Von der Liebe zwischen zwei Menschen
Seit mehr als vierzig Jahren sind die Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin, Essayistin Silvia Bovenschen und die Malerin Sarah Schumann ein Paar. Aber nicht das, was man landläufig darunter versteht. Sie sind zwei aufeinander bezogene Gestirne mit je eigener Umlaufbahn, lange haben sie nicht mal in derselben Stadt gelebt, sondern waren nur über das Telefon und Besuche, Reisen miteinander verbunden. Erst seit 2002, als Bovenschen die Freundin in Berlin besuchte und einen schweren Schub ihrer Multiple Sklerose, an der sie früh erkrank war, erfuhr, zogen sie zusammen: in eine Wohnung mit zwei Trakten. Seither essen sie zusammen, haben gemeinsam Gäste, aber jede ist auch für sich, mit ihrer Arbeit beschäftigt, mit ihren Lektüren und Gedanken, kann sich zurückziehen, so lange sie es braucht. Ein solches Leben erfordert ein großes Maß an Vertrauen, Verbundenheit, aber auch Gelassenheit und Unabhängigkeit. Die beiden Frauen sind nicht miteinander verklammert, sie führen eine geistige und seelische Partnerschaft, die es ihnen erlaubt, sich zu entwickeln, ihren je eigenen Interessen zu folgen, und die sie gerade deshalb, weil sie einander los- und für sich sein lassen können, Freiheit und Geborgenheit gibt. Ihr Fundament ist Verlässlichkeit.
Silvia Bovenschen hat sich am 13. August 2013, dem achtzigsten Geburtstag Sarah Schumanns, darangemacht, ein Porträt ihrer Freundin zu schreiben. Das ist ihr nicht leicht gefallen. Wie schreibt man über jemanden, der einem so nah ist und immer noch, zum Glück, so fremd – denn nichts wäre langweiliger als sich endgültig zu erkennen, ohne Neugier auf den anderen zu sein, gespannt, zu welchen Überraschungen, Wendungen er/sie fähig ist? Bovenschen will Schumann nicht erklären, sie will dieser besonderen Beziehung zwischen zwei Frauen, zwei Menschen, zwei Künstlerinnen schreibend ein Denkmal setzen, aber keines aus Stein, sondern aus Sprache, eines, das beweglich, sinnlich, tastend, unscharf, analytisch, gefühlvoll ist, das Annäherung sucht und Distanz wahrt.
Die Porträtierte weiß, dass sie porträtiert wird, und sie gibt, zum ersten Mal, seitdem die beiden sich kennen, Details aus ihrem Leben preis, von der Flucht mit der Mutter 1945, da war sie elf, von der schwierigen Beziehung zu dieser Frau, deren Liebe sie nie hatte, aber von der sie, wie von ihrem Vater, das künstlerische Talent geerbt und die erste künstlerische Erziehung erfahren hat. Von den Stationen ihres Lebens, Berlin, Sangershausen, London, Piemont, wo sie allein in einer heruntergekommenen Villa lebt und arbeitet. 1968 kehrt sie nach Berlin zurück, wird Feministin (wenn sie das nicht schon längst ist), organisiert zusammen mit anderen Frauen die erste große Ausstellung über Frauen in der Kunstgeschichte „Künstlerinnen – international – 1877–1977“.
