Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Dialektik ähnelt verlorener Leiter

Hamburg

Peter Engstler betreibt mit seinem Verlag Peter Engstler einen seit Jahrzehnten ganz und gar der Unabhängigkeit verpflichteten Verlag. Sein Programm bringt von Fernand Deligny bis Tone Avenstroup, Ann Cotten und Helmut Höge alles, worauf Engstler Lust hat. Immer dem Text verpflichtet, minimalistisch ausgestattete Editionen, in nicht niedriger Schlagzahl veröffentlicht und meistens lieferbar. In Engstlers Verlag veröffentlicht seit Jahren wiederum Ulf Stolterfoht, seines Zeichens auch seit ein paar Jahren Verleger mit seinem "System Brueterich", einem Abonnenten bezogenen Modell.

In der Brueterich Press erscheint jetzt als Band BP 013 Peter Engstlers eigenes Werk Manzanita, eine Revanche-Veröffentlichung gewissermaßen. Der schmale Band, in wie immer umsichtiger Gestaltung bei Brueterich, trägt den Untertitel cut-up, auf dem Umschlag ist ein fliegendes System von (Buchstaben-) Teilen abgebildet. Die seitenzahlenlosen Blätter sind mit jeweils im Flattersatz stehenden kurzen bis sehr kurzen Gedichten bedruckt, ihrerseits in der Position auf der Seite wechselnd/ flatternd. Durch das Durchscheinen der nächsten Seiten entsteht ein grafisches Sirren der Texte. Eine Übertragung der textlichen Performanz. Denn auch diese scheinen zu sirren. Sie sind per cut-up entstanden, der heute über 50 Jahre alten Methode von u.a. Brion Gysin und William Burroughs, die im engen Zusammenhang mit visuellem und musikalischem Aufbruch der Beat und Post-Beat-Ära steht und Permutationen von Texten beziehungsweise Textmaterialien durch tatsächliches cutten und kitten seiner Bestandteile generiert. Das Spannende ist an diesem gewissermaßen arbiträren und zugleich willentlichen Schreiben, welches Ausgangsmaterial verwendet wird und in welchen Maßeinheiten überhaupt jenes Cutten Kitten stattfindet. Große Passagen wie beispielsweise im Prosatext von Burroughs The Naked Lunch oder kleinste Einheiten wie hier bei Engstlers Manzanita.

"Weshalb Auftrag hier und Schnitte im Blech Tolles
Gewinsel diese Katze lag längs unendlich quer zu
einer vorüber gehenden Entscheidung doch dient keine
Silbe ihrer Lösung Zeit Spule Alles ward wirklich selbst
Ausschnitt zählt neu im Wogen ihrer Bewegung Dort
Blau mit leichtem Schwindel Neu begann leiser Ruf
im Tempus dieser Oktaven spricht Weite im Ende"

Das gewählte Vokabular beziehungsweise das Ausgangstextmaterial gruppiert sich um einige Schlüsselbegriffe. Teilweise aus Naturbeobachtungen, inklusive nur einmal auftauchenden Vertretern wie Herbstzeitlose, Hecken, Kobalt etc. einerseits, und andererseits aus politisch philosophischer Wortmasse wie Dialektik, Macht, Sprache, Grenze und Universalia wie Alles, Augen, Erde oder Mensch. Letztere kommen häufiger vor, werden je nachdem mit verschiedenen Zusammenhängen permutiert. Der Rhythmus ist frei, doch selbstverständlich nicht unvorhanden, das ist das Interessante. Engstler füllt auf und lässt weg, es ist ein deutliches Gestalten am Werk. Nicht jedes Gedicht besteht aus Aufzählungen oder permutierten truisms. Es ist ein besonderes Handwerk des Fügens, das Manzanita auszeichnet.

"Selbst diese Flamme Zug zur Erde War Wind einzig
Berührung Bahn Doch selbst Ruf gefror abseits aller
Berührung neulich in seiner Verwandlung Gefühl
eines Traums Jeden Tag gab es Bewegung Stille
im Flug gleich Tonlauf Geschichte im verblendeten
Wort als Ablauf in Taten selten so gedacht an
Wasser mit Form Bleibt dies Runde einzig So Siegel
mit Zahl Nur Licht wirkt schattig Zaun hinter
Latten Bild dieser Geraden lispelndes Röcheln
einer Sendung hier Zeugen ihrer Zeit Würfel
Kanten Kreuz mit Schwinge Weshalb Stern glüht und
Frage scheint Alles wird diesseits"

Engstlers Gedichte sind in viele Richtungen lesbar. Sie sind polyvalent und offenbaren sich als subtile Wortgeflechte, die sich anders als "herkömmliche" Dichtung nicht primär assoziativ erschließen oder über ihren Rhythmus oder ihre Bilderfolge oder gar Schlüssigkeit in einem Anfang/ Ende System, sondern all jene Kategorien aushebeln und bewusst von einer non-auktorialen eben spielerischen Weise sich blasig nähern. Dabei aber natürlich in ihrer Form konservativ lesbar sind, das heißt, das Assoziieren ist problemlos möglich, nur eben in überraschende Welten einer Nicht-Psychologik hinein. Eine gute Entscheidung ist außerdem, nicht eine per se mehrwertige permanente Kleinschreibung durchzusetzen, sondern die Vor-Cut bestehende Groß-Kleinschreibung beizubehalten, sodass sich Takte und Zäsuren von ganz allein einstellen, die so ein zusätzliches Hüpfen der Verse generieren.

"Sonne kleines steinernes Feld angesiedelt nur Dorn
ein Schlehen Anfang Auge nimmt teil Natur Gesetz
Ist Dies führt zu Dünen und ähnlichen Anordnungen
Wasser Stein Licht Dunkel Luft"

"Dies Blau war interessant hinter Bewegung von Zweigen
Ausschüben Formation Erbe jeder Sprache Dabei wird
diese verstummen doch spricht Schrift Herzschlag Ast
Schüttende Senken langsames Tasten auf Gras Körper
Schlüssel Schwamm Spur in Zeit Wiederholung Blume"

Brüterich bleibt seiner Strategie der sperrigen Texte treu. Peter Engstlers Manzanita ist keine leichte Kost. Sie ist konsequent und radikal, erlaubt sich kein Knicken und obwohl der Band schlank ist, bildet sich durch das Grammatik auseinanderhebelnde Fügesystem ein großer Korpus an nicht gesagten Leerstellen an, der die Gedichte und ihre Abfolge andickt. Ein starker Band.

Peter Engstler
Manzanita
Brueterich Press
2017 · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-945229-13-2

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge