»Ich finde es auch nachvollziehbar«
Reemtsmas neues Buch ist auffällig: viele Behauptungen, manch dann aber brillante Begründung und – en passant – feine Textarbeit. Jedenfalls: lebendig. Der Text, so beginnt der Autor, sei bedeutsam: Seine Bedeutsamkeit aber ist „der Umgang, den man mit ihm pflegt” – nicht seine Entität, seine Funktion, und zwar aus Sicht derer, für die er funktioniert, bestimmt ihn, eine kopernikanische Wende. Weil aber das nicht Beliebigkeit meint, ist der Text an sich doch erst bedeutsam, wenn dieser Umgang „der Behebung einer Situation des Mißverstehens” dient. So geht Reemtsma zunächst vor, in einem Text, der hier bis in die Nummerierung Wittgenstein evoziert.
Daraus folgt allerlei; zum Beispiel, daß ein Werk nicht insbesondere schweigen könne:
„Davon zu sprechen, daß ein literarischer Text schweige, durch Schweigen spreche, zeige, aber nicht sage, […] benennt die Besonderheit der Rede über literarische Texte.”
Was ist aber mit Celan, mit Adornos, Szondis, Lyotards Überlegungen..? Da mißbehagt die Bestimmtheit der Formulierungen. Auch bagatellisiert Reemtsma die Peripherie: „Ist es noch Dichtung oder hat es schon keine Methode mehr?” Das mißbehagt, weil sich da daraus hernach keine Frage mehr ergibt. Müßte Philologe nicht auch als Komplize agieren, wo Literatur prekär wird. Diese „ist nicht Literatur”, so Werner Hamacher in seinem empfehlenswerten Plädoyer Für – Die Philologie 1, gewiß, und doch ist sie „keine Philologie, wenn sie nicht gemeinsame Sache mit der Literatur macht”... Das, was sie werkkonstitutiv leistet, müßte, wer in Bezug auf die Autorrolle so apodiktisch wie Reemtsma ist, hier vielleicht thematisieren. Der überpointierende Stil des Verfassers, der sagt, es könne, wenn in allem Literatur lauere, auch „das Fliesenmuster vor dem Klo […] ein veritables Delphi sein”, hilft ihm nicht aus der Verlegenheit, er kaschiert sie bloß.
Es ist in solchen Momenten oft vage oder pauschal, was Reemtsma sagt, manche spannende Wendung verpufft darum. Andererseits ist der Text aber wie gesagt brillant, wo er weniger plakativ ist: Die Frage, wie der Reim und noch mehr die Skansion – eigentlich gar „nicht durch die Form der Buchstaben zweier Wörter gegeben” – Bedeutung stiften, das Zusammenspiel des Textes und des Lesers werden, ist lesenswert. Die bekannte Auseinandersetzung Heideggers und Staigers darüber, ob Mörike denn nun lucet oder videtur gemeint habe, wenn bei ihm das Schöne selig in ihm selbst scheine, ist als Beispiel eigentlich unoriginell, vermutlich bis heute fast kanonischer Bestandteil von Einführungsproseminaren; aber die Konkretisierung des Problems als eines allein der Betonung, die Reemtsma bietet, ist originell, zumal in der Beschreibung der Gesten, die die Skansionen implizieren. Auch der anarchistische Humor des Philologen und die Disziplin der Literaturwissenschaft ergänzen einander zuweilen wunderbar, Verstehen wird dies bei Reemtsma, und zwar hier mit Rattelschneck:
„»Wenn ich mich verspreche und Sie sich gleichzeitig verhören, kann es doch sein, daß Sie genau das verstehen, was ich eigentlich sagen wollte. «
»Ich finde es zumindest Nazivollbart.«
» Ich finde es auch nachvollziehbar. «”
Das neue Buch Reemtsma hat also Provokantes zu bieten, das sich aus Minutiösem ergibt, Witz aus Seriosität – aber auch Reizloses aus gewollter Brillanz. In Summe aber doch Überlegungen von einer Qualität, die daran keinen Zweifel lassen, daß dieses Buch Leser verdient.
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Eine ausführlichere Besprechung erscheint im Herbst in der Literaturzeitschrift arcadia
- 1. Werner Hamacher: Für – Die Philologie. s.l. Urs Engeler Editor 2009 (=roughbook 004)
Fixpoetry 2016
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