Da kannten sie sich schon. Bovenschen fuhr von Frankfurt am Main, wo sie lebte und an der Universität lehrte, nach Berlin, wurde, da die Ausstellung für Furore sorgte, angegriffen von Feministinnen wie Anti-Feministinnen, und die Kuratorinnen überfordert waren, kurzerhand Pressesprecherin und fand sich auf zahlreichen Podien wieder. Kurz zuvor hatte sie einen theoretischen Text zur Frage, ob es eine „weibliche Ästhetik“ gebe, veröffentlicht, war also für die Debatte gut präpariert. Diese Frage stand jetzt wieder im Raum: Warum veranstalteten Frauen eine Ausstellung nur über Künstlerinnen, wenn diese nichts verband als ihr Geschlecht? Was hatte Frida Kahlo, ästhetisch betrachtet, mit Diane Arbus zu tun, Sonia Delaunay mit Louise Bourgeois oder Meret Oppenheim? Natürlich ging es darum, Künstlerinnen der letzten zurückliegenden hundert Jahre überhaupt erst mal eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Und das allein führte ja bereits zu wütenden Protesten von Leuten, die meinten, Frauen seien „nach Maßgabe ihrer natürlichen Ausstattung und ihrer sozialen Bestimmung zur Kunst weder befähigt noch berechtigt“. Zugleich machte man es Kritikern aber auch durch die reine Frauenauswahl leicht, die Ausstellung zu diffamieren. Selbst beteiligte Künstlerinnen fürchteten eine feministische Vereinnahmung. Ein unlösbares Dilemma, das eben, wollte man nur genau hinschauen, das Meta-Problem „Frauen in der Kunstgeschichte“ aufriss. (Und das ja keineswegs gelöst ist. Auch für die Literatur/Literaturgeschichte nicht. „Sarahs Gesetz“ wurde, mit nur einer Ausnahme, in überregionalen Zeitungen – „Süddeutsche“, „FAZ“, „Welt“ „Zeit“ – und im Rundfunk – rbb, WDR, MDR – ausschließlich von Frauen besprochen – und auch hier, auf Fixpoetry, schreibt wieder eine Frau. Zufall? Glaube ich nicht. Nur gibt es, zum Glück, inzwischen eine große Anzahl an Redakteurinnen und freien Journalistinnen, die auf solche Bücher hinweisen, und nicht unter dem Stichwort „Frauenliteratur“ – mit einer Ausnahme: Felicitas von Lovenberg in der FAZ.)
Die Ausstellung, obwohl die erste ihrer Art in Europa, machte Furore – und ging unter. Auch diese immer wieder unterbrochenen Traditionen, selbst unter Feministen und Feministinnen gerät das alles viel zu schnell in Vergessenheit und wird die eigene Geschichte ignoriert, tragen dazu bei, dass die Durchsetzung von Künstlerinnen, Filmemacherinnen, Komponistinnen, Schriftstellerinnen, Philosophinnen mehr als schwierig ist. Aber einige wenigstens haben es inzwischen in den allgemeinen Kanon geschafft, werden nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt „weibliche Ästhetik“, sondern in ihrem individuellen Schaffen, eingebettet in ihre Zeit, betrachtet und gewürdigt.
„Ich will nicht die Wahrheit über Sarah Schumann ausstellen, ich will einzig meine liebe Freundin als Erlebnis meines Lebens erstehen lassen“, schreibt Silvia Bovenschen. Und das kann sie nur, indem sie von sich erzählt. Erinnerungen der Freundin lösen eigene Erinnerungen aus, an die Mutter, die Kindheit, Schule und Studienzeit, an Reisen und den Freundeskreis. Und natürlich an gemeinsame Unternehmungen. So sind es zwei Lebensgeschichten, die erzählt werden, ein Doppelporträt, das aus Überblendungen entsteht, mal tritt die eine, mal die andere in den Vordergrund, mal beide zusammen in gemeinsamem Tun.
Oft sind es kleine Dinge, ein auf dem Flohmarkt gekaufter Teller, ein halber Satz, die das Erzählen auslösen, in dem nicht nur die Lebensgeschichte der geliebten, bewunderten Freundin wie aus Mosaiksteinen zusammengesetzt entsteht, sondern auch die eigene und die der Zeiten, durch die beide gewandert sind, allein und zusammen. Das hat nichts Frivoles, Enthüllendes, Beschämendes, und ist doch schamhaft, vorsichtig und überaus intim. Manchmal ist es für den Leser, die Leserin, zu viel des Guten, Gutgemeinten. Einige Wertungen hätte es nicht gebraucht, der Kontext erzählt die Empfindungen mit, wie ja das ganze Buch eine einzige tiefe Empfindung ist, der Freundschaft, der Liebe, der Dankbarkeit und des Schmerzes.
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