Nur vereinzelt melden sich engagierte Leser (zumeist junge Frauen), die mit Majakowski – vorzugsweise mit seinem futuristischen Frühwerk und seinen späten grotesken Stücken – etwas anzufangen wissen und die nur einfach dazu raten, aus eigener Initiative und in eigenem Interesse zu den Texten zu greifen, um sich unabhängig von Schule und neuen Medien selbst ein Urteil zu bilden. Derartige Wortmeldungen machen klar, dass die wenigen, die sich auf Poesie überhaupt noch einlassen mögen, nicht auf deren politische oder ideologische Botschaft abheben, sondern auf das, was der Dichter in seiner individuellen Unverwechselbarkeit als Person und Künstler zu bieten hat.
Derart kann die Begegnung mit Majakowski noch immer ein Gewinn sein. Was er, das lyrische Ich mit dem pathetischen Wir vertauschend, im Namen der Partei, der Sowjetmacht, des Proletariats zu sagen hatte, macht den Grossteil seines Werks aus und könnte als polternde Demagogie abgetan werden, wäre nicht auch sie getragen von seiner eigenen Stimme mit ihrem unverkennbaren Rhythmus, ihrer einzigartigen Intonation. Wohl hat er selbst beklagt, als Dichter des «sozialen Auftrags» seinem eigenen «Lied auf die Gurgel getreten» zu sein, doch nie ist dieses Lied gänzlich verstummt – diskret durchklingt es auch seine schönrednerischen Oden, seine dreisten Kampf- und Programmgedichte, vorausgesetzt, man liest nicht bloss das jeweils Gemeinte, sondern hört hin auf das, was die Sprache selbst, unabhängig von ihrer vorgegebenen Bedeutungslast, mitzuteilen hat.“
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