Wachsam und orientiert und sorgsam ausbalanciert
Kaum zu glauben, daß dieser Band ein Debüt ist. Sandra Trojans Gedichte haben eine solche eindeutige und reife Präsenz, wie man sie ohnehin selten und fast nie in einem Erstling findet.
Sie kann es einfach. Sie hat es drauf. Sie schreibt Lyrik, die von der ersten bis zur letzten Seite fesselt, weil sie so neu und frisch auftischt, ungewöhnliche Interiors geheimnisvoll zur Genussreife treibt. In den Gedichten fällt eine ganz wache und dennoch sinnlich pulsierende Kompetenz überraschende Edukte aus. Spannend ist das. Hier geschieht so viel. Und die Feinheit der Strukturen ist nicht nur außergewöhnlich, sondern auch schön.
Sandra Trojan, Jahrgang 1980, aufgewachsen im Hochsauerland, hat nach Amerikanistik und Journalistik noch die Mühen eines Literatur-Studiums in Leipzig auf sich genommen und die alltägliche intensive Auseinandersetzung mit der Lyrik hat ganz offensichtlich Tore weit aufgestoßen, durch die ihr bemerkenswertes Talent ausströmen kann. Sie bleibt dennoch geerdet, zu ihren Bildräumen gehören Birkenwäldchen, ein Strohmann, die ländliche, bergige Heimat, es gibt Jahreszeiten und biblische Figuren, Fotografien und schlichte Erlebnisse, Hausszenen. Und vor allem eine unverbrauchte Sprache, die immer wieder erfreutes Staunen und Faszination auslöst, weil sie völlig unangestrengt wirkt, dabei wohltuend ohne Bläh und unparfümiert ist.
Man muß Ansätze finden, mit denen man wirklich versöhnt ist, sonst kann man keine gute Lyrik schreiben. Das kann man nicht lernen, auch durch ein Studium in Leipzig nicht. Das entspringt einem besonderen Zugang, der uns sehr oft wie Raffinesse vorkommt, aber tatsächlich mit Ausrechnen nichts, mit Loslassen jedoch sehr viel zu tun hat. Selbst ihre Anagrammgedichte scheinen zu schweben. Statt auf überhängende Assoziationskaskaden, wie sie uns so oft als kaum zugängliche Textflächen in der modernen Versarchitektur aufgeschlagen werden, verlässt sich Sandra Trojan eher auf die Bisoziation und das Zusammentreffen bislang nie miteinander gedachter Elemente und balanciert das sorgsam aus. Sie bewegt sich dabei souverän und fast schnörkellos, ihre Sprache hat eine eigene Eleganz.
Lazarus kündet mir Wissen
Und hierher hast du mich gebracht.
In diesen steinbedeckten Bunker
wo Sand an meinen Schläfen knirscht.
Ich habe DurstDoch gibt es keinen Mund
an meinem. Durch Steine, deren Gähnen
die Wände um mich dehnthör ich Menschen eilen, ihre
mehrspitzigen Zungen
die deinen Namen rufen, lecken
die Spucke der Toten auf.Ja, hierher hast du mich gebracht
wo Kinder, an den Wunden derer
saugen, die dahinsiechenwo eine Frau das dunkle Fleisch vom
Herzen schluckt, bevor sie selbst
in deinen Magen sinkt.In der Ecke schläft ein alter Mann.
Ich zähle seine rauen Atemzüge:
Jedes Ein reißt mir die Lippen auf
Jedes Aus schält mir die zerfransten Enden ab.
„… das Geheimnis der Welt ist nicht hinter den Objekten, sondern hinter den Subjekten zu suchen.“ schrieb einmal der theoretische Biologe Jakob Johann von Uexhüll – zu dem lebendigen Prozeß, der zwischen den Dingen als Subjekt zu überleben versucht, gehört ja auch das, was wir als Geist in uns als Zwiesprecher mit der Welt erfahren. Der Lyriker hat gelernt, ihn fliehen zu lassen, ihn als Geschehnis anzuschauen und als Reagenz der Poesie. Wie er sich an den intermolekularen Kräften im Weltbau mißt, sein Maß verändert, seinen Begriff übt, stärkt, verwirft oder lockert, all das kann der Lyriker sehen und dabei auf der Lauer liegen, wann das neue Gedicht auftaucht. Wenn man wachsam und orientiert ist wie Sandra Trojan.
Der Gedichtband ist im Verlag des Poetenladens erschienen, in wirklich schöner Ausstattung und Aufmachung, ein richtig gebundenes Buch mit Schutzumschlag, der wieder wunderbar gestaltet wurde von Miriam Zedelius. Man muß Andreas Heidtmann gratulieren für diese Verlagsleistung. Was kann man mehr sagen: ein klarer Kauf. Sandra Trojan wird sicher weiter von sich reden machen mit ihren Gedichten.
Fixpoetry 2009
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