Wirklichkeit der Löcher
Lichtenberg-Poetikvorlesungen von Marcel Beyer
Nico Bleutge bespricht in der NZZ Marcel Beyers Poetikvorlesungen:
„«Hinab, hinab, hinab», heisst es gleich zu Beginn von Lewis Carrolls «Alice im Wunderland». Alice ist dem weissen Kaninchen nachgelaufen, im Kaninchenbau unter der Hecke verschwunden – und fällt nun durch den tiefen, tiefen Schacht. Hinab, hinab, hinab in eine Welt, in der die Gesetze der Wirklichkeit ausser Kraft gesetzt sind und das Mögliche seine Wirkung entfaltet. Es sind diese Rissflächen zwischen dem vermeintlich Wirklichen und der Welt der Imagination, aus denen der Schriftsteller Marcel Beyer von jeher seine literarischen Texturen hervorzaubert.
Auch in seinem neuen Buch, einem auf den ersten Blick schmalen, tatsächlich aber in zahllose Richtungen ausstrahlenden Gewebe von Sätzen, tastet er dem Möglichen nach. Und dieses Tasten umfasst bei Marcel Beyer stets eine doppelte Bewegung. Der Schreibende entdeckt Verbindungslinien und Filiationen zwischen den Erscheinungen der Dinge und der Sprachen, erkundet jene «Nachbarschaften», die Beyer in einem kleinen poetologischen Text einmal erwähnt hat. Zugleich aber stellt er solche Verknüpfungen bewusst her, zieht gedankliche und motivische Fäden zwischen Phänomene, die weit auseinanderzuliegen scheinen.“
Marcel Beyer: XX. Lichtenberg-Poetikvorlesungen. Wallstein-Verlag, Göttingen 2015.
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