Überzeugende Symphonie in Grautönen
Detective Emmanuel Cooper wird, gemeinsam mit seinem Kollegen Shabalala in die Drakensberge geschickt, um den Mord an einem Zulu-Mädchen aufzuklären. Im Jahr 1953 ist alles noch anders in Südafrika, die Gesetze der Apartheid sind gültig, ein rigide getrenntes Leben bestimmt das Nebeneinander, unvorstellbar ist viel zu viel. Jede Rasse ist einem engmaschigen Regelwerk unterworfen, das die regierenden Weißen nicht in Frage stellen. Erschreckend ist, dass trotz des erst kurz zuvor bekannt gewordenen Holocausts jüdische Europäer genauso beschämend behandelt werden wie Asiaten und Angehörige der Stämme. Das System zerbricht Menschen und spielt sie gegeneinander aus.
Vor diesem beengenden Hintergrund versuchen die beiden Kriminalbeamten, die, hierarchisch getrennt, natürlich persönlich keinerlei Sympathie füreinander hegen sollten, den von Anfang an mysteriösen Fall zu lösen.
In der überwältigenden Landschaft spielen sich mehrere Dramen gleichzeitig ab. Die Weite des Tales steht im Widerspruch zu den Klüften und Schluchten, die sich zwischen Schwarzen und Weißen, Christen und Juden, Farmern und Kaufleuten, Mann und Frau auftun. Malla Nunn dirigiert ihr anwachsendes Personal souverän und ohne Längen, die fremde Welt aus dieser vergangenen Epoche erklärt sich anhand der spannend verknüpften Erzählfäden. Voll Empathie folgt man den Ermittlern, aber auch den vielen Personen, die zugleich Opfer und Mittäter sind. Niemand in diesem Umfeld ist frei von Schuld, niemand kann hier vorurteilsfrei leben. Selbst der hilfsbereite jüdische Arzt, der der lokalen Ärztin, Ehefrau eines unglücklichen Trinkers, bei der Autopsie unter ungewöhnlichen Umständen hilft, hat seine Geheimnisse, die er aus guten Gründen für sich behält. Der Zulu Detective hat ebenfalls mit einigen neuen und unerwarteten Einsichten in das private Leben Weißer fertig zu werden. Das Clan-System der Zulus ist mit nichts in der weißen Gesellschaft vergleichbar und doch gibt es grausame Parallelen, die keine Seite wahrhaben möchte. Ein Brückenbauer besonderer Art ist der autistische Außenseiter, der Verdächtiger, Zeuge, Opfer zugleich ist.
Das zeigt schon, dass Nunn nicht an Stereotypen interessiert ist, dass sie die Vielschichtigkeit einer Gesellschaft porträtieren will, die sich allen Kategorisierungen Außenstehender entzieht. Malla Nunn stellt anhand eines Kapitalverbrechens in einem abgelegenen Tal mit seinen Bewohnern Südafrika dar, einen wunderbar stimmigen Pars pro toto, der das Genre in vielerlei Hinsicht sprengt. Die Sprache, von den Übersetzerinnen großartig ins Deutsche übertragen, schildert ohne bombastische Bilder, jedoch der Dramatik, dem Fluss, der Geschwindigkeit immer genau entsprechend. Es gibt kein Schwarzweiß, nur eine überzeugende Symphonie in Grautönen. Die historischen Fakten erzählen sich, ohne dass es jemals zu belehrendem Erklären kommt.
Die tote Amahle, die Art ihrer Aufbahrung, die Andeutungen sowohl im Kral ihres Vaters, eines Zuluhäuptlings, als auch auf der Farm der Engländer, wo sie als Hausmädchen arbeitete, der Tratsch der Burennachbarn, das undurchsichtige Kräfteverhältnis im Tal, die Bitternis in den Herzen aller verbinden sich zu einer tragischen und ungemein spannenden Komposition.
Malla Nunn weiß, wovon sie erzählt: sie wurde in Swasiland geboren. Ihre Familie emigrierte in den Siebzigern nach Australien, wo Malla studierte, bevor sie in den USA ihren Abschluss in Theaterwissenschaften machte. Sie war die preisgekrönte Drehbuchautorin von Dokumentarfilmen, heiratete in einer Swasi-Zeremonie, lebt mit ihrer Familie nun in Sydney und hat seit 2009 mit ihrem Debüt „A Beautiful Place to Die“ eine Aufsehen erregende Krimiserie vorgelegt. Dass die Herausgeberinnen dem Band auch ein hilfreiches Glossar beifügten, ist üblicher und erfreulicher Standard bei Ariadne. Mit der Entdeckung von Malla Nunn zeigt der Verlag wieder, dass der Krimi mehr sein kann als einfach eine spannende und gut erzählte Geschichte. „Tal des Schweigens“ ist auch ein politischer Roman, erfreulich literarische Suspense der Spitzenklasse, das poetische Porträt eines blutenden Landes.
Fixpoetry 2016
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